Das Internet in Qaddafis Reich
Nicht einmal ein Lippenbekenntnis für den Meinungspluralismus, aber erstaunlich große Informationsfreiheit
Internet in Libyen
Gern stellt man sich autoritäre Regime wie die osteuropäischen Staaten von ehedem vor. Zu deren Eigenheiten gehörte auch die Abschottung von Information. In Qaddafis1 Reich funktioniert das Ganze etwas anders.
Seit mehr als drei Jahrzehnten herrscht Muammar Al-Qaddafi ungeangefochten über Libyen. Insofern konnte er dem libyischen Staat in allen Details seinen Stempel aufdrücken, was a priori wenig Gutes für das Internet erwarten lassen würde.2 Im Gegensatz zu vielen anderen Autokraten legt Qaddafi nicht einmal ein Lippenbekenntnis für den Meinungspluralismus ab, sondern lehnt ihn in Bausch und Bogen ab. In der Tat könnte es für einen Libyer schwierig werden, eine eigene publikatorische Tätigkeit zu entfalten.
Doch erstaunlicherweise ist der Zugriff auf Informationen in Libyen kaum beschränkt. Egal, ob Großstadt oder Straßendorf: Überall in diesem Land sind Häuser übersät von Satellitenschüsseln, und je nach Lust und Laune können die Menschen traditionelle arabische Sender, den modern-westlichen libanesischen Sender LBC oder gar MTV oder CNN. Dies geschieht, wohlgemerkt, nicht etwa heimlich, sondern ist vollkommen legal. Vielmehr schafft der libyische Staat selbst die Voraussetzungen dafür, indem der jungen Generation eine sehr solide Ausbildung in der englischen Sprache verschafft. Man wird wohl in Libyen einfacher als in Frankreich oder Italien zu Rande kommen, wenn man die Landessprache nicht beherrscht.
Damit kommen wir auch schon zu den Gründen, warum es sich die Obrigkeit leisten kann, der Bevölkerung sehr weitgehenden Zugriff auf Information zu lassen: Die Libyer dürften, abgesehen von der endemischen Korruption, weitgehend mit den Leistungen des Regimes zufrieden sein. Nicht nur die Ausbildung ist hervorragend, sondern auch die Infrastruktur (hervorragend gewartete Fernstraßen), die Wohnungsbau (auch und gerade im ländlichen Raum, wo viele Libyer in den letzten Jahrzehnten zum ersten Mal überhaupt Wohnungen mit Wasser, Strom und Kanalisation bezogen haben) und das Gesundheitssystem (Medikamente haben symbolische Preise, arbeitslose europäische Ärzte werden ins Land geholt - Allerdings ist der Job alles andere als ungefährlich: Als 393 Kinder in Benghazi an AIDS erkrankten, wurden ein bulgarischer und ein palästinensischer Arzt sowie fünf bulgarische Krankenschwestern dafür verantwortlich gemacht, die dies angeblich absichtlich arrangiert hatten. Schuldig gesprochen sind sie schon, die Strafverkündung - es droht die Todesstrafe- steht im Dezember an. ). Überhaupt gibt es keine bittere Armut in der Libysch-Arabischen Volks-Jamahirya3, die nach wie vor auch Groß und Sozialistisch ist.
Libyen und Qaddafi können sich es leisten, sitzt doch eine kleine Bevölkerung von 5-6 Millionen Menschen auf gigantischen Erdölvorkommen, die Libyen per capita zum reichsten Land Afrikas machen.4 Materiell zufriedene Menschen sind selten mit irgendeinem Regime unzufrieden, und solange die Bevölkerung stabil hinter Qaddafi steht, kann dieser ihr im Gegenzug viele Freiheiten lassen.
Zu diesen Freiheiten gehört auch der Zugriff aufs Netz. Internetzugriff ist sowohl von Zuhause aus als auch in Internet-Cafés möglich. Der Verkauf von Hard- und Software scheint keinen Beschränkungen unterworfen. Auch in Landstädten finden sich regelmäßig Computerläden.
Internet zu Hause ist nicht teuer: Ca. 1,50 Dinar pro Stunde werden fällig, mithin ca. zwei Mark, also etwa soviel, wie ein günstiger Call-by-Call-Provider in Deutschland berechnet. Da einem Libyer natürlich nicht soviel Geld zur Verfügung steht, schmerzt es ihn mehr als einen Deutschen. Zudem ist Hardware als Importware nicht billig. Daher sind Internetcafés in Libyen ebenso verbreitet wie gut besucht.
Internetcafés berechnen normalerweise 2,50 Dinar die Stunde, also etwa 3,50 Mark, auch dies ein sehr ordentlicher Preis, der einem Libyer natürlich aus Gründen der Kaufkraftparität deutlich höher erscheinen muss. Wirklich erstaunlich ist, wie viele Internetpoints existieren: Jedes Provinznest scheint einen oder zwei zu besitzen, in Großstädten gibt es sie überall, und, allen europäischen Flughäfen zur Nachahmung empfohlen, im Abflugbereich des Flughafens Tripoli, also direkt vor dem Gate, kann man seine letzten Dinar noch absurfen.
Das hauptsächliche technische Problem ist, dass die Leitungen mit großer Regelmäßigkeit zusammenbrechen. Normalerweise klappt die Wiedereinwahl nach wenigen Sekunden (oder Minuten), dennoch nervt dies sehr.
Es scheint keine spezielle Internetgesetzgebung zu existieren. Streng verboten ist (wie bei Print und TV) Pornografie und politisch Anstößiges. Zwar laufen alle Internetleitungen über die staatliche Telekommunikationsgesellschaft (dazu gleich mehr), aber Libyen verzichtet anscheinend auf einen Zwangsproxy. (So meine Informanten. Auch die reporters sans frontiers haben bei Libyen - im Gegensatz zu Singapur, China oder auch Deutschland - nichts auszusetzen. Interessanterweise warf dieselbe Organisation noch vor einem Dreivierteljahr Libyen vor, es würde seine Bürger vom Internet abschotten. Die Cafés, die ich in Autopsie gesehen habe, eröffneten aber nach Eigenauskunft jeweils vor 2-3 Jahren....Auch wird offensichtlich nicht mitprotokolliert, welche Internetzugriffe erfolgen. Denn während es in Europa unmöglich wäre, ohne Vorzeigen des Ausweises einen Internetplatz zu bekommen, war das in Libyen nicht immer, aber meist so. Daraus darf man schließen, dass sich die Cafébesitzer offenbar nicht strikt überwacht fühlen.)
Alle Leitungen laufen über die staatliche Telefongesellschaft, die GPCT (General Posts and Communications Company) die alle Post- und Telefondienste im Lande monopolisiert und sich strukturell gut mit der alten Bundespost vergleichen lässt. Mehrere Provider teilen sich den Markt auf, die MWC (Modern World Communications) und die LTT (Libya Telecom & Technology) sind die mit Abstand größten.
Libyen investiert nicht nur massiv in den Straßenbau, sondern auch in die Dateninfrastruktur. Derzeit wird ein riesiges Glasfaserkabel an der ganzen libyischen Küste entlang verlegt, das das Land schließlich mit Italien vernetzen soll. Das 1.600 km-Projekt hat Alcatel einen $70-Millionen-Auftrag eingebracht.
Die ccTLD für Libyen wäre eigentlich .ly, allerdings scheint diese Domain bei den Libyern wenig Interesse zu finden. Wer die Links oben überfahren hat, wird gemerkt haben, dass diese jeweils auf .com oder .net enden. Eigentlich alle Domains, die einem in Libyen unterkommen, sind aus diesem Bereich. Das ist um so erstaunlicher, als jeder Libyer - auch Auslandslibyer - einen kostenlosen (!) Anspruch auf eine .ly-Domain haben. Eigentlich ist .ly sehr attraktiv, denn damit lassen sich Domains wie sure.ly (vergeben an eine Niederländerin), dai.ly (vergeben an einen Koreaner) oder sil.ly (vergeben an eine Amerikanerin mit arabischem Nachnamen) basteln. Vielleicht halten echte Libyer .ly-Adressen für Grabber-Ware und meiden sie deswegen.
Libyer geben zu allermeist (und das gilt auch für staatliche Institutionen) Freemail-Adressen als Mailadressen an. Interessanterweise hat sich mailcity.com, eine Freemail-Domain von Lycos, einen besonders großen Marktanteil erarbeitet. So gibt die GPCT offizielle eine Mailcity.com-Adresse an und das große Tourismusunternehmen Rose de Sable pinselt die eigene Mailcity.com-Adresse auf alle Busse.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Libyer aufgrund ihrer Englischkenntnisse und der bezahlbar sowie weitflächig zur Verfügung stehenden Internet-Infrastrukur alle Möglichkeiten haben, dieses Medium zu nutzen. Dass dies auch geschieht, zeigen die regelmäßig überfüllten Internetcafés.
Anhang: Libyen und der 11. September
Qaddafis Unterstützung Amerikas kommt nicht sonderlich überraschend. In der letzter Zeit hat sich Qaddafi immer mehr an den Westen angenähert, bei der Bundesregierung hat er seit dem Wallner-Freikauf ohnehin noch einen Gefallen offen. Es ist nur logisch, dass er den Schulterschluss mit Amerika übt, zumal der Gegner ein gemeinsamer ist: Im Gegensatz zu seinen bevölkerungsreichen Nachbarn Algerien und Ägypten blieb das kleine Libyen bislang nämlich von islamischem Terror verschont (was es nicht zuletzt der gewitzten Politik Qaddafis verdankt, der zwar einerseits gerne mit dem grünen Banner wedelt und sich islamisch gibt, ansonsten aber Jahrzehnte vor der Luftwaffe Frauen als Kampfpilotinnen hatte). Seit ein paar Jahren versucht aber eine Terrororganisation, die FIG (The Fighting Islamic Group in Libya), auch in diesem Land den Frieden zu beenden. Die USA setzte auch die FIG auf ihre Liste der gut zwei Dutzend Terrororganisationen der Welt. Dies darf man wohl so interpretieren, dass nun auch die Amerikaner den ersten Schritt auf Libyen zu gemacht haben.