Das Silicium-Schutzschild von Taiwan bröckelt
Taiwans Rolle als Chiplieferant schützt es vor Beijings Übergriffen. Doch mit diversifizierten Lieferketten verliert die Welt vielleicht das Interesse an der Insel.
"Das niederländische Unternehmen Advanced Semiconductor Materials Lithography (ASML) könnte seine Maschinen für die Chipherstellung aus der Ferne abschalten, wenn China den Inselstaat Taiwan angreift", freut sich das Handelsblatt. ASML beliefert unter anderem die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC).
TSMC fertigt hochmoderne Chips, die sowohl für künstliche Intelligenz als auch für militärische Anwendungen genutzt werden. Die Technologie von ASML ist schon lange Gegenstand staatlicher Interventionen, um zu verhindern, "dass sie in die falschen Hände gerät", schreibt die Wirtschaftszeitung.
So verböten die Niederlande dem Unternehmen insbesondere den Verkauf von Maschinen der jüngeren Generationen an China. Denn vor allem die USA fürchteten, dass sie ihrem Rivalen im "globalen Chipkrieg" Vorteile verschaffen könnten.
Die Niederlande simulieren den Einmarsch Chinas in Taiwan
Sollte es Beijing tatsächlich gelingen, Taiwan zu erobern, könnte es auch Zugriff auf fortschrittliche Maschinen zur Chipproduktion bekommen. Dem Handelsblatt zufolge sollen die Niederlande sogar einen möglichen Einmarsch Chinas simuliert haben. ASML ist der weltweit einzige Hersteller von fortschrittlichen Maschinen zur Chipherstellung.
Doch die Dinge ändern sich, und in wenigen Jahren schon könnte eine Fernabschaltung von Chip-Fertigungsanlagen auf Taiwan überflüssig werden – ganz einfach, weil sich die modernsten Systeme dann nicht mehr dort befinden. Damit fiele auch die Funktion von Taiwans Halbleiter-"Siliziumschild" weg, meint die South China Morning Post.
Denn bisher hatte die Tatsache, dass eine Invasion Taiwans dessen unverzichtbare Halbleiterindustrie zerstören würde, als Garant dafür gegolten, dass Peking den Versuch unterlässt, die Insel zu erobern. Denn noch produziert die Insel neun von zehn der weltweit modernsten Chips in ihren Fabriken.
Allseits Onshoring- und Reshoring-Bestrebungen
Im Ergebnis lassen die Spannungen zwischen den USA und China Taiwans langjährige Dominanz in der Hightech-Industrie allerdings schwinden. Denn der drohende Konflikt und die Sanktionen des Westens machen die Industrie nervös und fördern allseits Onshoring- und Reshoring-Bestrebungen und damit die rasche Diversifizierung der Lieferketten.
Sollten sich die der Beziehungen Taiwans zu Festlandchina drastisch verschlechtern, könnte ein solches geopolitisches Tauziehen letztlich die Stellung des chinesischen Festlands als dominierender Lieferant von Halbleitern älterer Bauart stärken.
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Denn in den vergangenen Jahren hat das chinesische Festland stark investiert, um in der Wertschöpfungskette für Chips aufzusteigen, die alles antreiben ‒ von Mobiltelefonen und anderen Verbrauchergeräten bis zu Elektroautos und Anwendungen für KI und Quantencomputing.
China investiert
Gleichzeitig steigen die chinesischen Kapazitäten in der Chipherstellung weiter. Der Anteil Chinas an der weltweiten Kapazität für ausgereifte Chips könnte bis 2027 auf 39 Prozent ansteigen, gegenüber 26 Prozent im Jahr 2022. Und auch im Bereich fortschrittlicher Chips holt Beijing offensichtlich schnell auf.
Um sich gegen die von den USA verhängten Beschränkungen des chinesischen Zugangs zu ausländischer Technologie zu wappnen, investiert China kräftig in den Aufbau einer Technologieindustrie wie in Japan oder Südkorea.
Festlandchinesische Hersteller von Geräten wie kabellosen Kopfhörern, Smartwatches und TV-Geräten äußerten gegenüber der South China Morning Post, dass sie sich nur selten Sorgen um die Chipversorgung machen, weil der heimische Markt so reichlich ausgestattet ist.
Der Handel zwischen Taiwan und China schrumpft
2023 waren zwölf der wichtigsten 20 Exportgüter Taiwans Hightech-Produkte, darunter primär integrierte Schaltkreise und gedruckte Schaltungen. Zudem ist die Insel nach wie vor eine führende Quelle für die in iPhones verwendeten Kameralinsen. Im selben Jahr wurden noch 60 Prozent der taiwanesischen Halbleiter an das chinesische Festland verkauft.
Doch dieser einst rege Handel ist in den vergangenen zwei Jahren aufgrund zunehmender politischer Spannungen zurückgegangen: Im ersten Quartal 2024 haben die USA das chinesische Festland als Taiwans wichtigstes Exportziel abgelöst. Die "Silicon Strait" verliert an Bedeutung.
Auch insgesamt sinken die taiwanesischen Chipexporte. Die Exporterlöse aus Computerchips in Höhe von 166,63 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr bedeuten einen Rückgang von immerhin 9,5 Prozent im Vergleich zu 2022.
Auch Taiwan investiert – im Ausland
Aber es sind nicht nur die westlichen Staaten, die nach neuen Produktionsstätten für fortschrittliche Chips suchen. Auch taiwanesische Firmen erkunden Produktionsmöglichkeiten im Ausland. Vergangenen Monat schloss TSMC einen Vertrag im Wert von 11,6 Mrd. US-Dollar ab, um fortschrittliche Chips im US-Bundesstaat Arizona herzustellen.
TSMC hat nach eigenen Angaben mehr als 65 Mrd. US-Dollar in Arizona investiert, und Washington hat diese Initiative mit 6,6 Mrd. US-Dollar an direkten Finanzmitteln belohnt. Die vollständige Verlagerung Produktion von fortschrittlichen Chips aus Taiwan wird jedoch noch mehrere Jahre dauern.
Hoch entwickelte Technologie erfordert zudem ein gewisses Angebot an Talenten, und für Elektronikunternehmen, die Chips kaufen, kann es teuer werden, den Anbieter zu wechseln.
Die USA rüsten Taiwan systematisch auf
Die Länder, die diplomatische Beziehungen zu Beijing unterhalten, darunter auch die USA, erkennen Taiwan nicht als unabhängigen Staat an. Sie erkennen die Existenz des Ein-China-Prinzips an, wonach Taiwan ein Teil Chinas ist. Gleichzeitig lehnt Washington jeden Versuch ab, die selbstverwaltete Insel mit Gewalt zu erobern und rüstet Taipeh systematisch auf.
In Taiwan ist man derzeit bemüht, trotz der mit dem Offshoring verbundenen Bedrohungen, ein Standort für Forschung und Entwicklung, für Designzentren und für die Hauptquartiere von Technologieunternehmen zu werden. Denn Taipeh muss es darum gehen, auch zukünftig sowohl von Washington als auch von Beijing gebraucht zu werden.
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