"Das ist destruktiver Journalismus"
Der Journalist Hans Demmel über sein Buch "Anderswelt", in dem er von seinem "Selbstversuch" berichtet, sich ein halbes Jahr ausschließlich aus rechten Alternativmedien zu informieren
Viele der Alternativmedien lehnen die Mainstreammedien als Systemmedien oder Lügenpresse ab und geben sich als Verkünder der Wahrheit. Der Journalist Hans Demmel, der für den BR oder für SAT 1 gearbeitet hat und von 2006 bis 2018 Geschäftsführer bei n-tv war, hat sich ein halbes Jahr von den Mainstreammedien verabschiedet und sich überwiegend nur anhand von einigen rechten Alternativmedien über die Welt informieren lassen.
Seine Berichte und Überlegungen zu den gemachten Erfahrungen werden von Friedrich Küppersbuch, der sich weiterhin aus den Mainstreammedien informierte, kommentiert und ergänzt. Das Buch "Anderswelt" ist im Kunstmann Verlag erschienen.
Idee: Vom normalen Informationsstrom abkoppeln
Sie haben mit Friedrich Küppersbusch das Buch "Die Anderswelt" geschrieben. Sie haben versucht, sich in die Welt der "alternativen" Medien einzuleben, die Sie als durchwegs rechts bezeichnen. Sie hatten ein paar dieser Medien ausgewählt und beschlossen, sich ein halbes Jahr nur aus diesen zu informieren. Wie kam es überhaupt zu diesem Projekt?
Hans Demmel: Es gab für mich mehrere Gründe. Es hat damit begonnen, dass ich mich auch während meiner Zeit als aktiver Journalist und Medienmanager verschiedene Finanzierungs- und Weiterentwicklungsversuche des Journalismus angesehen habe. Dazu gehörten solche Modelle wie Tichys Einblick oder Gabor Steingart, die sehr personenbezogen und die in den USA sehr erfolgreich sind.
Ich bin zweitens bei einer Reihe von ehemaligen Kollegen vor allem über Social-Media-Kanäle darauf gestoßen, was und wo sie neuerdings schreiben. Ich habe mich gefragt, was die jeweils dazu gebracht hat, in eine, im Regelfall rechte Ecke abzudriften. Drittens gab es den Versuch eines dänischen Wissenschaftlers, der sich vier Wochen nur über Social Media informiert hat.
So ist langsam die Idee gewachsen, wie es wäre, wenn ich mich mal vier Wochen nur dort informiere. Das war die ursprüngliche Idee im Sommer 2020. Ich bin dann im Herbst aus meiner Verbandstätigkeit ausgeschieden und hatte so erstmals auch die Möglichkeit, mich vom normalen Informationsstrom abzukoppeln.
Dann entstand die Idee bei mir, einen Koautor mit hereinzunehmen, der das, was ich beobachtet habe, mit dem vergleicht, was in den sogenannten Mainstream-Medien passiert und was letztlich der allgemeingültigen Wahrheit entspricht. Der Koautor sollte das konterkarieren, was ich erlebe. Aus diesen vier Wochen sind nach Gesprächen mit Friedrich Küppersbusch und Barbara Wenner, unserer Literaturagentin, sechs Monate geworden, weil wir sicher waren, dass vier Wochen als Beobachtungszeitraum zu kurz wären.
Am 28. August 2020 ging es dann los. Ich dachte eigentlich, ich schreibe mich an diesem Wochenende mal warm, als die zweite große Corona-Demonstration in Berlin stattfand. An diesem Wochenende gab es dann den Sturm auf den Reichstag, der in den Alternativmedien so nie benannt wurde und auch nicht richtig vorkam.
Wir haben dann beschlossen, ab eben diesem 28. schon weiterzumachen. Es wurden dann nicht ganz sechs Monate, aber es gab nach der US-Wahl Anfang Januar den Sturm auf das Kapitol. Das ist ein nicht vorhersehbarer Bogen gewesen, der beschreibt, was in dieser Zeit passiert ist.
Sie haben einige Medien ausgewählt, auf die Sie sich konzentriert haben, also Tichys Einblick, MMNews, KenFM, Compact und die Zeitung Junge Freiheit, die eher ein konventionelles rechtes Medium ist. Was ist denn für Sie die Klammer um diese sogenannten alternativen Medien?
Hans Demmel: Die Klammer war, auch nach Diskussionen mit meinem Koautor, Journalistenkollegen und Freund Friedrich Küppersbusch, die Frage, welche von diesen Medien eine größere Rolle im Alltag spielen. Das ist nicht wissenschaftlich belegt, sondern unser Bauchgefühl aus einer langen journalistischen Erfahrung.
Die ausgewählten Medien sind die bekannteren sind und haben in den letzten Jahren eine bestimmte Breite an Zuhörerschaft erreicht. Die Auswahl deckt auch eine gewisse Breite ab, angefangen von Tichys Einblick, der scheinbar noch am bürgerlichen Rand ist, bis hin zum unverhohlenen Rechtsradikalismus und Antisemitismus bei Compact. Wir haben im Lauf der Zeit natürlich auch noch viele andere Medien kennengelernt wie Epochtimes oder Politically Incorrect.
"Die Gegenseite wollte aber auch mit uns nicht reden"
Kürzlich hatten wir den Fall, dass eine Professorin für Journalismus vor vielen Jahren Ken Jebsen ein Interview gegeben hat. Kürzlich wurde sie aufgrund des Erscheinens eines Buchs von ihr zum Thema Faktenchecks von einem großen Magazin interviewt. Das Interview blieb wochenlang erst einmal liegen und dann hieß es vom Redakteur, er könne das leider nicht machen, er und sein Medium würden sich damit beflecken. Es gibt also auch eine große Scheu vor den alternativen Medien, eine Angst, dass jeder, der damit mal in Kontakt gekommen ist, verpönt ist.
Hans Demmel: Ich hoffe nicht, dass ich verpönt werde, weil ich in intensivem Kontakt war …
Sie haben ja nur von außen auf diese geschaut …
Hans Demmel: Man muss einfach genau hinschauen. Das ist ja das Stichwort der Cancel Culture. Wen lädt man in Fernsehsendungen ein, mit wem redet man noch? Ich persönlich bin dafür, weitestmöglich, aber dann auch sehr kritisch und sehr genau mit dem einen oder anderen auch aus einer anderen, wegdriftenden Welt zu reden. Sie als Publizisten zu befragen, ist nicht nur ok, sondern auch notwendig. Als Experten für Corona beispielsweise kann ich mir keinen, von dem ich in dieser Zeit gelesen habe, vorstellen.
Diese Gegenseite wollte aber auch mit uns nicht reden. Interviewanfragen wurden entweder nicht beantwortet oder zum Teil ganz höflich abschlägig beschieden. Man muss also hinschauen, was da passiert, auf der anderen Seite darf man natürlich vieles an Hanebüchenem, ob es sich um Corona, Geschichtsbegradigungen oder unverhohlen Antisemitismus handelt, nicht einfach so stehen lassen.
Das Totschweigen ist garantiert nicht wirklich der richtige Weg. Es gab viele, die sagten, schreibt doch dieses Buch nicht, lasst sie in der Ecke, ihr macht sie dadurch vielleicht stärker und bekannter. Ich bin wirklich für Hinschauen. Bei Einzelfällen wie bei dieser Professorin muss man sehr genau hinschauen. Im Zweifelsfall bin ich für einen fundierten Dialog.
Würden Sie sich beispielsweise von Ken Jebsen interviewen lassen?
Hans Demmel: Nein.
Aus welchem Grund?
Hans Demmel: Das kam jetzt relativ schnell dieses Nein. Ich halte speziell Ken Jebsen nicht für eine Person, die ich noch als Journalisten sehe, sondern er ist jemand, der Ziele verfolgt, die ich einfach nicht mehr verstehe. Ich wüsste nicht, worüber ich reden sollte mit ihm, ich wüsste nicht, welche Frage ich beantworte, und ich würde mich nicht von jemanden, der sich offensichtlich als Lügner erwiesen hat, interviewen lassen. Er sich von mir wahrscheinlich auch nicht. Er hat auch auf die Interviewanfrage von uns nicht geantwortet.
"Die Alternativmedien sehen sich alleine für die Wahrheit zuständig"
Das ist natürlich auch feige. Sehen Sie denn innerhalb dieser Alternativmedien eine formale Gemeinsamkeit? Gibt es eine Schreib- oder Berichtsweise, die ähnlich ist und die abweicht von dem, was Sie als ernsthaften Journalismus bezeichnen?
Hans Demmel: Formal gibt es Unterschiede. Bei KenFM gibt es etwa stundenlange Interviews. Das ist wirklich schwer anzuhören. Es gibt die Junge Freiheit, die im Wesentlichen als klassische Tageszeitung auftritt und zumindest optisch so ähnlich aussieht wie die FAZ oder die Süddeutsche. Tichys Einblick ist ein Magazin, ähnlich wie Compact. Es gibt auch inhaltliche Unterschiede in der Diktion, aber es gibt bei allen eine grundsätzlich defätistische Haltung gegenüber dem Mainstream und den Mainstream-Medien sowie gegenüber dem, was ein Großteil des Landes als allgemeingültige Wahrheit ansieht.
Für mich gibt es einen Ausdruck, der mir weitergeholfen hat, das zu verstehen: Das ist destruktiver Journalismus. Wenn Sie Tag für Tag alternative Medien verfolgen, dann erfahren Sie, dass praktisch alles schlecht ist. Es ist immer alles negativ, das Glas ist immer halbleer, die Kanzlerin muss weg, weil sie völlig unfähig ist, Flüchtlinge und Migranten sind alle eine Bedrohung für dieses Land, das Finanzsystem steht kurz vor dem Kollaps, die öffentlich-rechtlichen Medien sind nur Lügenpresse. Die Alternativmedien sehen sich alleine für die Wahrheit zuständig.
Würden Sie sagen, es wird mehr Hass oder mehr Angst verbreitet.
Hans Demmel: Beides. Vieles ist in der Wortwahl Hetze, vieles ist Hass auf Andersdenkende. Angst wird unterschiedlicher Form verbreitet. Angst ist auch bei mir aufgekommen, aber das ist die Angst vor dem, was die schreiben. Aber diese Medien prägen auch Angst vor einem immer übergriffigeren, unfähigen Staat und vor unfähigen Medien.
Das trifft, das höre ich aus meinem Bekanntenkreis sehr häufig, auf die Stimmung vieler Menschen und führt zu einer Kritik am Staat, am Gemeinwesen, auch an Medien. Die Zahl derer, die an Verschwörungserzählungen und -ideologien glauben oder sagen, die Wahrheit steht doch im Netz und nicht in den Mainstreammedien, wird immer größer. Das macht mir schon auch Angst.
Woher kommt dieser Trend zur anderen Seite?
Könnte das nicht eine Folge davon sein, dass die traditionellen Massenmedien, die Qualitätsmedien, wie sie sich selbst nennen, zu wenig kritisch berichten? Woher kommt dieser Trend zu der anderen Seite? Es gibt doch auch tatsächlich Verschwörungserzählungen, die von staatlicher Ebene ausgehen, wenn man an das Vorfeld des Irakkriegs denkt, wo die britische und die US-Regierung eine Verschwörungserzählung über die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein als Kriegsrechtfertigung fabriziert. Die großen deutschen Medien haben da auch nicht groß kritisch berichtet, sondern sind dem auch erst einmal auf den Leim gegangen. Aber ganz allgemein: Könnte es nicht sein, dass auf der Seite der Mainstreammedien ein Manko besteht?
Hans Demmel: Ich habe das Thema Irak etwas anders im Gedächtnis. Wie groß die Beweislage für Nuklearanlagen im Irak ist, wurde schon hinterfragt, wenn ich mich recht entsinne, aber hätte sicherlich stärker hinterfragt werden müssen. Was hinter Ihrer Frage steht, ist die Idee von Mainstreammedien, die sich in der linken Mitte tummeln, die linksversifften Medien, wie es gerne in der Alternativmedienszene heißt.
Ich sehe das nicht so, auch wenn das Narrativ verbreitet ist. Wir haben aber die taz auf der einen Seite und auf der anderen Seite Die Welt, die FAZ, die Bildzeitung, die NZZ und die eine oder andere Regionalzeitung, die sehr konservativ ist. Die Bandbreite des deutschen, sauber an Fakten orientierten Journalismus ist ziemlich groß.
Weniger Bereitschaft, sich mit einer anderen Meinung auseinanderzusetzen
Sie sehen also keine Ursache in der Art der Berichterstattung der Mainstreammedien. Sind Sie denn bei Ihrer Lektüre auf einen Grund gekommen, warum das Interesse an Alternativmedien und an Verschwörungserzählungen, wie Sie ja sagten, ebenso wie die Distanz zum Staat zugenommen hat?
Hans Demmel: Das war der Herbst 2015. Die Zahl der Flüchtlinge, die ins Land geströmt sind, hat bei vielen Menschen Ängste ausgelöst, die von den sogenannten Mainstreammedien lange nicht beachtet wurden. Dann sind es diese Attacken von ganz rechts aus der Pegida-Bewegung gegen die sogenannte Lügenpresse. Dann hat natürlich die Diskussion um Corona, ob es die Infektion wirklich gibt oder wie gefährlich sie ist, ob die Maßnahmen gerechtfertigt sind, das Ganze noch einmal befeuert.
Ich habe zweitens beim Schreiben festgestellt, dass die Zahl derer, die nur noch Meldungen glauben, die in ihr Mind-Set passen, deutlich zunimmt. In der Psychologie gibt es dazu den Begriff information bias, d.h. Meldungen, Sätze, Interviews oder Gespräche, die dem eigenen Denken entsprechen, hält man für deutlich hochwertiger und glaubwürdiger. Die Fähigkeit, oder besser die Bereitschaft, sich mit einer anderen Meinung auseinanderzusetzen, ist geschrumpft.
Und drittens: die meisten Menschen neigen dazu, dass sie gerne etwas Besonderes oder Anderes wären, sich also von anderen unterscheiden wollen. Das war mal das größere Auto, das größere Haus, der bessere Job, oder man versteht mehr vom Wein oder kann die Mozart-Symfonien auseinanderhalten und von Mahler und Beethoven unterscheiden. Jetzt ergibt sich auch mit dem Wissen aus dem Internet eine Differenzierung. Ich kenne die Wahrheit, die du nicht kennst, ist etwas, was viele Menschen als Alleinstellungs- oder Differenzierungsmerkmal für sich in Anspruch nehmen.
Also, dass sie selbst Teil einer Elite oder einer Avantgarde sind?
Hans Demmel: Genau so.
Sie stellen sich im Buch die rhetorische Frage, ob es die Gefahr gab, in diesen Blasen abzutauchen. Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass bei einigen Inhalten etwas dran sein könnte, sodass Sie sich vorstellen konnten, dass Sie davon eingewickelt werden könnten?
Hans Demmel: Es gab eine Zeit, in der intensiv ich über den Mainstream nachgedacht habe. Das war die Phase um die US-Wahl und die Tatsache, dass über Trump in den sogenannten Mainstreammedien sehr häufig negativ berichtet wurde. Da kamen schon Zweifel auf, ob es nicht auch anderes gibt.
Bei mir ist dazu ein Misstrauen gegen jede Veröffentlichung und jede Information entstanden. Ich habe natürlich in meinem Beruf gelernt, dass man hinterfragt und Meldungen prüft. Mittlerweile misstraue ich sogar dem von mir selbst Geschriebenem. Da sitzt etwas ganz tief, da ist viel Vertrauen erschüttert.
Tief sitzt auch die Angst, dass Menschen, die nicht den Erfahrungspanzer haben, wie ich ihn nach 40 Jahren in unterschiedlichen journalistischen Funktionen um mich herum habe, dem einfach auf den Leim gehen. Ohne arrogant sein zu wollen, ich kann mich gegen die Infiltration dieser alternativen Medien, die ja oft genug einfach nur hanebüchenen Unsinn verbreiten, schon ganz gut wehren. Doch was ist mit jemand, der diesen Erfahrungsschatz nicht hat. Der sitzt schnell in der Falle und denkt quer.
Das vollständige Interview ist bei Krass & Konkret erschienen.