"Das Licht": Verzweiflung und Leere in der schwarz-grünen Mitte Deutschlands

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Magischer Irrealismus: Tom Tykwer erzählt vom Berliner Narzissmus und Wohlstandskindern. Warum der Film trotz Schwächen fasziniert.
"Wir sind eine ganz normale typische deutsche dysfunktionale Familie, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht und sich einen Scheiß um den anderen schert" – so analysiert Frieda, die neunmalkluge 17-jährige Tochter (Elke Biesendorfer), ihre eigene Familie, mit der sie natürlich selber nichts zu tun hat.
Diese Tochter ist wahrscheinlich die interessanteste Figur in diesem Film weil sie die verräterischste ist.
Zum einen ist die Schauspielerin die am wenigsten erfahrenste, weswegen ihr jene abgeklärte Professionalität abgeht, mit der die anderen Schauspielkollegen die unglaublich miserablen, an jeder Stelle behaupteten, undurchdachten, immer zwei Nummern zu groß daherkommenden Drehbuchssätze dieses Films doch irgendwie noch mundgerecht aussprechbar machen.
Elke Biesendorfer kann sie jedenfalls nicht aussprechen. Und, weil sie es trotzdem muss, merkt man hier an, wie schlecht diese Sätze eigentlich geschrieben sind.
Diese Tochter, die betont burschikos und unweiblich aussehend gecastet ist, sieht man auch als Klimaaktivistin, was den Verfremdungseffekt noch steigert: Keinem der jugendlichen Wohlstandkinder nimmt auch nur entfernt ab, an Revolution zu denken, geschweige denn zu ihr fähig zu sein.
So ist schon hier aber auch alles behauptet: Die Gemeinschaftsgefühle der Clubkultur, der Klimaaktivismus, das Gaming des Nerd-Sohns, und vor allem nicht die Normalität, die die Charaktere dann doch noch haben.
Meditation ohne Substanz
Dieser Film handelt von der Verzweiflung und der Leere in der schwarz-grünen Mitte der deutschen Republik.
Vor allem aber handelt er von Hybris. Von der Hybris eines Regisseurs, der offenbar ernsthaft zugleich individuelle Lebensbilanz wie Diagnose einer großen Zivilisationskrise auf die Leinwand bringen will, der sich und seine Ehetherapie also mit dem Großen, Ganzen identifiziert.
"Tom Tykwer ist der Filmemacher der Berliner Republik", schreibt der tip.
Aber seit er 1998 mit dem wahnwitzigen überbordenen "Lola rennt" aus dem Nichts das deutsche Kino in rasante Bewegung versetzte, ist sein eigenes Kino immer langsamer geworden, bis es heute im Schneckengang auf der Stelle verharrt. Mag die Absicht noch plausibel gewesen sein, "Lola rennt" nicht zu wiederholen, hat man inzwischen das Gefühl: Der Mann kann es nicht besser.
Er hat über die "Lola"-Vermeidungsbewegung verlernt, noch Filme zu machen, die pulsieren. "Das Licht" wirkt wie der große Stillstandsgegenentwurf zu "Lola rennt". Nichts von dem alten Berlin ist hier noch übrig, außer als Schatten der Abwesenheit.
Tom Tykwer (geb. 1965) ist ein Regisseur, der schon immer die Grenzen des Kinos ausloten wollte. Man kennt ihn als einen Meister des Verknüpfens der Erzählstränge, der filmischen Verdichtung und der Mischung von Unterhaltung und Theorie. Mit seinem neuesten Werk "Das Licht" versucht er sich erneut an einem Stoff mit "tieferer Bedeutung".
Doch das Ergebnis ist ein Film, der sein Publikum nicht nur enttäuscht, weil er es langweilt, sondern weil er es auf einer fundamentaleren Ebene in die Irre führt. Trotz seiner immer sehenswerten, mitunter fesselnden Form handelt es sich um eine Meditation ohne Substanz.
Selbsthass der Wohlstandsgesellschaften
Der Film erzählt die Geschichte von Tim und Milena, einem typischen Berlin-Mitte-Paar: Wohlsituiertes, linksliberales Bildungsbürgertum mit drei Kindern und relativ wenig finanziellen Sorgen. Aber mit den Lebenslügen und Konsumproblem und dem Selbsthass, die für heutige Wohlstandsgesellschaften typisch sind.
Es handelt sich aber eben auch um zwei ein bisschen abgehobene und vergleichsweise weltfremde Exemplare der Privilegierten dieser Welt, weil sie jene nämlich nur von ihrer strahlenden schönen Seite kennen.
In Kenia ist Milena auch – wie die Frau des echten Tom Tykwer – Auftragnehmerin für Regierungsprojekte, in deren Rahmen sie zwar keinen Filmworkshop, aber ein Theater in Nairobi ins Werk setzen möchte. Irgendwann hat die Regierung kein Geld mehr.
Syrerin als umgekehrter Sündenbock
Doch nach einer etwas bemühten Vorgeschichte kommt plötzlich kommt diese Welt, und mit ihr auch deren anderes, unangenehmeres Gesicht zu ihnen, in Gestalt von Farah, einer Psychotherapeutin aus Syrien, die durch Bürgerkrieg und Flucht in Berlin gelandet ist.
Sie sucht Arbeit und wird Haushaltshilfe bei der Familie. Und ziemlich schnell werden dort auch ihre therapeutischen Fähigkeiten gebraucht.
Hier geht es eigentlich schon los: "Das Licht" entfaltet an Farah die Idee des umgekehrten Sündenbocks.
So wie die Migranten für die extreme Rechte an allem und jedem schuld sind und all das symbolisieren, was sie an der existierenden Gesellschaft hasst und zerstören möchte, so symbolisieren sie für die schwarz-grüne bürgerliche Mitte alles das, was die Wohlstandsmenschen an sich selbst kritisieren, wenn sie in den Spiegel blicken.
Die Migranten werden verkörpert durch die polnische Putzfrau und dann die syrische Haushaltshilfe – die auch noch gebildet ist und sehr schön aussieht, und durch ihren Beruf der Psychoanalytikerin genau das klassische Ideal des Bürgertums verkörpert: die Seelenschau, die tiefere Weisheit und Einsicht, ein Ideal, das noch verstärkt wird durch die Eso-Wunderlampe, die die Syrerin mitbringt.
Damit muss die exotische Heilsbringerin im Lauf der nächsten 160 Minuten wirklich eine Menge reparieren.
Wohlstandskritik von Wohlstandsmenschen
"Licht", der neue Film des deutschen Regiestars Tom Tykwer der einst mit "Lola rennt" Weltruhm erntete, seine erste Kinoarbeit seit fast zehn Jahren, in denen er mit "Berlin Babylon" Streaming-Serienerfolge feierte, ist eine Mischung aus Drama und Komödie: Ernste Probleme treffen auf heitere Situationen. Wobei die Probleme überwiegen. und die Esoterik.
Das Ergebnis nach Filmende wirkt leider wie eine Volkshochschul-Version von Hans Küngs "Weltethos". Nichts Schlimmes oder gar Böses also, aber doch ein cheesy Humanismus-Eintopf, der mit der realen Welt unangenehm wenig zu tun hat.
Stattdessen wahnsinnig viel vom inzwischen Mode und Teenie-Habitus gewordenen Selbsthass des Westens, Protest-Gegröle im Greta-Thunberg-Stil und bescheuerte Wohlstandskritik von Wohlstandsmenschen über die jede wirklich arme Mensch nur den Kopf schütteln kann.
Sowie sehr viel New-Age-Esoterik und Licht-Metaphorik. Es ist nämlich eine Zauberlampe, die hier für Magischen Irrealismus sorgt, und verdecken soll, dass dieser Film leider nicht viel zu sagen hat, und vor allem auch nicht sehr gut beobachtet ist.
Leere Symbole und die realistischen Augenblicke
Gerade hier zeigt sich das grundlegende Problem des Films: Er ist mehr an der Inszenierung und Behauptung des Rätselhaften interessiert als an seiner echten Erkundung. Statt sich mit den metaphysischen Implikationen des Lichts auseinanderzusetzen, weidet sich der Film an der bloßen Suggestion von Tiefe.
Tykwer hat eine beachtliche visuelle Sprache entwickelt, die in ihrer Brillanz die Zuschauer immer wieder in den Bann zieht – das Licht flackert und pulsiert, reflektiert sich in den Augen der Protagonisten, zerfällt in Fragmente, die sowohl Verheißung als auch Bedrohung in sich tragen.
Doch solche visuelle Raffinesse täuscht eine Substanz vor, die nicht vorhanden ist. Das Licht ist letztlich nur ein leeres Symbol, ein ästhetischer Effekt ohne echten Gehalt.
Immerhin: In Tom Tykwers Berlin regnet es andauernd. Dies sind die einzigen realistischen Augenblicke dieses Films.
Hier zeigt ein Regisseur diese Stadt endlich einmal ohne allen aufgesetzten Glamour, sondern genauso hässlich, kalt, und unwirtlich, wie sie in Wirklichkeit ist. Hier liegt ein großer Unterschied zum Sonnenschein-Berlin in "Lola rennt" vor einem Vierteljahrhundert.
Mega-narzisstische selbstgerechte Hipster-Familie
Am Ende erzählt der Film vor allem vom Klischee des Trosts durch Fremden: Die Einführung von Haushälterin Farah als fast schon übermenschlicher Heilsbringerin, die mit experimentellen Therapien die Familie zu heilen vermag, wirkt unglaubwürdig und reduziert die komplexe Realität von Migration und Integration auf eine naive Wunschvorstellung.
Farah, die syrische Flüchtlingsfrau wird nämlich zum Katalysator aller Probleme und kuriert die mega-narzisstische selbstgerechte Hipster-Familie sowie alle möglichen anderen Wohlstandsprobleme der Deutschen.
Aber wer tröstet eigentlich Farah? Die syrische Flüchtlingsfrau ist eine neue "Mary Poppins". Sie verkörpert das "Magical Negro"-Klischee in seiner reinsten Form, eine Nicht-Weiße, deren Trauma und orientalisiertes Anderssein sie einzigartig befähigt, jedes Mitglied dieser Familie zu verstehen und ihnen zu helfen, wieder zueinanderzufinden.
Gutgelaunter Film, bedeutungsloses Spektakel
In der letztlichen Komplett-Ignoranz für die Außenseiterperspektive der Syrerin, steht Tykwers gutgelaunter Film durchaus in der Tradition der allerbesten Hollywood-Komödien von Ernst Lubitsch, Preston Sturges und anderen – aber ihm fehlt die Bosheit der Erwähnten, der schwarze Humor und die subtile Ironie, mit der hier im alten Hollywood die Lebenslügen der Wohlstandsgesellschaften auseinandergenommen wurden.
Tykwer ist bekannt für seine visuelle Raffinesse, doch in "Das Licht" scheinen die Bilder oft Selbstzweck zu sein. Die wiederholte Darstellung von Regen und das Spiel mit Licht und Schatten sollen vermutlich die innere Unruhe der Charaktere symbolisieren, wirken jedoch auch manchmal redundant und aufgesetzt.
Die Integration von Musical-Elementen, wie die Einbindung von Queen's Song "Bohemian Rhapsody", erscheint als verzweifelter Versuch, Energie in einen ansonsten träge dahinplätschernden Plot zu mischen. Statt die Musik organisch einzuflechten, destabilisiert sie die ohnehin schon uneinheitliche Tonalität des Films noch weiter.
Die Frage, die bleibt
Am Ende bleibt die Frage, welche Aussage oder Erfahrung "Das Licht" vermitteln möchte. Soll es ein Appell für mehr Empathie und Offenheit gegenüber Migranten sein?
Ein Aufruf zur Selbstreflexion der westlichen Gesellschaft über ihre Werte und Prioritäten? Eine Kritik an der eigenen Komfortzone und der Suche nach Sinn in einer oberflächlichen Welt? Der Film verliert sich in einem Durcheinander von Themen, Stilen und unausgegorenen Behauptungen, die keinen kohärenten Gesamteindruck hinterlassen.
"Das Licht" ist damit ein Film, der viel will, aber wenig erreicht. Er präsentiert sich als tiefgründige Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen, bleibt jedoch in der Umsetzung hinter seinen Ambitionen weit zurück.
Die visuelle Pracht kann über die inhaltliche Leere nicht hinwegtäuschen, und die philosophischen Andeutungen wirken mehr wie substanzlose Gesten, denn wie ernsthafte Reflexionen. Insgesamt bleibt der Film ein flimmernder Schein, der keine Wärme spendet – ein hippes, aber letztlich bedeutungsloses und leeres Spektakel.
Wahrheit und Körperlichkeit
Was "Das Licht" dann aber doch noch halbwegs erträglich macht, ist etwas anderes: Nicolette Krebitz in der Rolle der Ehefrau und Mutter Milena ist wirklich wunderbar und schafft es immer wieder, den papiernen Dialogen nicht nur Leben, sondern Wahrheit und Körperlichkeit einzuflößen.
Nur: warum muss sie in diesem Film so schlecht aussehen, wie noch nie? Warum muss sie die spießigste Frisur der Neuzeit verpasst bekommen?
Das alles ist bewundernswert, denn Krebitz ist viel zu klug dafür. Sie muss es also wohl aus allzuviel Respekt vor Tom Tykwer getan haben. Und vielleicht hat sie ja gehofft, dass es wenigstens komisch wird.
Leider gibt es zwei, drei Szenen, in denen sie von Lars Eidinger an die Wand gespielt wird. Auf der Treppe zum Beispiel. Eidinger, der zwar besser keine Interviews geben sollte, in denen er sich zur Weltpolitik oder gar zu philosophischen Fragen äußert, erweist sich hier als ein ungemein versierter, facettenreicher und – ja! – subtiler Schauspieler.
Vor allem aber: Tom Tykwer ist nämlich trotz allem einfach ein überdurchschnittlich guter Regisseur. Er hat wenigstens eine Handschrift und er ist nach wie vor unglaublich virtuos im Rückgriff auf handwerkliche Mittel und seine Art, Bilder zu gestalten. Nur Drehbücher sollte er nicht mehr schreiben.