Das Schulmassaker in Texas und die Angst der Rechten vor Waffenkontrollen

David Goeßmann

Die NRA wehrt sich gegen jegliche Waffenkontroll-Einschränkungen. Doch die Prosteste nehmen mit jedem Schusswaffen-Massaker zu. Bild: Lorie Shaull / CC BY-SA 2.0

Im Bundesstaat Texas fand erneut ein Schulmassaker statt. 300 Millionen Schusswaffen kursieren in den USA. Doch Waffenlobby, Republikaner und rechte Bewegungen kämpfen mit allen Mitteln gegen Regulierungen

Mindestens 21 Menschen, darunter 19 Schüler:innen und zwei Erwachsene, sind an einer Grundschule im US-Bundesstaat Texas von einem Einzeltäter getötet worden. Der 18-Jährige bewaffnete Amokläufer wurde von der Polizei erschossen. Das Attentat kommt nur zehn Tage nach dem Massaker in einem Supermarkt in der Stadt Buffalo.

Die Massentötung löst erneut große Trauer bei den Betroffenen und im ganzen Land aus. Trauer über das sinnlose Sterben von Kindern, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, und ihren Lehrer:innen, die sie beim Aufwachsen begleiten und beschützen sollen. Es löst aber auch Wut aus. Wut darüber, dass solche Blutbäder begangen von Jugendlichen in einem der wohlhabendsten Länder der Welt zur Normalität geworden sind.

Sie haben verdammt noch mal erneut unsere Kinder im Stich gelassen. Wie viele Male werden wir uns noch zurücklehnen und nichts tun? … Wie viele Male noch?

sagte Fred Guttenberg, Vater eines Opfer des Schulmassakers an der Parkland-Schule in Florida von 2018, bei dem 17 Menschen starben, auf dem US-Nachrichtensender MSNBC nach dem Amoklauf gestern.

Starker Anstieg von Massentötungen und Amokläufen in den USA

Statistiken der Organisation Gun Violence Archive (GVA) zeigen, dass es allein in diesem Jahr bereits mindestens 212 Massenschießereien und mindestens 7.584 Schusswaffen-Tote – darunter 411 Kinder unter 12 Jahren – in den USA gegeben hat. Der Vorfall an der Grundschule in der texanischen Stadt Uvalde unweit San Antonio ist der zweit-tödlichste Schul-Amoklauf der letzten zehn Jahre. Beim Massaker an der Sandy Hook Schule in Connecticut im Dezember 2012 starben 28 Menschen.

Zahlen des FBI zeigen zudem, dass Vorfälle mit Schusswaffen im letzten Jahr um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 2020 und sogar um fast 100 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 angestiegen sind. Die Vereinigten Staaten haben die höchste Rate an Schusswaffen-Morden der industrialisierten Staaten.

Julián Casto von den Demokraten, ehemaliger demokratischer Bürgermeister von San Antonio und US-Minister für Stadtentwicklung, beklagte ebenfalls auf MSNBC, dass "solche Vorfälle Teil davon geworden sind, wer wir als Land sind." Und er schloss daran an:

Der uneingeschränkte Zugang zu Waffen hat uns in den USA oder hier im Bundesstaat Texas nicht sicherer gemacht.

In einer emotionalen Rede im US-Senat fragte der demokratische Senator vom Bundesstaat Connecticut:

Was tun wir? So etwas geschieht nur in unserem Land und nirgendwo sonst. Nirgendwo sonst gehen Kinder zur Schule und denken, dass sie möglicherweise dort erschossen werden.

Die Diskussion über Waffenkontrolle bzw. darüber, dass es faktisch keine in den Vereinigten Staaten gibt, läuft erneut an. Doch sie ist zu einem leeren politischen Ritual verkommen. Es ist einer der beunruhigenden Aspekte der US-amerikanischen Gesellschaft, dass solche Massenmorde politisch zugelassen werden. Denn die Waffenlobby kann bis heute verhindern, dass der Schusswaffenbesitz in den USA reguliert und damit eingedämmt wird.

Republikaner: "Die Linken wollen uns die Waffen wegnehmen"

Privatpersonen in den USA besitzen heute mehr als 300 Millionen Pistolen und Gewehre. Damit ist die amerikanische Bevölkerung pro Kopf gemessen die am stärksten bewaffnete der Welt. Zum Vergleich: Die amerikanische Polizei besitzt eine Million Waffen. Fast die Hälfte der Amerikaner ist in Haushalten mit Waffen aufgewachsen.

Doch obwohl eine Mehrheit der US-Bürger:innen sagt, dass die Waffengesetze strikter sein sollten, passiert nichts, weder im US-Kongress noch in den Bundesstaaten. Dabei sind die Erfolge von Restriktionen gut belegt.

In Japan wurden Waffenkontrollgesetze eingeführt inklusive so genannter "background checks" über die mentale Gesundheit von Personen, die Waffen erwerben wollen. Das Resultat: Zehn Todesfälle auf 128 Millionen Bewohner:innen. In Australien, wo schon 1996 ein Programm gegen den Gebrauch von Schusswaffen eingeführt wurde, konnte die Opferzahl um 40 Prozent gemindert werden.

Vor allem die Republikaner in den USA blockieren gesetzliche Maßnahmen. Darum ist es heuchlerisch, wenn dieselben nach dem Uvalde-Massaker nun erneut ihre Gebete für die Getöteten per Twitter mitteilen, wie der texanische Senator Ted Cruz.

Er gehörte nach einer Statistik von 2016 zu den Top-Empfängern von Geldern der Waffenlobby. Insgesamt waren es damals 360.000 Dollar. Auch sein republikanischer Kollege, der Kongressabgeordnete Tony Gonzales, der für den Bezirk Uvalde zuständig ist, ergießt sich in religiöser Trauer, während er noch im März auf Twitter prahlte:

Ich stimme mit NEIN bei zwei Waffenkontroll-Maßnahmen, die im Parlament zur Wahl stehen. Ich bin ein stolzer Unterstützer des 2. Zusatzartikels der Verfassung (der den Waffenbesitz garantiert, Telepolis) und werde alles unternehmen, gegen den Griff der Linken nach unseren Waffen anzugehen.

Waffenlobby NRA surft auf rechter Paranoia-Welle und Trumpismus

Der mächtige Schusswaffenverband NRA, die National Rifle Association, hat in den letzten Jahren, vor allem im Zuge der Trump-Präsidentschaft und dem Erstarken rechtsradikaler Bewegungen in den USA, das Schüren von Angst und die Spaltung der Gesellschaft für ihre Geschäfte zu nutzen versucht.

Die NRA konnte sehr erfolgreich auf der von Trump, dem rechten Fox-News-Moderator Tucker Carlson und "alt-right"-Gruppen forcierten Paranoia-Welle surfen. Dabei konnte die Waffenlobby auf ein Medienimperium zurückgreifen von einflussreichen Blogs und dem Sender NRATV.

In einem Rekrutierungsvideo wurde vor dem Hintergrund von Straßengewalt, angeblich provoziert von liberalen Medien, NRA-Mitgliedern empfohlen, gegen die "gewaltsame Linke" mit der "geballten Faust der Wahrheit" anzukämpfen.

Der NRA-Vorsitzende Ayne LaPierre sagte auf einer Konferenz im Jahr 2017, dass, wenn die gewaltsame Linke unsere Gemeinden terrorisieren, "dann werden sie der Stärke, Entschlossenheit sowie der geballten Macht der amerikanischen Freiheit in den Händen der Amerikaner begegnen."

Sicherlich, das Schulmassaker in Texas ist kein politisches, rassistisch und von der "alt-right"-Bewegung motiviertes Blutbad wie in Buffalo. Aber die radikalisierte Stimmung im Land, die Gewaltaufrufe von Rechten, die Verbreitung von Angst, der politische Trumpismus mit seiner Verbreitung von egomanischem Machotum, gestützt von der republikanischen Partei, gepaart mit Hunderten Millionen herumschwirrender Waffen erzeugen eine toxische Mischung.

Dazu kommt eine spezifische "Kultur der Gewalt" in den Vereinigten Staaten, die, wenn man sie weiter zurückverfolgt, bis in die Besiedlung des amerikanischen Kontinents, dem gewaltsamen Siedler-Kolonialismus zurückgeht.

Heute werden US-Bürger_innen von Kindesbeinen an schon mit jeder Menge Gewalt konfrontiert. Nach Schätzungen hat ein junger Erwachsener bereits 16.000 Tötungen und 200.000 Gewaltakte im Fernsehen verfolgt. Und letztlich sind die Schulmassaker auch Ausdruck einer Gesellschaft, die den vielfältigen Frust hinter den brutalen Attentaten nicht angemessen adressiert.

US-Präsident Joe Biden forderte nach der neuen Gewalttat schärfere Waffengesetze. "Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden", sagte Biden in einer Rede an die Nation aus dem Weißen Haus.

Vor allem progressive Demokraten wie Ed Markey, demokratischer Senator von Massachussetts, fordern nun endlich Taten statt Worte. Geschieht erneut nichts, können die Republikaner und Waffenlobbys weiter Regulierungen verhindern, dann werden die Massenmorde in den USA ungehindert weiter gehen. Das ist jedenfalls zu befürchten.