Das Schlamassel der Geldpolitik

Seite 3: Billiges Geld durch Siechtum

Für die Zentralbanken ist die Stabilisierung des gesamten wirtschaftlichen Gefüges mithilfe billigen Geldes nicht nur wegen des drohenden Absturzes der Realwirtschaft von zentraler Bedeutung. Noch entscheidender ist, es ein Abgleiten zu verhindern, weil – entgegen der weit verbreiteten Annahme – nicht die Geldpolitik, sondern das realwirtschaftliche Siechtum die Quelle des billigen Geldes ist.

Mit dem Ende der Nachkriegsexpansion ab Mitte der 1970er-Jahre sind die, im historischen Vergleich außerordentlich hohen, Investitionen der Unternehmen in den entwickelten Volkswirtschaften zunächst abrupt und in den folgenden Jahrzehnten schleichend zurückgegangen. Dadurch ist der Kapitalbedarf der Unternehmen kontinuierlich gesunken.

Ab Anfang der 2000er-Jahre haben die im Verhältnis zur Wertschöpfung immer weiter sinkenden Investitionen sogar dazu geführt, dass die Unternehmen steigende Finanzierungsüberschüsse erzielen.1

Daher drücken alleine die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in Deutschland seit der Finanzkrise 2008 durchschnittlich jedes Jahr überschüssiges Kapital im Volumen von 3 Prozent des BIP in die Finanzmärkte. 2021 waren es etwa 120 Milliarden Euro.2 Sie haben keine Verwendung dafür, da sie – trotz der niedrigen Realzinsen – keine profitable Investitionsmöglichkeit sehen.

Diese von den Unternehmen ausgehende Geldpumpe, ist von Ökonomen aufgrund anderer Interpretationen als Folge einer globale "Sparschwemme" (Savings Glut) oder als "Säkulare Stagnation" erklärt worden. Der anschwellende Fluss von Kapital, das in der Realwirtschaft keine profitable Verwendung findet, hat zur Absenkung des langfristigen Zinsniveaus geführt und zudem die Vermögenspreise aufgeblasen.

Die Vermögenspreise sind geradezu explodiert, obwohl immer weniger in die Modernisierung von Betrieben und Produktionsanlagen oder Immobilien investiert wird. Diese auch als Finanzialisierung bezeichnete Entkopplung der Vermögenspreise von den zugrundeliegenden Vermögenswerten lässt sich auch als Vermögenspreisinflation interpretieren.

Die Kapitalschwemme mitsamt der hohen Nachfrage der Vermögenden hat die Vermögenspreise getrieben, weil es im Verhältnis dazu ein nur knappes Angebot realer Vermögenswerte gibt.

Zentralbanken stabilisieren die Geldpumpe

Die Rolle der Zentralbanken besteht seit Jahrzehnten darin, diese realwirtschaftliche Geldpumpe auch in Krisenzeiten zu stabilisieren und den Fluss billigen Geldes möglichst noch zu steigern.

So haben sie ab den 1980er-Jahren eine asymmetrische Geldpolitik betrieben. Zur Verhinderung wirtschaftlicher Krisen haben sie die Leitzinsen abgesenkt, ohne sie in den anschließenden Erholungsphasen wieder auf das frühere Niveau anzuheben.

Wirtschaftliche Krisen, die zum Kollaps weniger produktiver und wettbewerbsfähiger Unternehmen geführt hätten und erhebliche Kaptialwerte vernichtet hätten, wurden verhindert. Realwirtschaftliche Restrukturierungen, die zu steigenden Investitionen und einem höheren Kapitalbedarf der Realwirtschaft geführt hätten, sind daher seit Jahrzehnten weitgehend ausgeblieben.

Da die Zinspolitik der Zentralbanken eine starke Wirkung auf die kurzfristigen Zinsen hat, nicht jedoch auf das langfristige Zinsniveau, dienten die Anleihekaufprogramme dazu, auch die langfristigen Zinsen zu drücken. So gelingt es, den wegen der Kapitalschwemme ohnehin niedrigen Langfristzins, vor allem zum Nutzen der Staaten noch weiter abzusenken und die schuldenfinanzierte Fiskalpolitik zu erleichtern.

Die Stabilisierung dieser Geldpumpe ist jedoch nicht nur für die Realwirtschaft von Bedeutung. Auch die Vermögenspreisblase und letztlich die Stabilität der Finanzmärkte ist vom kontinuierlichen Fluss, des von den Unternehmen nicht benötigten Kapitals, abhängig.

Die Stabilisierung dieser zombifizierten Realwirtschaft ist so zur unverzichtbaren Voraussetzung für die Stabilität des gesamten wirtschaftlichen Gefüges geworden, denn ihr niedriger Kapitalbedarf ist der Ursprung des in die Finanzmärkte strömenden Kapitals und vor allem niedriger Langfristzinsen.

Der Geldstrom speist die Vermögenspreisblase, limitiert die fiskalischen Probleme beim Aufpumpen der Wirtschaft und ist letztlich sogar für die Realwirtschaft selbst existenziell, weil er zu niedrigen Schuldzinsen führt und vor allem schwachen Unternehmen das Überleben langfristig sichert.

Solange keine generelle politische und wirtschaftliche Kursänderung eingeleitet wird, besteht die Rolle der Zentralbanken darin, die in der Realwirtschaft liegende Quelle des billigen Geldes ergiebiger zu machen, auf jeden Fall aber zu verhindern, dass sie versiegt.

Staaten und Zentralbanken bewegen sich daher in einer Einbahnstraße. Sie können ihren jahrzehntelangen wirtschaftspolitischen Kurs, mit dem sie wirtschaftliche Krisen und notwendige Restrukturierungen ausgebremst haben und eine Zombiewirtschaft erschaffen haben, nicht leichtfertig ändern.

Die Folge wäre ein Kollaps der Realwirtschaft mit gravierenden Folgen auch für die Staaten und das Finanzsystem. Die Inflation können die Zentralbanken auf lange Sicht daher nur in dem Maß bekämpfen, wie es die Abhängigkeit von billigem Geld und niedrigen Realzinsen zulässt.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.