Das Rotlicht-Milieu im Cyberspace

SMS-Schreiber, steigende Aktienkurse, und die Debatte über Cybererotik in China

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Das chinesische Internet mit nennenswerter Größenordnung und Kontur hat eigentlich nur etwa eine Geschichte von fünf Jahren. Aber was sein Image und seinen Zustand angeht, so hat es schon mehrere Metamorphosen erlebt: Vor dem Jahr 2000 waren die Internetunternehmen Chinas typische, von Risikokapital gefütterte Firmen "Neureicher". Zwischen 2000 und 2002 waren sie das bedauerte "Findelkind" des Kapitals und der Presse, "armselige" Farbtupfer im Universum des Marktes. Seit 2002 sind sie, angetrieben vor allem vom SMS-Geschäft (mit drei Megaportalen an der Spitze), begleitet von den Shengda Online-Spielen, von Tengxun QQ usw., wieder "Parvenüs" des Kapitals und des Marktes geworden. Die jüngste Verbesserung der Gewinnbilanzen lässt die chinesischen Internetunternehmen zum ersten Mal erfahren, wie das Geldverdienen schmeckt. Mehr noch: Man wundert sich auf einmal, wie einfach es ist, Geld zu verdienen!

Vor drei Jahren glaubten die Internetmacher in China noch, ihr Arbeitsbereich sei viel sauberer als die meisten anderen. Immerhin waren in dieser Branche neben den Neureichen noch ein paar Idealisten da, die eine technische Revolution vorantreiben wollten. Inzwischen scheinen viele so genannte "digitale Helden" mit ihrem neuen Metier - dem Geschäft mit "erotischen" oder quasi-erotischen Angeboten - ihren Ruf aufs Spiel gesetzt zu haben, so die Kritiker. Mit dem florierenden SMS-Service als Wendepunkt, so heißt es, sei das Internet in China nun ein Schauplatz der "Erotik"-Gala geworden; und die Stars seien die führenden Service Provider.

Ein neuer Beruf: SMS-Schreiber

Als Tausende und Abertausende von Internetnutzern in China angefangen haben, "schnell, schnell" auf der Tastatur SMS-Texte zu schreiben, ist ein neuer Beruf entstanden: der des SMS-Schreibers. Sie schreiben natürlich in erster Linie nicht etwa den eigenen Bekannten und Freunden, sondern für die großen Service Provider. Es handelt sich also um eine Art Akkordarbeit, bezahlt nach dem Motto: Jedem nach seinen Leistungen. Und der Bedarf nach dieser Art Arbeit ist groß.

Allein in den sieben Tagen des Frühlingsfestes 2003 haben die chinesischen Handy-Besitzer durchschnittlich über 40 SMS-Messages gesendet, in Peking insgesamt über 7 Milliarden. In der angebrochenen digitalen Zeit scheint es den Internetnutzern wirklich sehr altmodisch zu sein, einen Neujahrsgruß noch mit der Hand zu schreiben. Man hat natürlich auch nicht mehr so viel Zeit, einzelne Grüße zu schreiben. Alles ist doch da - im Netz!

Während immer mehr chinesische Internetnutzer mit großem Interesse SMS-Texte downloaden und weiterleiten, sind die "kreativen" Schreiber gefragt. Die Megaportale wie Sina.com und Sohu.com haben alle ihren Profi-Schreiber, die ununterbrochen SMS-Texte produzieren - von humorvollen bis hin zu ganz kuriosen. Ihr Gehalt ist offensichtlich zum Teil beträchtlich, nicht wenige von ihnen haben ein Einkommen von 5.000 oder 6.000 Yuan pro Monat, manche noch mehr (für einen Durchschnittschinesen sind 700 Yuan schon das ganze Monatseinkommen). Sehr anspruchsvoll ist der Beruf nicht: Der SMS-Schreiber soll vor allem viel Humor haben, und auch ein Gespür für virulente gesellschaftliche Interessen. Das ist schon alles.

Seit Jahren hat der SMS-Service ohne Zweifel eine Schlüsselrolle gespielt für den Zuwachs der Einnahmen bei vielen großen Service Providern. Gewiss hat dieses Geschäft auch nicht wenige chinesische SPs vor ihrem ansonsten sicheren Bankrott gerettet. Inzwischen sind für viele SPs die Einnahmen durch den SMS-Service sogar von entscheidender Bedeutung. Es geht dabei nicht selten sogar um "Leben und Tod" der Firmen. Im Moment leben sie gut. Die Umsätze durch SMS-Service lassen andere vor Neid erblassen; natürlich vollzieht sich das alles nicht ohne heftige Kämpfe innerhalb der Branche - um Kunden.

SMS-Allianzen

Vor diesem Hintergrund haben die großen Portale - eins nach dem anderen - ihre spezifischen SMS-Allianzen geschlossen; die kleinen privaten Websites und Homepages, welche bei dem rentablen Geschäft mitverdienen wollen, haben sich "in Schwärmen" vertraglich zur Kooperation verpflichtet. Eine Zeit lang hatte Netease.com, die Firma, die als erste in China im Jahr 2001 ihre SMS-Allianz ins Leben gerufen hat, sage und schreibe ca. 500.000 untergeordnete private Websites als Partner; Tom.com hat es auf über 10.000 gebracht. Die anderen zwei Großen, Sohu.com und Sina.com, die erst im Jahr 2002 ihre SMS-Bündnisse etabliert haben, verfügen jeweils über ein paar tausend kooperierenden Websites. Im Grunde geht es nach dem bekannten Schnellball-System. Je mehr "Mitarbeiter", desto besser.

Sobald ein SMS-Text bei den Portalen veröffentlicht ist, bekommt der kleine Kooperationspartner als Provision 25% des durch Downloaden des einschlägigen SMS-Textes erwirtschafteten Profits. Die Großen behalten natürlich den Löwenteil. Mit SMS-Plattformen der großen Service Provider als Drehscheiben und unzähligen kleinen Lieferanten-Websites hat sich sozusagen eine "Produktionskette" aufgetan. Und es funktioniert wie geschmiert: Nach der Allianzschließung haben sich z.B. die SMS-Einnahmen von Tom.com von früher ca. 6.000 Yuan pro Monat steil nach oben auf 10 Millionen Yuan erhöht, in guten Monaten sind es sogar 20 Millionen Yuan. Zu den Profiteuren gehören selbstverständlich auch die großen Netzbetreiber; im Jahr 2002 haben China Mobile und China Unicom jeweils 80 bzw. 10,6 Milliarden SMS-Messages transferiert und damit 10 Milliarden Yuan (ca. 1,2 Milliarden Euro) erwirtschaftet.

Als Ding Lei, der Gründer von Netease.com und inzwischen auch der reichste Mann in China, geradezu begeistert sagte, man verdiene selbst im Schlaf Millionen, als zigtausende SMS-Schreiber gerade von noch mehr Geld träumten, entschied am 1. August 2003 China Mobile, alle Geschäftsaufträge der SMS-Allianzen für drei Monate einzufrieren, um schließlich die Bündnisse zu zerschlagen. Also eine miese Nachricht für die Service Provider, vor allem aber ein harter Schlag für jene SPs, bei denen der SMS-Service das A und O des Geschäftes ist. In der Branche rätselt man gerade, ob es sich nur um vorübergehende Regulierung handelt oder doch um das endgültige Aus. Eins steht aber fest: Tausende und Abertausende von SMS-Schreibern haben erst einmal ihre Arbeitsplätze in SOHO (small office, home office) verloren.

Ist "Erotik" daran schuld?

Es sind angeblich die SMS-Allianzen, die in nie gekannter Weise auch ein "Erotik"-Netz in China aufgebaut haben. Dabei vergisst man offensichtlich, dass über Suchmaschinen alle möglichen "Erotik"-Sites aus aller Welt abzurufen sind: ein Angebot, das schon längst vor der Allianzschließung bestand. Seit es das Internet gibt, finden die "heißen" Bilder und Filme ja ohnehin ihren Weg auch nach China. Und schon längst kennt man unter den Netizens eine bestimmte Begrüßungsform, etwa im Büro oder in der Kantine: "Hi! Hast du inzwischen wieder tolle Webs entdeckt?" Offensichtlich gilt auch für China, wie überall auf der Welt: Was verboten ist, ist begehrt. Publizierte, kommerzialisierte "Erotik" ist in China mindestens dem Gesetz zufolge verboten.

Aber die "Stärke" der Allianzen ist die unendliche Zahl gesendeter SMS-Texte. Um die Kunden in ihren Bann zu ziehen, bieten nicht wenige private Websites in einer Allianz - gefangen in der Ökonomie der Aufmerksamkeit und erpicht auf die Maximierung der Pageviews (was auch heißt, des aus Werbeeinnahmen sich ergebenden Profits) - fast nur "erotische" SMS-Texte an. Über das Erotische dieser "Erotik" kann man streiten: Vielleicht verwirklicht sich die Erotik ja in der Tat weitaus mehr in der Imagination des Rezipienten, in seinen Gedanken und sprachlichen Äußerungen als in dem textilfreien Anblick.

Zuvor aber werden über das Medium Internet alle möglichen "Erotik"-Witze und -"Axiome", Erfahrungen, Vorstellungen und Träume von Lohnschreiberlingen industriell produziert, gesammelt und "geballt" verbreitet. Seit einem Jahr ist diese "Cybererotik" im chinesischen Internet stark geprägt von entsprechenden SMS-Angeboten und von Softpornos. Im Anbetracht ihrer stark gewachsenen Zahl nennt man derartige Anbieter schon eine "Erotik-Armee", die allerdings am Rande der Legalität arbeiten. Diese einfallsreichen privaten Web-Besitzer haben angeblich sogar Monatseinkommen von 100.000 Yuan.

Man erinnert sich noch an jene Aufbruchszeit des Internet in China, als die Kritiker über einen schon abfahrenden Cyber-Express sprachen und davon, ob die Chinesen wieder den Zug verpasst hätten oder sich doch noch beeilen und gerade noch aufspringen könnten. Diesmal hat man wohl den weltweiten Trend der Erotikvermarktung nicht verpasst. In den kostenlosen mailboxes bei den großen Service Providern bekommt man jeden Tag 5 bis 10 "Erotik-Mails", gleichgültig, ob der Empfänger schon mündig ist oder nicht (nach der neuesten Statistik sind 17,1% der chinesischen Internetnutzer unter 18 Jahren). Man vergleicht nun die großen Service Provider mit Autobahn-Betreibern, die nur die Maut einstreichen und sich überhaupt nicht darum kümmern, was die Autoren, also die kooperierenden kleinen Websites, dort transportieren und zur Schau stellen.

Vergleichen diese wichtigen Portale ihre Einnahmen, vergleichen sie seit einiger Zeit vor allem die Umsätze durch den SMS-Service. Dass die im Nasdaq ablesbaren Aktienkurse der drei chinesischen Megaportalen sich seit dem Frühlingsfest 2003 im Höhenflug befinden (inzwischen haben diese ehemaligen Penny-Stocks ihren Wert bereits verdreißigfacht oder verfünfzigfacht), ist in erster Linie auch den in den Bilanzen sich niederschlagenden hohen Einnahmen aus dem SMS-Service zu verdanken. Tendenz steigend.

Ein kurzer Blick auf die Statistik: Im ersten Quartal 2003 verdiente Sina.com durch SMS-Service ca. 4,5 Millionen US$, Sohu.com ca. 8,7 Millionen, Netease.com ca. 6,5 Millionen. Im ganzen Jahr 2002 verdiente Sina.com durch SMS-Service 9,1 Millionen US-$, Netease.com 10,1 Millionen. Das heißt, im ersten Quartal dieses Jahres haben die beiden Portale schon die Hälfte des im vergangenen Jahr durch SMS-Service erwirtschafteten Gewinns erreicht, während die SMS-Einnahmen von Sohu.com innerhalb desselben Quartals bereits der ganzen Summe des im vorigen Jahr hierdurch erwirtschafteten Profits gleichkommen.

"Es ist furchterregend, wenn eine Nation sich einer extremen Kultur hingibt", so kommentierte kürzlich ein Leserbrief die Entwicklung und explizierte sarkastisch: "Von einem extrem politischen Fanatismus zu einem extremen Mammonismus und - zu dem heutigen Erotismus". Vergleicht man die finanziellen Erfolge der Anbieter von SMS-Service, so vergleiche man de facto, wer mehr "Erotik" anbietet, sagen die Insider.

Von dem dadurch erwirtschafteten Profit bekommt der Netzbetreiber 15%, der Service Provider 85%; handelt es sich um einen SMS-Text, den ein Allianzpartner zur Verfügung stellte, muss man diesem noch 25% abtreten. Letztendlich sind die Portale die größten Gewinner des ganzen Geschäftes. Getrieben von ihrem "Geschäftssinn" haben die Megaportale - egal, ob kalkuliert oder nicht - durch die SMS-Allianzen eine gewaltige "Erotikwelle" ausgelöst. So kam es dann auch in diesem Sommer zu einer heftigen Debatte über die "erotischen" Angebote im Internet. Hinzu kam in diesem Moment plötzlich auch Druck von oben und die erwähnte Maßnahme von China Mobile. Inzwischen nennt man das Ganze ironisch die "Erotikkrise".

Puff im Netz?

Die heftigste Attacke erfolgte im Juni in Gestalt eines Artikels mit dem Titel "Bordellbetreiber - Über die Erotik im Internet". Der Verfasser zieht Parallelen zwischen den CEOs der chinesischen Megaportale und Puffmüttern, da ihre Websites einfach "Cyber-Tempel der Erotik" seien: "Erotische" SMS-Texte seien quasi das Aushängeschild ihres Bordells; der "Raum beider Geschlechter" sei ihr Nuttenstar; net communities wie "Rendezvous für die Nutzer der selben Stadt" sei ihr bestes Callgirl; die Rubrik "erotische News" sei die geilste Stripperin; der Chatroom sei nebenberuflich ein Pin-Up-Girl; den SMS-Monats-Abo-Service verglich man mit einem nicht registrierten "Strichmädchen". Während die Megaportale ihre "erotischen Angebote" noch mit literarischen Linkkennzeichnungen zu verdecken suchten, so kritisierte man, zeigten hingegen die kleinen Partner ohne Umschweife die nackte Tatsachen.

Die überwiegende Mehrheit der Leser bzw. Nutzer betrachten den Verfasser dieses Textes als einen verdächtigen Moralisten, der nichts anderes beabsichtige als sich mit seinen "Verleumdungen" einen Namen zu machen. Man verglich dabei die einschlägigen chinesischen Websites mit den westlichen und kam zu dem Schluss, dass der Initiator dieser Debatte, der überall "Puffzonen" und ein "Rotlichtmilieu" im Netz gesehen haben will, überhaupt keine Ahnung habe, was Erotik sei.

Bekannt ist der Mann tatsächlich geworden. Kurz nach seinem bissigen Artikel hat derselbe Autor einen offenen Brief an die CEOs von Sohu, Netease und Sina geschrieben und fragte nicht nur, ob man noch Geld verdienen könnte, wenn man auf die fraglichen "erotischen Angebote" verzichte. Er fragte auch noch, wie viel oder inwiefern die Jugendlichen unter 18 zu den hohen Einnahmen durch "erotische SMS-Dienstleistungen" beigetragen hätten. Die stärkste und auch häufigste Argumentation im Zuge des "Feldzugs" gegen die "Erotikseuchen" beruft sich selbstverständlich auf den Jugendschutz. Man fragt nach Gewissen und sozialer Verantwortung, auch nach Kontrollmaßnahmen seitens der Service Provider und einem Eingreifen der Regierung.

Kurios war an der vermeintlichen oder tatsächlichen Erotik-Welle im chinesischen Internet auf jeden Fall, dass die Kontrollbehörden der Regierung (unverkennbar hatte ja der Staat auch Profit daraus geschlagen, denken wir an China Mobile und China-Unicom) bis zuletzt so taten, als hätten sie gar nichts von der ganzen Entwicklung gewusst, obwohl sie eigentlich resolut "erotische Produkte" verbieten. Bis es endlich so weit war, befanden sich zudem fast alle bekannten Portale mit ihren Allianzpartnern, wie manche nun glauben wollen, bereits im "Minenfeld". Inzwischen heißt es hier und dort: Eine Zeitbombe tickt gerade - im pan-sexuellen Web. Und erst in diesem Moment spricht man auch in der Presse über die Verletzung der dominanten rechtlichen und gesellschaftlichen Auffassung.

Eine merkwürdige Debatte

Konfuzius sagte schon, das Bedürfnis zu essen und der Geschlechtstrieb lägen in der Natur des Menschen. Nicht unbekannt ist aber in China auch ein Jahrtausende alter Asketismus, und zwar insbesondere dessen ideologisches Pendant - die rationalistische Schule des Neokonfuzianismus in der Song- und Ming-Dynastie, die notorisch "cun tianli, mie renyu" (sich dem himmlischen Sinn einschmiegen, Triebe und Begierden bekämpfen) propagierte.

Heute fühlen sich in der Regel die Leute, die sich nach der Öffnung des Landes im Zuge der Wirtschaftsreform bereichert haben, eher von einem anderen Gedanken angesprochen - auch dieser festgehalten von einem gängigen Sprichwort: "Bao nuan si yinyu" - auf Deutsch: "Ist man ohne Essens- und Kleidungsprobleme, denkt man an Sex." Vielleicht kann man erst in diesem Zusammenhang zwei BBS-Botschaften besser verstehen, die gegen den Anti-Erotik-Helden gerichtet sind:

Bravo! Ein richtiger Feldzug gegen die Cybererotik. Aber du wirst sicher nicht der Sieger sein!

Gleichgültig, ob "Erotik" ein Wort mit positiver, negativer oder neutraler Bedeutung ist; in der Volksrepublik China ist sie überall da und entwickelt sich weiter.

Charakteristisch ist auch die folgende Anekdote:

Ein Professor spricht gerade über die Sexualität in China. Ein Student steht auf und kontert: "Seit eh und je kennen die Chinesen nur sexuelle Depression. Daher ist die Sexualität in China unterentwickelt." Der Gelehrte sieht über seine Brille und sagt: "Unterentwickelt? Warum ist dann China das bevölkerungsreichste Land der Welt?" Diese kleine Geschichte dürfte auch ein Produkt aus der Schreibwerkstatt einer SMS-Allianz sein.

Die SMS-Allianzen wurden inzwischen erst einmal aufgelöst; die Kurse der chinesischen Internetaktien im Nasdaq schnellen im Moment nicht mehr wie verrückt in die Höhe. Was bleibt, ist einerseits die Unzufriedenheit der betroffenen kleinen Allianzpartner, die mit erotischen Angeboten nichts zu tun gehabt haben, und andererseits der Sarkasmus der Nutzer, die mehrheitlich über die publizistischen Erotikgegner spotten, bei denen es sich in den Augen der meisten offenbar nur um Leute handelt, die mit Übertreibungen und Verleumdungen, mit hohlen Phrasen nach billigen Effekten haschen.

Merkwürdig ist an der Erotik-Debatte auf jeden Fall, dass - während die attackierten Portale nur schweigen - der journalistisch vorpreschende Erotikgegner diesmal anscheinend viel Ärger bei den Internetnutzern auslöste und sich herbe Kommentare einhandelte. "Hast du Mut, die allgegenwärtige Korruption zu kritisieren?" Das war sinngemäß das überwiegende Echo. Merkwürdig ist auch, dass die Debatte eigentlich nur zwischen einem Journalisten samt seinen zwei "Kumpeln" und einer Vielzahl von (mehr oder weniger von virtueller Lust verwöhnten) Internetnutzern ausgetragen wurde, und zwar auf der Website www.blogchina.com.

Nicht uninteressant sind aber jene Meinungen, die den Rahmen der Diskussion über Cybererotik gesprengt haben. Hier seien nur einige Äußerungen zitiert, die für sich sprechen mögen (die Ironie ist manchmal zwischen den Zeilen zu spüren):

Wenn in einer alten Zivilisation wie unserer ein Scheinheiliger auftritt und nach Moral ruft, dann bedeutet das garantiert, dass er böse Absichten hegt. - Nur die Privilegierten dürfen ausschweifend und lasterhaft leben. Die Proletarier haben nur das Recht, keusch zu bleiben.

Wenn die sogenannten Erotikgegner der Realität ins Gesicht sehen würden, müssten sie zugeben, dass im realen Leben viel zu sehen ist, das noch vulgärer, schmutziger, lüsterner, animalischer ist. Die vulgären, schmutzigen, lüsternen, animalischen "Vergnügungsstätten" sind auf Schritt und Tritt zu finden.

Erotik hat doch Zukunft in China, weil es erstens einem wirtschaftlichen Axiom, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, entspricht. Zweitens ist es doch eine der Funktionen der digitalen Technik, dass die virtuelle Gesellschaft Kuppelei für die reale Gesellschaft betreibt. Drittens - das weiß jeder - gibt es überall Quasi-Bordelle, weil Bordelle in unserer Gesellschaft verboten sind.

Wie viele Länder gibt es in der Welt noch, wo Erotik verboten ist? Warum will man unbedingt Festland-China verwandeln in ein Land wie jene in der islamischen Welt? Bist du überhaupt fähig, das nachzuahmen? In jenen Ländern kann man vier Frauen heiraten!

Das Bemerkenswerteste an der Diskussion zwischen den sich prüde gebenden Kritikern der "Erotik"-Welle und den verärgerten, sich als virtuelle Hedonisten verstehenden Nachfragern ist aber, dass niemand fragt, wie erotisch diese kommerzielle Erotik, dieser in einer immer noch weitgehend prüden Gesellschaft nachgefragte Ersatz eigentlich ist und ob er den Menschen hilft, im realen Leben sinnlichere, erotischere, auch humanere Beziehungen zu entwickeln - oder ob er ihnen lediglich hilft, über den Mangel an diesen irgendwie hinwegzukommen.