Das digitale Lagerfeuer der Pfadfinderei
VJing mit Labstyle oder: Vom kreativen Umgang mit Vektorgrafik
Berlin. Jeden Donnerstag an der Ecke Große und Kleine Präsidentenstrasse in Berlin-Mitte lädt die Bar mit dem Namen Kurvenstar zum Labstyle-Abend. An der Wand des hinteren Raumes in der runden Lokalität am Hackeschen Markt laufen manipulierte Bildsequenzen aus George Lucas Erstwerk "THX-1138", in denen Robert Duvall einem enervierenden Donald Pleasance ausweichen muss. Es türmen sich VHS-Rekorder, zwei Apple Powerbooks, ein Videomischpult von Panasonic und der DJ droppt seinen Stilmix aus Hip Hop und House. Initiator ist Critzla, der mit einem Team aus jungen Grafikern, DJs und anderen Technophilen das Labstyle mit einer Neuinterpretation des VJing im abendlichen Clubleben Berlins zum Begriff macht.
Critzla kommt ursprünglich aus Thüringen, ist definitiv jünger als 30 und lebt seit zehn Jahren in Berlin, wo er als Mann der ersten Stunde so manchen Stein und Pixel ins Rollen gebracht hat. Im Interview ergeben sich die verschiedensten Bezugspunkte: Berlin, MTV Urban, Flyer, Designers Republic, Schweiz, Marcomedia Flash. Er selber sieht sich als "Print-Hase", mag eher Gedrucktes als Gescrolltes und hat eine Zeit lang beim Berliner Verlag und Grafikbüro Die Gestalten gearbeitet. Vor zwei Jahren dann die Gründung der Pfadfinderei, die sich als Kollektiv diverser Grafik-Künstler versteht und mit solchen Performance-Abenden wie dem Labstyle den kreativen Umgang mit Vektorgrafik in Deutschland etablieren will. Zusammen mit Kollegen Honza, Martin, Flori (letztere beide arbeiten auch unter dem blumigen Namen Visualitaeter) sowie neuerdings auch ein Herr namens Codec ("ein sehr begabter Video-Jokey", Zitat Critzla) geht man neue Wege in der Clubraumgestaltung abseits der Nebelkanone und Diskokugel. Und immer wieder ein Satz, der zur Grundmotivation noch nie falsch war: "Mich interessiert es immer wieder, etwas Neues auszuprobieren!"
Wann genau war die Geburtsstunde der Pfadfinderei?
Critzla: Honza und ich haben vor knapp zwei Jahren die Pfadfinderei gegründet und diese Zeit war sehr spannend, weil ich nicht mehr alleine gearbeitet habe und so die Teamarbeit kennen lernen konnte. Der Name kam beim Renovieren unserer Büroräume zustande, als wir alle möglichen Namen durcheinander geworfen haben. Da wir von der Vektorgrafik kommen und diese mit Pfaden und Zeichenwegen zu tun hat, passte der Name ganz gut. Vielleicht auch die Suche nach neuen Wegen - all das steckt da irgendwie drin!
Aus welchen Leuten setzt sich das Team der Labstyle-Abende zusammmen und welches Verständnis steht für Dich dahinter?
Critzla: Das Labstyle-Team setzt sich aus fünf DJs und fünf VJs zusammen. Wenn Honza als DJ arbeitet, nennt er sich Daznadelerror. Die anderen heißen Skate, Jeree Coone, Fustan und Shah, wobei die letzteren beiden Jungs zusammen mit Tim.Buktu auch der Liveact Modeselector sind. Ab und zu gibt es dann noch die Sängerin Mia, welche zur Band Me In Affairs gehört. VJing muss man in unsrem Falle wie einen Live-Act begreifen, denn bei uns werden Tracks geschnitten, die dann auf VHS-Tapes im Videorekorder stecken und dann miteinander gemischt werden. Das läuft dann nur in eine Richtung und so muss das vorher schon auf den Beat geschnitten sein. Wir arbeiten dazu noch mit unseren Labtops, auf denen wir live über die Tastatur zu den Tracks die Bildabfolge verändern. Die Arbeit von Labstyle kann man vielleicht mit Jazzanova und dem Sonar-Kollektiv vergleichen. Genau so hat die Pfadfinderei Labstyle ins Leben gerufen, weil dies wie ein kreatives Labor zum Forschen funktionieren soll. Das Ganze hieß früher übrigens Stylelab, aber die Firma Diesel hatte sich den Namen schon gekrallt und dann haben es einfach umgedreht.
Du bist zum guten Teil an einem der Vorzeigehefte der hiesigen Clubkultur, dem Flyer beteiligt gewesen!
Critzla: Ja, ich habe mit Helge Birkelbach an den ersten Flyer-Heften gearbeitet und das Ganze begann, als Helge einen Produktfake von mir gesehen hatte und dann auf die Idee kam, das als regelmäßiges Cover für den Flyer zu nehmen. Das eigentliche Konzept des Fylers war ja zuerst, dass die besonders schönen Veranstaltungsflyer in einem Heft gesammelt werden. Das hat aber dann so nicht alleine funktioniert und deswegen wurde der redaktionelle Teil des Heftes immer größer. Im ersten halben Jahr habe ich sieben Tage in der Woche daran gearbeitet, dann drei Tage geschlafen und dann ging es wieder los. Das wurde mir dann aber insgesamt zu stressig und ich wollte auch richtige Coverbilder machen, da die Bootleg-Geschichte nach einer gewissen Zeit für mich ausgereizt war. Später haben ich und Helge dann noch für Pro7 das Magazin zu der Welt-der-Wunder-Sendung gelayoutet, wo ich aber nur die Null-Nummer gemacht habe. Mit Helge verstehe ich mich weiterhin sehr gut und man läuft sich immer wieder über den Weg!
Manchen wird Eure Art von Grafik aus dem Fernsehen bekannt vorkommen. Wie kam es zu der MTV-Projekt?
Critzla: Wir haben das MTV Urban Studio drei Monate lang aufgebaut, die Visuals und das Logo entworfen - eigentlich eine Art Komplettverarztung. Zu der Zeit hatten wir von Grafikanimation oder Flash-Programmierung überhaupt keine Ahnung, aber ich hatte einen relativ alten Rechner mit einer sehr langsamen Grafikkarte und bei der Arbeit habe ich dann festgestellt, dass, wenn ich mein Freehand-Programm mit Dateien richtig zupacke, sich die Dateien von hinten nach vorne aufbauen, was einen tollen Effekt abgibt. Zuerst wollten wir mit klassischer VJ-Arbeit den MTV-Job erledigen, aber neben der knappen einen Stunde Videomaterial haben sie dann hier einfach unseren Bildschirm mit einer 16 mm-Kamera abgefilmt. Am Ende mussten wir das komplette Studio in Pullach bei München wieder aufbauen und damit auch abgeben. An der Isar haben ich, Honza und Stefan vom Kurvenstar dann noch weiter über das Urban-Konzept nachgedacht und beschlossen, hier in Berlin jeden Donnerstag einen eigenen Urban-Abend zu machen. Wir hatten natürlich gedacht, MTV würde mal vorbeischauen oder das Ganze aufgreifen, aber die haben sich nie blicken lassen. Mit dem Support von Stefan, der sonst eher nur auf Hip Hop steht, hat sich der Abend dann sehr gut entwickelt und weil MTV das Ganze eh nicht interessiert hat, haben wir den Urban-Namen rausgeworfen und es Labstyle genannt.
Wie inspiriert sich trotz Reizüberflutung heute noch ein junger Grafiker?
Critzla: Seit drei bis vier Jahren mache ich kein Art-Recycling mehr, weil ich das voll langweilig finde. Wir klauen auch nirgendwo Fotos, sondern bauen alles komplett neu. Ich war bei einer Reise fünf Wochen in Vietnam und davon eine Woche in Saigon. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber als ich dann wieder in Deutschland vor dem Rechner saß, habe ich einfach versucht, möglichst viele Würfel so anzuordnen, dass sie am Ende wie eine Stadt aussehen. Die anderen haben mich dann darauf angesprochen und fragten, ob so Saigon aussähe. Und dann fiel es mir erst auf, dass genau das die Inspiration dafür war. Dabei versuchen wir sonst, möglichst wenig zu sehen, wenig im Internet zu surfen, damit man nicht zu schnell von Außen beeinflusst wird. Als ich verschiedene Grafiker in der Schweiz getroffen habe, wollte ich auch mehr die Personen und nicht ihre Arbeit kennen lernen. Das kann sonst nur schädlich für eigene Ideen sein. Dazu habe immer Angst, ein neues Programm zu lernen, weil ich dann erst einmal nicht mehr davon ablassen kann.
Für die Vektorgrafik habt ihr aber einen ganz anderen Ansatz gefunden...
Critzla: Wenn du mich auf unsere momentanen Flash-Animationen ansprichst, muss ich zugeben, dass wir das Pferd von hinten aufzäumen. Wir haben Flash für uns entdeckt als Animationsprogramm für Vektorgrafik und nicht als Tool für Internetwebsites. Unsere eigene Website bauen wir gerade erst auf, aber eigentlich ist das Internet uns noch ein wenig fremd. Ich bin ja eher ein alter Print-Hase und das Internet ist mir eigentlich zu digital. Das ist sicherlich auch interessant und man könnte damit im Moment sogar richtig viel Geld verdienen. Darum gehts mir aber nicht.
Jede zweite Seite im Netz arbeitet mittlerweile mit Flash-Animationen. Wie siehst Du die optische Vergänglichkeit dieser Ästhetik?
Critzla: Wenn man sich jetzt anschaut, was Leute mit Flash machen, weil sie einfach einen Kreis und ein Viereck nehmen, wahlweise meinetwegen auch eine Schrift und ein Viereck, diese aufeinander treffen lassen und dann ganz komische Morphs entstehen, sieht man schon den Unterschied zwischen hingerotzten und wirklichen Arbeiten. Ich vertrete grundsätzlich die Meinung, dass allen Leuten die gleichen Werkzeuge und Hilfsmittel zur Verfügung stehen sollen und falls die Ästhetik von Flash eines Tages mal abgenutzt sein sollte, gibt es bestimmt auch schon wieder andere Tools. Es hat auch keinen Sinn, irgendwelche technischen Tricks vor anderen geheim zu halten, denn am Ende kommt es immer auf die eigene Kreativität an. Trotzdem geben wir Mitschnitte unserer Arbeit nie aus den Händen, um da nicht die Kontrolle zu verlieren. Prinzipiell hast du recht und es ist auch unsere größte Sorge, dass man uns einfach nur schlecht kopiert. Wir versuchen trotzdem unique zu bleiben, in dem wir z.B. unsere eigenen Fonts bauen, die so kein anderer hat. Unser ganzer Style und die Kombination aus diversen Leuten ist so speziell, dass man sich nur selber dissen würde, wenn man das genau so nachmachen sollte. Und selbst wenn ich irgendwo schlechte Plagiate sehe, freue ich mich fast und das ist auch für uns ein Zeichen, einen Schritt auf der Zeitlinie weiter zu gehen.