Das öffentliche Labor

Interview mit Lili Kim, Boris Achour, Benjamin LeBois, Sandra Carigliano und François Nougvies von "public".

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Euer Raum "public" scheint keine Galerie zu sein, er ist aber auch keine Institution. Beschreibt bitte Euren Ansatz.

public: (Boris Achour) Bei public sind wir zu siebt. Drei von uns sind Künstler, von den vier anderen kommen zwei vom Graphikdesign und von der elektronischen Musik. Lili Kim ist Kuratorin, Laetitia Rouiller kuratiert Videoprogramme. Wir haben unseren Raum Anfang Januar eröffnet, ganz in der Nähe des Centre Pompidou, im Zentrum von Paris. Unsere Idee war, den Raum als eine Art Labor zu öffnen, wo wir neue Ansätze entwickeln, um künstlerische Produktion zu zeigen. Ein anderer, sehr wichtiger Punkt, ist der Mix verschiedener künstlerischer Praktiken wie Videoinstallationen, Performances, Theater, Soundperformances, Bildender Kunst usw., entweder gleichzeitig oder in Reihe. Was auch sehr wichtig ist, ist, daß wir sehr kurze Programme laufen haben: Wir möchten damit Geschwindigkeit und eine hohe Dichte herstellen. So öffnen wir z.B. jedes Wochenende mit etwas anderem.

(Lili Kim): Im Januar haben wir eine Ausstellung zum Thema "re-" gezeigt, also über die Idee des Re-mixens etwa. Wir haben dazu Videos gezeigt und auch Musiker, einen Clown und eine Theatergruppe eingeladen...

(Boris Achour): Der Name "public" bedeutet für uns, daß wir mit diesem Raum so arbeiten möchten, als sei er tatsächlich ein öffentlicher Raum. Wir bemühen uns, verschiedene Öffentlichkeiten, von der Bildenden Kunst, der Soundszene, dem Theater, an gleichem Ort und zur gleichen Zeit miteinander zu vermischen. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist, daß wir nicht nur ein Ort sind, an dem Kunst, Video oder Sound gezeigt werden, sondern vor allem ein Raum, in dem Kunst produziert wird. Wir werden also in Zukunft auch Workshops mit Künstlern, Autoren und Wissenschaftlern organisieren. Wir werden auch versuchen, gemeinsam mit dem Publikum am Produzieren bestimmter Formen zu arbeiten. Die Workshops sind dabei in sich selbst schon Form.

Euer Raum befindet sich in einer Gegend, die sehr kostspielig sein muß. Wie ist Euer ökonomisches Modell? Wie finanziert Ihr Eure Vorhaben?

public: (Lili Kim) Das ist problematisch. Aber als erstes muß ich sagen, daß wir das Glück haben, den Raum kostenfrei nutzen zu können. Was die laufenden Kosten und das Management betrifft, versuchen wir, Finanzquellen von überall her anzuzapfen, um die ganze Welt...

(Boris Achour): Aber tatsächlich haben wir ganz ohne Geld angefangen. Ganz zu Anfang zahlten wir alles aus eigener Tasche, Einladungskarten, Briefmarken usw., denn wir hatten den großen Wunsch, den Raum auch schon zu eröffnen, selbst wenn wir keine Zuwendungen von der Regierung oder dem Kulturministerium bekämen. Nach und nach haben wir dann einige Mitglieder für unseren Verein gewinnen können, und wir hoffen, daß wir demnächst Unterstützung von der Regierung erhalten.

Warum hattet Ihr den Wunsch, einen nichtkommerziellen Raum zu eröffnen, und nicht etwa eine Galerie?

public: (Lili Kim) Kommerzielle Galerien gibt es in Paris zur Genüge. Warum sollte man also das Bestehende wiederholen?

Räume wie Eurer scheinen zur Zeit in Paris auf ein großes Interesse zu stoßen. Arbeitet Ihr mit ähnlichen Gruppen zusammen?

public: (Boris Achour) Das werden wir tun, sehr bald. Z.B, wird Georges Tony-Stoll bald eine Soloausstellung in der Glassbox haben, währenddessen wird er hier mit einem anderen Künstler eine kleine zweiwöchige Show organisieren. Das wird die erste Zusammenarbeit von public und Glassbox werden. Außerdem stellen wir gerade Zusammenarbeit mit Kunsträumen in Glasgow her, wie der Transmission Gallery und dem Modern Institute. Und wir haben Verbindungen zu einem ähnlichen Raum in Marseille , z.B. über das ZAP Magazine aus Holland. Wichtig dabei zu bemerken ist, daß wir in keinster Weise im Wettbewerb mit Galerien oder Institutionen stehen. Wir möchten nämlich etwas entwickeln, das es in Paris so noch nicht gibt, von dem wir uns aber bewußt sind, daß es andernorts in Europa schon längst existiert - In Großbritannien, in Deutschland, der Schweiz, in Holland usw.

In Frankreich ist es aber aufgrund der politischen Konzentration und der Macht des Kulturministeriums zur Regel geworden, daß Künstler seit 10 oder sogar 20 Jahren meinen, in Sachen Geld oder Ausstellungen alles von Galerien oder dem Staat erwarten zu dürfen. Bei uns ist es so, daß 2 der 3 Künstler von uns schon mit kommerziellen Pariser Galerien zusammenarbeiten; es geht uns also nicht darum, diesen Raum zu haben, nur damit wir unsere Arbeiten zeigen können. Es geht um eine Zusammenarbeit mit anderen von Künstlern organisierten Räumen, aber auch mit Galerien und Institutionen. Wir sehen uns nicht in einem Wettbewerb, sondern als Ausdehnung (Extension). Wir möchten an der Ausdehnung der Pariser Kunstszene arbeiten. "Mehr" und "weiter".

Habt Ihr daran gedacht, Eure Aktivitäten auch auf das Internet auszudehnen? Wenn es im Namen "public" um das "Öffentliche" geht, wäre dies doch eine weitere Sphäre des Zugangs.

public: (Boris Achour) Ja, das planen wir, und es wird in ein paar Wochen oder Monaten eingerichtet sein.

Wie lange werdet Ihr in diesem Raum bleiben können?

public: (Boris Achour) Auf jeden Fall für ein Jahr; danach muß man sehen.

Würde mit der Aufgabe des Raumes dann auch das Projekt beendet sein?

public: (Boris Achour) Das ist noch unklar.

Könntet Ihr bitte etwas mehr zu Eurem Programm sagen? Habt Ihr eine Definition für Eure Programmarbeit?

public: (Lili Kim) Nicht wirklich. Jeder von uns möchte Arbeiten aus verschiedenen kulturellen Bereichen zeigen. Benjamin und Sandra arbeiten z.B. in der Musikszene, aus der sie möglichst viele Leute in Berührug mit diesem Raum bringen wollen. Wir bemühen uns um eine gewisse Kohärenz, aber auf der anderen Seite versuchen wir auch, keine klare Linie erkennen zu lassen.

(Boris Achour): Wichtiger als alles andere ist für uns die Idee des Labors. Wir sind an Leuten interessiert, die mit ihrer Arbeit Experimente eingehen, egal ob es sich um Bildende Kunst, Video, Choreographie oder Musik handelt.

Meine letzte Frage: Wenn Ihr Euch wünschen könntet, daß sich in den nächsten 4 oder 5 Jahren etwas in der Pariser Kunstszene ändert, damit es bessere Chancen für Räume wie diesen gibt - was wäre es?

public: (François Nougvies) Ich persönlich glaube, daß weitere Räume in der Art von public entstehen werden....

(Lili Kim): ...und schön wäre es, wenn es eine viel fließendere Zirkulation von Information und Geld zwischen den öffentlichen Institutionen, den privaten Unternehmen und Kunsträumen wie diesem gäbe; dann würde endlich alles wesentlich dynamischer werden.

Kontakt: public