"Das Imperium": Die Macht des Sex

Filmausschnitt: Eine junge Frau mit fragendem oder verwundertem Blick auf dem Weg zum Strand

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Juhu, die Apokalypse: Bruno Dumont zeigt, was passiert, wenn Außerirdische in der Provinz landen – Der Science-Fiction-Film, den sich Hollywood nicht traut.

Juhu, die Apokalypse, die Apokalypse, die Apokalypse!

Satan in "L'Empire"

Unser Schicksal ist hart.

Jane de Baecque in "L'Empire"

Was wäre eigentlich, wenn in Flandern oder der nordostfranzösischen Heimat der Sch’tis-Komödien – oder auf der Schwäbischen Alb vielleicht? –, wenn also hier und heute in unserer Gegenwart UFOs mit Außerirdischen landen würden?

Wir würden jedenfalls anders reagieren, als wir uns das immer gedacht haben bei der Lektüre von Boulevardzeitungen, Trash-Romanen oder beim Ansehen unserer Lieblings-Science-Fiction-Filme.

Vielleicht würden wir genauso reagieren, wie die Leute im "Imperium": Irritiert natürlich, genervt. Aber auch zuerst gelangweilt und gleichgültig. Sie nehmen das Ungewöhnliche scheinbar selbstverständlich hin. Und dann sind sie erbaut und erfreut, dass endlich mal etwas los ist, und ihr Leben Bedeutung bekommt.

Und sie haben leidenschaftlichen Sex. Dazu später.

"Die Zeit ist nahe!"

Strahlend blauer Himmel. Geplauder am Smartphone:

"Hallo? Ça va? Mir geht es gut. Schau mal, das ist die Stelle. Hast du sie gesehen? Die Stelle, von der ich dir erzählt habe. Es ist echt heiß. Ich will braun werden. Ja, ich bin ganz nackt. Mein Busen ist schon gebräunt, mein Hintern auch, ich bin ganz zufrieden. Ich bin nicht mal eingecremt. Hier ist es cool, keiner stört sich daran. Kein Mensch weit und breit. Ich bin nackt, keiner stört sich daran. Ich gehe, weil es so heiß ist, und ich dringend eine Dusche brauche. Ein nacktes Mädchen, nur mit einem Handtuch bekleidet, schreitet durch die Dünen."

Zur gleichen Zeit steuert ein Fischer sein Boot an die Küste, nach einem Tag harter Arbeit. An Land folgt er seiner Routine, die er wohl schon unzählige Male wiederholt hat. Dann, auf dem Nachhauseweg, begegnet er dem Mädchen aus den Dünen, und in den von untergründiger Attraktion durchzogenen Small Talk mischt sich noch etwas diffuses Anderes.

Ein paar Minuten später wird sie ihn mit starrem Blick auf den Boden und plötzlich schwerem Atem fragen: "Ist der Margat geboren?"

Und er antwortet mit einer anderen, metallischen Stimme: "Der Margat ist geboren." Und sie stellt fest: "Die Zeit ist nahe!"

Köpfen mit dem Laserschwert ...

Zu Hause angekommen trifft der Fischer eine Frau, die das vor Kurzem geborene Kind verlangt – man glaubt zu verstehen, dass es sich hier um geteiltes Sorgerecht handelt und die in vielen Filmen bekannten Streitereien. Das Kind soll die nächsten vierzehn Tage bei ihr bleiben.

So wird der Film mit ganz alltäglichen Szenen eröffnet. Es wäre dies der Anfang einer sehr gewöhnlichen Geschichte, wäre da nicht auch gleichzeitig das Unerwartete, Unvorstellbare: Dem Gespräch zuvor, das offensichtlich nicht von dieser Welt war, folgt ein schrecklicher Unfall, ein fantastisches Überleben und das Köpfen der Mutter mit einem Laserschwert.

Bruno Dumonts "L'Empire"/"Das Imperium" beginnt voller Wucht und mit Wahnwitz. Doch derartige Überraschungen nehmen im Laufe der Handlung noch zu.

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Weltsysteme gegen das Non-binäre

Plötzlich ergreift ein hoher Ton von dem Fischerdorf und seinen Bewohnern Besitz, eine apokalyptische Stimmung.

Ein Kind ist geboren, dem offenbar von allen Seiten hier messianische Kräfte zugetraut werden: der "Margat". Dieser Name für das hochbegabte Geschöpf ist nicht ganz zufällig. Er verweist auf den Namen einer Kreuzritterburg im heutigen Syrien, aus der Zeit Saladins.

Kreuzritter gegen Araber, und Ungläubige kämpfen auch hier. Oder Linke gegen Rechte. Polizisten gegen Terroristen. Frauen gegen Männer. Oder eben, wie es in der Sprache dieses Films heißt: "Einser" gegen "Nuller". Weltsysteme stehen gegen das Non-binäre.

Der Teufel, möglicherweise

Mit irdischem Namen heißt der Margat Freddy, ausgerechnet so, wie die Hauptfigur aus Dumonts Debut "La vie de Jésus", einer skandalerregenden Romanverfilmung, in der es, ebenfalls an der nordostfranzösischen Küste, um einen epileptischen Teenager geht, der zum Rassisten und Gewalttäter wird.

Robert Bresson trifft auf Marvel-Filme. Die Leute werden als grobschlächtige Karikaturen dargestellt, aber gleichzeitig als schöne Naive. Dazu läuft pathetische Musik von Bach, von Purcell – und Jazz, wenn der Teufel auftritt.

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Denn der Teufel hat hier möglicherweise seine Hände im Spiel. Seine Handlanger sind die Ritter des Margat. In einem Gebüsch mitten auf dem Acker ist der Eintritt in sein Reich. Mal ist er eine ungreifbare, diffuse, widerliche, schwarze Masse, manchmal nimmt er menschliches Antlitz an und sieht aus wie der Schauspieler Fabrice Luchini.

Sein Ziel ist "das absolute Nichts". Und er fordert von seinen Untertanen: "Hütet euch vor den Helden und Heiligen, die noch in der Menschheit schlummern."

"Auf das Reich der Solidarität und Gleichheit, Gebieterin!"

Den Rittern gegenüber steht "das Imperium", ein Frauenorden, der das Gute befördern will, aber für alle Arten von Unmoral zu haben ist.

Das Imperium der Einser will die Nuller und ihre Nachkommen, und den Teufelsbraten Margat vernichten, um ein Exil auf der Erde zu finden, sich dort auszubreiten und die Menschen für das Reich der Solidarität und Gleichheit zu gewinnen.

Sie rufen sich zu: "Auf das Reich der Solidarität und Gleichheit, Gebieterin!" und klagen, die Menschen seien tief gesunken "durch die Macht der Nuller, die sie mit ihrer Bösartigkeit verderben". Denn viele Menschen seien "erbärmlich und dem Vulgären zugetan."

"Dabei sind Männer und Frauen zu Höherem fähig! Wir können nur durch Menschen existieren wie die Nuller. Während die Nuller die Menschen verderben, verbessern wir Einser sie und richten sie auf. In jedem menschlichen Herz wird ein Kampf ausgefochten."

Später im Film reden die schwarzen Ritter dann über den Frauenorden der Einser wie heute Unionspolitiker über die Grünen:

Sie sind solche Prinzipienreiter. Ihre Arroganz macht sie blind. Sie sind so dumm zu glauben, dass es aufhören könnte. Während wir alles dafür tun, damit es weitergeht.

Dazu gibt es noch in dieser Welt die Polizei, die den Unfall untersucht. Sie sagen: "So sauber wie es gemacht ist, das ist die Handschrift des Daesch. Das sind die, die enthaupten." Gemeint sind die Islamisten der ISIS.

Erhabenheit und Kampf der Rassen

Es ist eine apokalyptische, erhabene Redeweise, die gelegentlich an mittelalterliche Epen erinnert: "Zügle deinen Eifer! Beruhige dich!" Oder: "Sei vorsichtig, denn der Feind ist sehr mächtig. Er ist ein schwarzer Ritter und zu allem fähig. Er ist der Erzeuger der Bestie." Oder: "Lasst nie in eurer Wachsamkeit nach. Mögen unsere Truppen die Seelen der Menschen ohne Unterlass verdammen."

Zugleich ist dieser edle Endkampf in den Vokabeln des Films ein Kampf der Rassen: "Der Kampf hat diesen Sommer begonnen. Der Kampf ist final, er wird alle Rassen auslöschen bis auf eine."

Die weiblichen Hauptfiguren werden von professioonellen (Top-)Schauspielerinnen gespielt: Jane von Anamaria Vartolomei und Line von Lyna Khoudri. Die männlichen von Laien: Jony von Brandon Vlieghe und Rudy von Julien Manier.

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Wirklichkeitsverfremdung

Diesen Film könnte man am besten als europäische Version von "Star Wars" oder auch als eine französische "Weltraumoper" beschreiben – vergessen wir dabei nicht, dass "Star Wars" bei seinem Erscheinen 1977 das B-Movie eines sehr unabhängigen und eigentlich schon künstlerisch gescheiterten New-Hollywood-Regisseurs gewesen ist, das von den Kritikern seiner Zeit als "billiger Schund" verunglimpft wurde.

"Oper" bedeutet hier auch nicht, dass in diesem Film etwa irgendwann gesungen werden würde. Sondern gemeint ist die große Geste und der Spaß an der Wirklichkeitsverfremdung.

Wer außerdem das Werk des französischen Regisseurs Bruno Dumont ein bisschen kennt, weiß, dass man in ihm zwei Phasen, eine ernste, brutale, schwermütig und eine komödiantisch-leichte, unterscheiden muss. "L'Empire/Das Imperium" ist eindeutig dieser letzteren zuzuordnen.

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Beide Phasen haben gemeinsam, dass sie auf dem nordfranzösischen Land spielen, in Flandern und der in Richtung Niederlande ausebbenden Normandie; sie haben gemeinsam, dass sie die ländliche Bevölkerung, vergleichsweise ungebildete, aber moralisch reine Bauern in den Fokus nehmen und schließlich ist all diesem im Film eine transzendente Komponente eigen, ein Subtext des Religiösen, Heiligen, etwas, das nicht von dieser Welt ist.

Dumont ist jedenfalls einer der ungewöhnlichsten französischen Autorenfilmer. Sein Werk schwankt zwischen ernstem Melodram ("L'Humanité", "Flandres") und Provinzkomödien ("Petit Quin Quin").

Bis heute hat Dumont nie die Wertschätzung bekommen, die er verdient hat. Zu kompliziert sind seine Filme für einfache Gemüter, aber vor allem zu wenig normierbar. Was hat schon so ein harter böser Film wie "Twentynine Palms" mit der Komödie "Coin Coin" gemeinsam?

Dass die Bewertungen für Dumont auf imdb tatsächlich unterirdisch sind, liegt aber vielleicht auch daran, dass der Regisseur persönlich kompromisslos ist und kein Hehl daraus macht, dass er die Mehrheit der Leute für dumm hält. Er hat zwar recht, aber das verzeihen die Dummen nicht.

Mit seinen letzten Filmen, den Jeanne-d'Arc-Musicals "Jeanne" und der Mediensatire "France" scheint Dumont nun eine neue Werkphase eingeleitet zu haben: Genre-Dekonstruktionen und -satiren. Das gilt auch für dieses Science-Fiction-Märchen "Das Imperium", das zwischen sozialrealistischer Provinzschilderung und burlesker Weltraum-Oper schwankt und bei der Berlinale einen Silbernen Bären gewann.

Annäherung ans Mittelalter

"Wurde er sauber abgetrennt?"
"Glatt mit einem Schlag."

"Gut, das ist gut. Die Mutter des Margat war schon halb vom Bösen besessen und dämonisch. Und wenn der Magath heranreift, weißt du, was du zu tun hast. Sehr gut! Bis dahin, müssen wir, die Einser, ihn im Auge behalten. Damit das Böse in der Bestie keimt, zu der er heranwächst, und alle Finsternis auf Erden in sich aufnimmt. Und dann möge er untergehen und all das Böse mit ihm."

So reden hier die Leute. Wesen, die aussehen wie Menschen, in die aber das Gute oder das Böse hineingefahren ist.

Es sind apokalyptische Visionen, denen wir hier begegnen – und Apokalypse heißt immerhin "Heilsbeschleunigung". Das heißt, es könnte sich hier um einen Kampf der Engel mit dem Teufel handeln, um eine biblische Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse.

Bruno Dumont erzählt genaugenommen oft solche Geschichten. Nur dass die Guten hier eben "die Einser" sind und die Bösen "die Nuller", dass die Guten aussehen, wie Heilige und alle ein bisschen wie Menschen aus Bildern von van Eyck, Bosch und Breughel.

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Man könnte auch sagen, dass wir hier uns wieder der Wahrnehmung der Welt im Mittelalter annähern – einer Welt, in der ist das Heilige und das Außergewöhnliche gibt, Geister und Dämonen, in der Männer vor Frauen knien, um ihnen Ehre zu bezeugen oder auch Frauen vor Männern den Kopf senken aus dem gleichen Grund.

Es liegt eine atemberaubende, anrührende Unschuld in vielen Gesten der Figuren dieses Films.

Sex auf einem Boot, auf einem Acker, in den Dünen, im Gras

Grob gesagt stellen sich viele Figuren hier als Soldaten in einem interplanetaren Krieg heraus – weit jenseits all der üblichen Herausforderungen, denen die ländlich-touristische Region sonst begegnet. Imperiale Welteroberer gegen eine zentralisierende Macht, die sich in einer weiblichen Gestalt manifestiert.

Der Küstenort wird zum Schauplatz des Kampfs ums Universum – all dies kann man ernst nehmen, muss man aber nicht. Man kann es auch als einen einzigen großen kosmischen Witz betrachten.

Darum geht es vermutlich dem Regisseur. Denn die Auseinandersetzungen werden von Verschwörungstheorien befeuert, kurvige Frauen im Badeanzug treten auf, UFOs landen auf alten Wehrmachtsbunkern, groteske Reiterspiele werden veranstaltet, und es gibt Sex, viel Sex, der ebenso direkt und unverstellt gefilmt ist, wie alles hier. Sex auf einem Boot, auf einem Acker, in den Dünen, im Gras.

Der beginnt dann mit Fragen wie: "Wollen wir zur Probe vögeln? Wir vögeln einfach und das Leben geht weiter." Oder der Behauptung: "Wir mögen Feinde sein, aber die Körper, die wir angenommen haben, sind es nicht."

"Wohl dem, der nie ein Grau gedacht"

Es ist offensichtlich, dass Bruno Dumont mit all dem beabsichtigt, das Absurde jener Geschichten herauszuarbeiten, wie sie im kommerziellen Hollywood-Kino wie am Fließband produziert werden und für die Filmwirtschaft immer wichtiger werden. Für den durchschnittlichen Zuschauer der ganzen Welt stellen sie längst eine Art von Ersatzreligion dar.

Vielleicht meint ja auch der Regisseur alles ernster, als wir wahrhaben und glauben möchten. Vielleicht glaubt er, dass die natürlichen Untugenden der Menschen sie dem Bösen zuführen. Dass wir dem Vulgären anheimfallen, und nur Helden und Heilige oder gleich ein Gott uns retten können.

Die Handlung, die uns die Apokalypse und den Antichristen enthüllt, könnte eine politische Allegorie sein.

Wer noch kein Grau gedacht hat, sei kein Philosoph, mutmaßt gerade Peter Sloterdijk und plädiert für Graustufenphilosophie, verteidigt das Grau politisch-moralischer Zweideutigkeit.

Bruno Dumont würde ihm, diesen Verdacht weckt der Film, mit seinem früheren Buch über Religion antworten: Nach Gott ist vor der Apokalypse, wohl dem, der nie ein Grau gedacht.

"Das Imperium" ist ein mit vielen wunderbaren französischen Schauspielern gespickter Film aus kleinen charmanten Momenten und Einfällen, mehr oder weniger gelungenen Gags wie das Training mit Laserschwertern und ein fernes Echo von Roger Vadims Klassiker "Barbarella" mit Jane Fonda und Luc Bessons "Valerian" – die weiterhin bisher gelungensten Verschmelzungen französischer und amerikanischer Science Fiction.