Das fossile Energiesystem schädigt die Gesundheit
Shanghai im Smog. Bild: Photoholgic / Unsplash Licence
Energie und Klima – kompakt: Die EU-Kommission will die Luftqualität verbessern, aber erst ab 2030. Wie der Klimawandel, verschärft durch andere Krisen, zunehmend zum Gesundheitsrisiko wird.
Wer erinnert sich noch an die 110 Lungenärzte, die 2019 behauptet hatten, die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide seien zu streng, eine geringfügige Überschreitung mache nichts aus? Sie konnten schon damals nicht überzeugen, nun möchte die EU-Kommission die Grenzwerte stattdessen weiter verschärfen, laut ihrem Vorschlag soll der Grenzwert für Feinstaub mit Partikelgröße bis zu 2,5 Mikrometer von 25 auf zehn Mikrogramm gesenkt werden, der für Stickstoffdioxid von 40 auf 20 Mikrogramm und der für Schwefeldioxid von 125 auf 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Damit folgt die EU-Kommission nicht ganz den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO [1]. Diese setzt den Grenzwert für Stickstoffdioxid bei zehn Mikrogramm, für Feinstaub (PM 2,5) bei fünf Mikrogramm. Nach Angaben der EU-Kommission sterben in Europa jährlich 300.000 Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung. Allerdings würden die neuen Grenzwerte – wenn sie das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben – erst 2030 in Kraft treten, weitere sieben Jahre lang würden diese 300.000 vorzeitig Verstorbenen also in Kauf genommen.
Luftschadstoffe gefährden aber nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern beeinträchtigen auch Pflanzen und Ökosysteme, etwa die ohnehin schon durch die Trockenheit geschädigten Wälder. Stickstoffdioxid aus der Luft trägt zur Überdüngung und damit zur Versauerung der Waldböden bei.
Wobei Verkehrsabgase nicht die einzige Stickstoffquelle sind, sondern die Landwirtschaft ebenfalls für einen Großteil der Überdüngung verantwortlich ist. Trotzdem wären die neuen Grenzwerte ein positiver Schritt. Das Verkaufsverbot für Pkw mit Verbrennungsmotor ab 2035 könnte ihre Umsetzung erleichtern, sonst drohende Fahrverbote könnten ein Anstoß werden, schneller auf E-Mobilität umzusteigen, bzw. ganz auf einen Privatwagen zu verzichten.
Fossil befeuerter Verkehr wie auch fossil befeuerte Kraftwerke, Industrieanlagen und Heizungen verschmutzen nicht nur die Luft, sie sind auch verantwortlich für den Klimawandel, der weltweit die Gesundheit der Menschen gefährdet, auf vielfältigen Wegen, wie im diesjährigen "Lancet Countdown" [2] zu Gesundheit und Klimawandel dargestellt wird. Extremwetterereignisse auf allen Kontinenten führten Zerstörung und Tausenden von Toten.
"Lancet Countdown": dĂĽsteres Bild der globalen Gesundheit
Hitzebedingte Todesfälle nahmen im Zeitraum von 2017 bis 2021 um 68 Prozent gegenüber dem Zeitraum 2000 bis 2004 zu. Der Klimawandel begünstigt außerdem die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, hier werden etwa Vibrionen in Küstengewässern, Malaria und Dengue genannt. Klimaerwärmung und Extremwetter führten außerdem zu geringeren Ernteerträgen und Ausfall von Ernten, sodass immer mehr Menschen unter Ernährungsunsicherheit und Hunger leiden.
Die Ernährungskrise wurde verschärft durch die Covid-19-Pandemie und durch die jüngste Energiekrise und steigende Lebenshaltungskosten im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Und obwohl die Gesundheitssysteme im Angesicht der vielen Negativfaktoren eigentlich gestärkt werden müssten, finden sich diese vielfach in einem durch die Pandemie und die Preisanstiege geschwächten Zustand.
Auch Städte reagieren bislang zu wenig auf die globale Erwärmung und das Risiko von Hitzewellen. Nur 27 Prozent der urbanen Zentren waren 2021 mäßig begrünt. Aber nicht nur bei der Anpassung an den Klimawandel mangelt es, in erster Linie geschieht dem Bericht zufolge viel zu wenig, um die globale Erwärmung überhaupt einzudämmen.
In dem 30-jährigen Bestehen des UN-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen ist die Kohlenstoffintensität des globalen Energiesystems um weniger als ein Prozent gesunken, die weltweite Stromerzeugung wird immer noch von fossilen Brennstoffen dominiert, und erneuerbare Energien tragen nur mit 8,2 Prozent zur globalen Energieerzeugung bei.
Mangelnder Zugang zu sauberer Energie führt dazu, dass viele Haushalte noch immer auf traditionelle Weise mit Biomasse heizen oder kochen und sich damit sehr hohen Feinstaubbelastungen aussetzen. Rekordgewinne der fossilen Konzerne werden noch verstärkt durch anhaltende Subventionen.
69 (80 Prozent) von 86 untersuchten Länder hatten netto-negative Kohlenstoffpreise (d.h. Nettosubventionen für fossile Brennstoffe) in Höhe von insgesamt 400 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019, wobei die Beträge oft vergleichbar mit ihren gesamten Gesundheitsbudgets waren oder diese sogar überstiegen.
Neben dem Umbau des Energiesektors wäre die Umstellung von Ernährungsweisen ein Ansatzpunkt, der die Klimaerwärmung verlangsamen und zur allgemeinen Gesundheit beitragen könnte, vor allem eine Reduktion des Fleisch- und Milchkonsums. Hierdurch könnte gleichzeitig das Risiko für Zoonosen (von Tieren auf Menschen übertragener Krankheiten) gesenkt werden.
Die nunmehr siebte Ausgabe des "Lancet Countdown", der erstmals 2012 veröffentlicht wurde, zeichnet das düsterste Bild seit Erscheinen. Die Autor:innen kommen zu dem Urteil, dass das isolierte Betrachten einzelner Krisen – wie es von den Regierenden der meisten Länder betrieben wird – nicht zielführend ist. Stattdessen müsse die menschliche Gesundheit bei der Antwort auf die verschiedenen Krisen in den Mittelpunkt gestellt werden.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.who.int/publications/i/item/9789240034228
[2] https://www.lancetcountdown.org/
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