Das gespenstische Leben des Geldes und die Ankunft der Aufmerksamkeitsökonomie
Das Geld verliert an Bedeutung
Seit kurzem scheint das Begehren nach finanziellem Wohlstand einen neuen Aufschwung erfahren zu haben. In den USA sind Internet-Aktien der Weg zu einer schnellen Vermögensbildung und man stellt die Auswirkungen ihres Wertzuwachses in der ganzen Geldökonomie fest. Jeder im Silicon Valley und anscheinend in ganz Amerika hängt Visionen eines einfachen und unbegrenzten Reichtums nach, zählt begierig die Millionen, wartet darauf, dass sie sich in Milliarden verwandeln, oder bewundert, was wahrscheinlicher ist, den Reichtum eines anderen Menschen. Es gibt Jobs für fast jeden und nur eine kleine oder keine Inflation, teilweise zumindest, weil die Verlockungen der Aktienoptionen und künftigen Wertpapiervermögen stark genug sind, um die Löhne niedrig zu halten. Die Aktienwerte und allgemein die Investmentanlagen wachsen überdies schnell, während sich die Gier der neuen Reichen ausbreitet.
Die Wahrnehmung des neuen Reichtums am Horizont ist so stark, dass in manchen Start-up-Firmen im Silicon Valley die Gründer auf die Millionen von Dollars verzichtet haben, die sie aus den Aktien erhalten hätten, wenn sie ein wenig länger in ihren alten Firmen geblieben wären. Das Vermögen von Bill Gates hatte unlängst die Marke von 100 Milliarden Dollar überschritten und nach Berichten gibt es im Silicon Valley mittlerweile 250000 Wertpapier-Millionäre. Jeden Tag kommen 64 neue hinzu. (Ein Nachteil ist, wenn man im Silicon Valley lebt, dass man für ein gewöhnliches Haus fast eine Million Dollar zahlen muss. Aber natürlich muss man nur eine Anzahlung machen. Mit der Aussicht eines schnell wachsenden Reichtums sind die Abzahlungsraten nicht abschreckend.)
Ist das alles ein Zeichen für die leuchtende Zukunft des Geldes als dem Blut und Sauerstoff des ökonomischen Lebens? Ganz im Gegenteil, meiner Meinung nach. Das alles ist eher ein Zeichen dafür, dass das Geld als solches schnell seine zentrale Bedeutung und seine wirkliche Nützlichkeit verliert. Nur weil das Geld jetzt so wenig Bedeutung besitzt, kann es sein neues Traumleben führen. Was wirklich zählt, ist, wie ich in meinen Kolumnen immer wieder behauptet habe, Aufmerksamkeit: die Menge der Aufmerksamkeit, die man anderen geben kann, und die Menge an Aufmerksamkeit, die man erhalten kann. Wenn man eine große Menge Aufmerksamkeit erzielt, ist man ein Star, und traditionellerweise werden Stars von ihren ergebenen Fans mit allem überschüttet, was sie wollen, was natürlich auch Geld beinhaltet.
Das ist heute nicht anderes, nur hat das Internet die Entstehung einer neuen Klasse an Stars gefördert, die hinter Amazon.com, Yahoo, E-bay, E-trade usw. stehen. Weil diejenigen, die online sind, soviel Aufmerksamkeit auf die Online-Stars entweder direkt oder vermittelt durch ihre Produkte richten, scheinen sie willens zu sein, sich von ihnen ziehen zu lassen. Natürlich wird das ein zirkulärer Prozess. In diesen letzten Tagen des Geldes werden wie am Ende des Feudalismus die äußerlichen Kennzeichen des alten Reichtums - damals Rüstungen, Schlösser und ähnliches, heute lediglich die Dollarbeträge - einen neuen Glanz annehmen.
Geld wird nicht mehr in Goldbarren und auch nicht in Dollarscheinen, sondern nur noch in puren Zahlen gerechnet. Während man nicht einfach Aufmerksamkeit mit Geld kaufen kann, flößen uns die Zahlen, wenn sie groß genug sind, soviel Ehrfurcht ein, dass es auch Websites gibt, die das Vermögen von Gates jede Sekunde berechnen. Inzwischen wird man von Yahoo und anderen Portalen sofort über das eigene Vermögen in Wertpapieren und Bargeld informiert, wenn man einmal die grundlegenden Daten eingegeben hat. Viele Benutzer kontrollieren ihre Zahlen obsessiv.
Um das Schicksal des Geldes in der nahen Zukunft erahnen zu können, kann es hilfreich sein, sich erst einmal die früheren Eigenschaften des Geldes anzusehen. Archäologische Funde von Geld in Form von Münzen reichen geschichtlich einige Jahrtausende zurück, doch seitdem hat das Geld Höhen und Tiefen durchlaufen. Das Römische Reich war etwa ein früher Höhepunkt. Dann kam die Ökonomie des Mittelalters in West- und Zentraleuropa, in der, wie zu vielen anderen Zeiten auch, das Geld nur eine geringe Bedeutung im Alltagsleben eines normalen Menschen besaß. Die überwiegende Mehrheit führte nur wenige Male in ihrem Leben monetäre Transaktionen durch, und nur die wenigen Menschen in den Städten verwendeten es öfter.
In der westlichen Geschichte spielte das Geld seine eigentliche Rolle erst wieder mit der Zunahme des Handels und vor allem seitdem standardisierte, in Fabriken hergestellte Waren im 19. Jahrhundert aufkamen. Nur standardisierte Waren sind wirklich berechenbar oder messbar, und folglich können nur solche Waren leicht einen bestimmten Preis erhalten, der durch ein standardisiertes Geld ausgedrückt wird. Preise oder Waren wie ein Pfund Zucker oder Nägel, ein Meter Leinwand oder 100-Watt-Birnen gewinnen oder verlieren an Wert durch Angebot und Nachfrage, solange es keine Monopole gibt. Gleichermaßen gibt es nur bei der Arbeit unter standardisierten Bedingungen auch einen standardisierten Lohn, der sich ebenfalls nach Angebot von und Nachfrage nach Arbeitskraft richtet.
Angebot und Nachfrage haben jedoch keine Bedeutung mehr, wenn materielle Knappheit kaum mehr ein Problem ist, was heute zunehmend der Fall ist. Ein Beispiel dafür ist das weit verbreitete T-Shirt, dessen Preis sich nach dem Designer-Logo richtet. Je berühmter der Designer ist, desto teurer ist es, auch wenn es eigentlich dasselbe ist wie ein weitaus billigeres T-Shirt. Die intrinsischen Herstellungskosten sind so gering, dass sie den Preis kaum noch beeinflussen. Internetdienste oder Software, bei denen das Angebot im Prinzip unendlich groß ist, werden auf ähnliche Weise willkürlich mit einem Preis versehen, so dass die Kosten zwischen Null und Hunderten von Dollars für die Subskription reichen.
Obgleich wir jetzt eine globale Ökonomie haben, beruht die Herstellung lebenswichtiger Güter auf einem immer kleinerem Prozentsatz der Bevölkerung. Folglich beruhen auch die Löhne nicht mehr auf einem sinnvollen Maßstab der geleisteten Arbeitszeit mit einer bestimmten Intensität, sondern sind stärker mit der Aufmerksamkeit verbunden, die man gewinnen kann, wenn man ein Starrechtsanwalt, ein Starbroker oder ein Starprofessor ist - oder dies nicht ist.
All dies bedeutet, dass wir die materielle Ökonomie hinter uns gelassen und zunehmend von einer neuen Art der Knappheit beherrscht werden, die nicht aufgelöst werden kann: die Knappheit der eigenen Aufmerksamkeit oder die der anderen.
Wie beeinflusst diese neue Situation den Ablauf der weiterhin bestehenden Geldökonomie? Solange mehr Geld in den Aktienmarkt gesteckt als herausgezogen wird, zirkuliert das investierte Geld zwischen den Aktien und erhöht im Prinzip endlos den Wert einer Firma nach der anderen. Geld verläßt den Markt nur in Form von Kommissionen der Aktienhändler oder dann, wenn Investoren ihr Geld herausnehmen, um normale Güter zu kaufen. Bei niedrigen Online-Kommissionstransaktionen steigt die Zahl der Transaktionen weiter an, bevor das investierte Geld aufgeraucht ist, so dass auch der Wert der Aktien wächst. Wenn zu diesem Sachverhalt hinzukommt, dass immer mehr Amerikanern Geld von ihrem Lohn automatisch abgezogen und in den Markt investiert wird, dann versteht man, warum der Wert steigt und dies weiterhin tun wird, zumindest bis die Baby-Boom-Generation, die jetzt zwischen 35 und 55 Jahre alt ist, in das Rentenalter einzutreten beginnt.
All jene Reichen, die das Internet anscheinend aus dem Nichts hervorgebracht zu haben scheint, erzählen uns, dass wir unbegrenzte Mittel zum Einkaufen besitzen, weswegen wir anscheinend ein kontinuierliches Wachstum in der Produktion von Gütern und im Angebot von Dienstleistungen unterstützen, was die Geldökonomie angeblich ausmacht und die steigenden Werte der Unternehmensaktien rechtfertigt. Was wir jedoch nicht besitzen, ist eine unbegrenzte Aufmerksamkeitskapazität, die für die Betätigung von sinnvollen Käufen notwendig ist. Wenn man etwas kauft, benötigt man Aufmerksamkeit für die Auswahl, für den Transport nach Hause, für das Auspacken, für den Gebrauch, für die Wartung und das Aufhaben sowie dafür, die Ware wieder zu finden, wenn man sie wieder benutzen will.
Das Internet hat dazu beigetragen, einige dieser Anforderungen für die Aufmerksamkeit kurzzuschließen. Mit dem Online-Shopping kann man manchmal nicht nur leichter das suchen, was man will, sondern es schafft auch neue Waren, die man nicht nach Hause nehmen, verstauen oder sogar gebrauchen kann, sondern, natürlich mit einer Kreditkarte, nur noch bezahlen muss. Beispiele dafür sind Webdienste, die man abonniert, für die man monatlich eine Gebühr zahlt und in die man sich möglicherweise niemals einloggt. Andere Dienste verschicken viele Emails, aber man braucht sie nur in Mailordnern herausfiltern, die man niemals öffnet.
Trotzdem hat dieses scheinbar ziellose Einkaufen psychische Vorteile. Man kann den Eindruck gewinnen, etwas Bedeutungsvolles gemacht zu haben, wenn das, was man erworben hat, so aussieht, als wäre es erbaulich, nützlich oder interessant, auch wenn man es niemals gebrauchen wird. Man kann sich bei einem Gespräch darauf beziehen, wodurch der Eindruck entsteht, dass man auf der Höhe des Wissens steht. Und im Unterschied zu einem Abonnement von Zeitungen oder Zeitschriften, bei denen man nicht dazu kommt, sie zu lesen, stapeln sich die elektronischen Dienste nicht störend im Haus und hat man kein schlechtes Gewissen, wenn man etwas wegwirft, das man nicht gelesen und verwendet hat. Abgesehen vielleicht von einer kleinen und leicht zu übersehenden Erinnerung auf der Rechnung der Kreditkarte, die man zahlen kann, ohne sie zu lesen, braucht man praktisch keine Aufmerksamkeit auf die Einkäufe von Online-Diensten richten, wenn man sie nicht benutzt.
Obgleich man sich also vielleicht nicht mehr daran erinnert, existieren die Online-Dienste weiter, werden Menschen eingestellt, Stars werden gut entlohnt und die Abonenntenliste kann lang sein. Eine Menge nützlicher "Produktion" scheint vonstatten zu gehen. Das ist der Grund für das Paradox, wie die Geldökonomie genau in der Zeit boomen kann, in der sie altmodisch wird.
Aber selbst wenn praktisch die ganze Geldökonomie mit den neuen und alten Sektoren offensichtlich boomt, findet, gemessen an der Kapitalbildung mit Wertpapieren, eine umfassende Verschiebung des alten Reichtums an Geld zu der neuen Klasse der Stars statt. Unternehmen wie America Online, Amazon.com und Microsoft sind auf dem Aktienmarkt am meisten wert, unabhängig davon, ob sie jemals Gewinne erbracht haben und ob ihre "Bilanzwerte", also der Wert der Gebäude, Maschinen und anderer Dinge, die man bei einer Auktion verkaufen würde, nur einen Bruchteil derjenigen von Unternehmen wie General Motors darstellen, die jetzt im Hinblick auf die Börse viel niedriger bewertet werden.
Das bedeutet, dass die neuen Unternehmen jetzt leicht die alten aufkaufen können, indem sie einfach einen entsprechenden Anteil an Aktien übergeben. Wenn sich beispielsweise Microsoft oder America Online dafür entscheiden würden, Ford oder GM aufzukaufen, dann könnten Autos als Geschenke zum zusätzlichen Anreiz dienen, Onlinedienste zu abonnieren.
Diese Verlagerung des Reichtums und der entsprechenden Bedeutungen ähnelt dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, als der Adel, der viel Land und viele Titel besaß, aber finanziell arm war, an die Mitglieder neuen Klasse der reichen Händler und Unternehmer, die irrtümlicherweise glaubten, diese Ritterrüstungen und Titel zu benötigen, seine Besitztümer verkaufte und seine Töchter verheiratete. Stars besitzen bereits die Aufmerksamkeit, die wirklich zählt und wichtiger ist als der Zugang zur Macht durch Geld und alte Industrien.
Was also ist die Zukunft der Geldökonomie? Wiederum gibt dafür der Vergleich mit dem Niedergang des Feudalsystems einen Hinweis. Obgleich die feudalistischen Insignien der Macht noch sichtbarer und von einigen Generationen noch ernst genommen wurden, verloren sie schließlich ihre Bedeutung. Heute fristen sie ihr Leben nur noch als stolzes kleine "de", "van" oder "von" in Familiennamen, als touristische Orte und in wenigen Traditionen wie der Eröffnung des britischen Parlaments, die Außenstehende überwiegend verwundern.
Geld wird wahrscheinlich in Form von Münzsammlungen überleben, als Mittel für diejenigen, die zu weit am Rand der Aufmerksamkeitsökonomie leben, um Transaktionen für materielle Dinge auszuführen, und als mehr oder weniger bedeutungslose Zahlen, die gelegentlich inmitten der aktiven Aufmerksamkeitsübertragung auftauchen. Wenn diese Zeit kommt, ist der Aktienmarkt vielleicht bereits eingestürzt. Allerdings könnte er genau so gut auch weiter wachsen, wobei es hohe fiktive Preise gibt, die so gewichtslos wie die Geister sind, in die sie sich verwandelt haben.