Das Nachrichtenstudio als Bastille der tschechischen Demokratie?
Streikende Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders CT gewinnen die Kraftprobe mit Intendant Hodac
Helden oder Opportunisten? Nutzen die streikenden TV-Redakteure die politikfeindliche Stimmung in einer einseitig informierten Bevölkerung für egoistische Zwecke aus? In der Bewertung der Fernsehkrise, die zur veritablen Staatskrise geworden ist, gibt es erstaunliche Meinungsdifferenzen zwischen westlichen Medien und tschechischen Insider-Journalisten. Und welche Rolle spielt das Internet?
Die streikenden Redakteure, die seit drei Wochen Räume des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders CT (Ceska Televize) besetzt halten, haben am Donnerstag einen wichtigen Teilerfolg errungen. Der heftig umstrittene Intendant Jiri Hodac, der mit seinem Amtsantritt am 20.12.00 den Aufstand ausgelöst hatte (vgl. Der Grosse Bruder im Pan-Tau-Land) ist offiziell wegen "gesundheitlicher Probleme" von seinem Amt zurückgetreten. Er hatte vergangene Woche einen Kreislaufkollaps erlitten und musste ins Krankenhaus. Im besetzten Newsroom sah man glückliche junge Redakteure sich um den Hals fallen, bei Großdemonstrationen vieler Bürger, die sich mit den Streikzielen in Prag und anderen Städten solidarisieren, wurde die Nachricht frenetisch bejubelt. Bereits in der Nacht zum Mittwoch hatte die Nachrichtenchefin Jana Bobosikova zähneknirschend bekannt gegeben, dass die Sendungen der Hodac-Redakteure eingestellt seien, gleichzeitig sind die Nachrichten der Protestierenden seitdem wieder ungestört in vollem Umfang über Antenne empfangbar.
Die Fronten bleiben allerdings verhärtet: Bobosikova will Nachrichtenchefin bleiben und beharrt auf den Kündigungen, die sie einigen Redakteuren gegenüber ausgesprochen hatte. Eine weitere wesentliche Forderung der Streikenden, die Auflösung des bestehenden Fernsehrates ist noch unerfüllt, da mehrere Ratsmitglieder sich weigern, zwangsweise auf ihren Posten zu verzichten. Bei einer Parlamentssitzung soll nun ein neues Mediengesetz beschlossen werden, das einen neuen, nicht mehr allein von Parteien dominierten Fernsehrat konstatiert. Wäre es vorstellbar, dass ein Streit um einen unliebsamen ARD-Intendanten oder ZDF-Chefredakteur die Deutschen landesweit auf die Straße bringt? Wohl kaum.
Das Parteienszenario
Die tieferen Ursachen der aktuellen tschechischen Staatskrise rühren an fundamentale Probleme der politisch instabil gewordenen tschechischen Gesellschaft. Denn der Konflikt zwischen den Journalisten und dem Intendanten Hodac wirkt tatsächlich wie ein Katalysator für die Enttäuschung der Tschechen über ihr politisches System und die Lage im Land. Das Parteienszenario: seit den Parlamentswahlen 1998 regiert in Tschechien ein Minderheitskabinett der Sozialdemokraten (CSSD) unter Premier Milos Zeman, das von der rechtsgerichteten Bürgerlichen Partei ODS) des Oppositionsführers Vaclav Klaus durch ein Stillhalteabkommen toleriert wird. Durch die Entwicklung der Fernsehkrise zur Staatskrise ist das Verhältnis zwischen der sich von Hodac absetzenden CSSD und der bis zuletzt an Hodac festhaltenden ODS bereits deutlich abgekühlt. Dem CSSD-ODS-Kartell gegenüber steht als "eigentliche" Opposition das liberal-konservative Viererbündnis 4K, ein Zusammenschluss aus den kleinen Parteien Christdemokraten (KDU-CSL), Freiheitsunion (US), Demokratische Bürgerallianz (ODA) und Demokratische Union (DEU). Das inoffizielle Regierungsbündnis der beiden großen Parteien versucht brüderlich alle wichtigen Institutionen unter seinen Einfluss zu bringen, was die Tschechen mehr und mehr gegen die Regierung aufbrachte. Bei Senatswahlen und Wahlen in neugeschaffenen Kreisen (für eine dezentralisierende Regionalreform, eine von der EU geforderte Voraussetzung für den geplanten Beitritt) mit sehr niedriger Wahlbeteiligung im November 2000 erlitten besonders die Sozialdemokraten starke Verluste, das Viererbündnis 4K konnte demgegenüber Zuwächse verzeichnen. Dass die im Aufwind befindliche 4K die ODS-feindliche Stimmung beherzt nutzt, liegt auf der Hand.
Das Personenszenario
Im Mittelpunkt stand bis zu seinem Rücktritt der am 20.12.00 eingesetzte TV-Intendant Jiri Hodac. Hodac, der 1980 in den Westen flüchtete und bei der BBC in London sowie in Australien arbeitete gilt als unnahbarer Workaholic und als führungsschwach. Seit langem werden ihm enge Kontakte zur ODS nachgesagt, was die Streikenden als Hauptargument für ihren Kampf gegen parteipolitische Vereinnahmung ins Feld führten. Der Schattenmann hinter Hodac ist der in Tschechien genauso kontrovers diskutierte 59-jährigeVaclav Klaus. Klaus, ein profilierter Wirtschaftswissenschaftler, war von 1993 bis 1997 Ministerpräsident und ist seit 1998 Parlamentspräsident. Er gilt seit seiner Regierungszeit als rücksichtsloser Verfechter einer am Thatcherismus orientierten neoliberalen Marktwirtschaft und skrupelloser Machtpolitiker mit Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten.
Der gütige, haarige Geist von John Lennon...
Klaus` natürlicher Gegenspieler ist daher der im Volk beliebte, seit 1993 amtierende Staatspräsident Vaclav Havel, die dichtende Ikone der "Samtenen Revolution" von 1989. Der Anhänger einer Bürgergesellschaft mit sozialem Gewissen hat als langjähriger Bürgerrechtler und Kettenraucher nicht nur K.-u.-K. (Kommunismus und Krebs) überlebt - er will verhindern, dass Vacluido Klausewelle 2003 der neue Präsident Tschechiens wird und hat daher unverhohlen für die streikenden Journalisten Partei ergriffen. Premier Milos Zeman beschuldigte Havel daraufhin in einer Fernsehrede unverhohlen der Kollaboration mit Gesetzesbrechern und forderte den Präsidenten zum Rücktritt auf. Der 56-jährige Zeman, der sich während der 89er Revolution dem Bürgerforum anschloss, war ab 1996 Parlamentssprecher und wurde 1998 zum Premier der auf die ODS angewiesenen sozialdemokratischen Minderheitsregierung gewählt.
Die tschechische Bevölkerung sieht in der Fernsehkrise offenbar einen Ausfluss des Ränkespiels der Großparteien. Doch manche mit der tschechischen Medienszene vertraute Publizisten interpretieren die Krise etwas anders. Der Journalist James Partridge beklagt die Manipulation der Massendemonstration am 3.1.01 auf dem Prager Wenzelsplatz durch die Organisatoren aus dem sympathisierenden Oppositionslager. Es sei ja mehr eine Anti-ODS- als eine Pro-CT-Demo gewesen. Schlimmer noch: ein Gruß-Telegramm des unvermeidlichen internationalen Berufshumanisten Peter Gabriel wurde bejubelt und sogar der gütige, haarige Geist von John Lennon heraufbeschworen. Überhaupt sei auch die in den westlichen Medien beförderte Version, dass die Einsetzung von Hodac und der Nachrichtenchefin Jana Bobosikova ein Putschversuch von Vaclav Klaus und seiner neoliberalen Demokratischen Bürgerpartei ODS sei, um das unabhängige Fernsehen unter seine Kontrolle zu bringen sei - tätä, falsch!
..eine kesse Dame...
In dem seit April 1998 unternommenen Versuch mehrerer Intendaten und News-Chefs, die angeblich politisch rückgratlose und wenig professionelle Berichterstattung bei CT zu verbessern, hätten Hodac und insbesondere Jana Bobosikova eine positive Rolle gespielt. Bobosikova habe ein nach damaligen Maßstäben bei CT fortschrittliches Programm "21"(Tagesthemen) gemacht und es als Moderatorin sogar einmal gewagt, den gefürchteten Vaclav Klaus bei einer TV-Diskussion zu brüskieren. Was Partridge herunterzuspielen versucht: die kesse Dame ging nach ihrer Zeit bei CT als Beraterin ausgerechnet zur ODS und präsentierte vor einigen Monaten mit Klaus auch ganz zufällig dessen neue Homepage im Internet. Jedenfalls habe Bobsikova 1998 bis zu ihrem erzwungenem Abgang mit dem von den Redakteuren boykottierten reformwilligen Intendanten Ivan Kytka Positives geleistet, sich damit aber in der "schluffigen" Redaktion Feinde gemacht. Bei ihrer Rückkehr am 24.12.00 (ausgerechnet) als von Hodac bestellte Nachrichtenchefin hätten ihre Gegner als Weihnachtsbescherung die Begleichung alter Rechnungen befürchten müssen. Die perfide Idee der zu jungen (und damit karrieregeil opportunistischen) Redakteure sei gewesen, den drohenden Verlust des Jobs wegen mangelnder fachlicher Eignung als Kampf um Freiheit und journalistische Unabhängigkeit zu verbrämen, begünstigt durch die speziell Klaus-feindliche Stimmung in der Bevölkerung .
Ins gleiche Horn stößt der 48-jährige Publizist Jan Culik, der seit 1978 als Mediendozent an Universitäten in Großbritannien wirkte und als Journalist für die BBC (wie Hodac!) und Radio Free Europe arbeitete. Er lehrt gegenwärtig in Glasgow. Culik und ist daneben auch Herausgeber der seit 1996 täglich erscheinenden Online-Zeitung BritskeŽ Listy für Politik und Kultur. Ähnlich wie sein Kollege Andrew Stroehlein (der übrigens Hodac verdächtig ähnlich sieht) geißelt Culik spöttisch die argumentative Irrationalität mancher Protestierender: "Tschechien wird noch ärmer, daher protestiere ich gegen Hodac" meinte ein Demonstrant.
Die CT-Journalisten, so Culik, seien entgegen ihrer Selbstdarstellung unfähig zu unabhängiger Analyse und auch nicht, wie behauptet, politisch neutral. Sie ließen sich schließlich durch Besuche oppositioneller Politiker in den Senderräumen unterstützen und hätten sich durch das Bündnis mit diesen selbst diskreditiert. Es handle sich letztendlich um einen politischen Machtkampf zwischen Vaclav Havel und Vaclav Klaus, nicht um einen heroischen Kampf um Redefreiheit. Der wahre Grund für die Absetzung des Hodac-Vorgängers Chmelicek sei dessen Mauertaktik bei der Untersuchung undurchsichtiger Finanzströme bei CT gewesen. Hodac sei zudem bei der Nachfolge-Diskussion im Fernsehrat nach der Demission Chmeliceks nur Kompromisskandidat, nicht Wunschkandidat der ODS gewesen. Die befürchtete Zensur gebe es bei CT im übrigen schon längst: bei der Berichterstattung über die Herbsttagung von Internationalem Währungsfond und Weltbank in Prag im September 2000 seien Bilder vom brutalen Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten im Fernsehen nicht gezeigt worden.
..und der politisch absolut wertneutrale Eunuch als Redakteur
Dagegen sei die Online-Publikation Britske Listy nach Culik absolut unabhängig und wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern gemacht, was eine einzigartige Stellung in der tschechischen Medienlandschaft sichere. Culik glaubt an die Mediendemokratie und schreibt geradezu emphatisch im englischsprachigen CER-Forum:
Good television news greatly helps the development of democracy
. Fragt sich nur, was für Culik "gute" Nachrichten sind. Der politisch absolut wertneutrale Eunuch als Redakteur muss wohl erst noch geschnitzt - oder in Form von Roboter-Redakteuren installiert werden. Culik beklagt etwas selbstmitleidig, dass "Britske Listy" die Vorgänge bei CT ab 1998 mit den gescheiterten Reformversuchen des "mittelmäßigen" Nachrichten-Fernsehens im post-kommunistischen Tschechien genau untersucht habe, aber nur Politiker und Medienleute hätten wegen begrenzten Netz-Zugangs die Möglichkeit, sich aus BL zu informieren. BL sei auch in erster Linie die Absetzung von Chmelicek zu verdanken, da das Mitglied des Fernsehrates Jana Dedeckova Informationen aus BL über undurchsichtige Finanzbewegungen im Sender gehabt habe und dem daraufhin nachgegangen sei. Der Mann auf der Straße ohne Internet-Zugang wisse darüber nicht Bescheid. Pech für Culik ist, dass die Medien hierzulande (und in anderen westlichen Ländern) auch die "manipulierte" Meinung verbreiten und nicht seine. Weder in der Süddeutschen Zeitung, noch in der Welt, Zeit, FAZ oder Berliner Zeitung wird der Zustand der CT-Redaktion als so fachlich mittelmäßig und opportunistisch abqualifiziert und die Solidarisierung der Bevölkerung als irrational und fehlgeleitet diskreditiert.
Die Bedeutung der tschechischen Fernseh-Revolution geht weit über die Grenzen Tschechiens hinaus. Die IG Medien will jetzt eine Anregung der Streikenden bei CT zur Abhaltung eines Kongresses über "Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa" in Prag aufgreifen. Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Sprecher der IG Medien erklärte: "Prag ist jetzt der richtige Ort, um ein Signal für einen freien, staatsunabhängigen Rundfunk in Europa zu setzen".