Das offene Schulsystem bringt die Bildung zur Strecke

Seite 2: Verwässerung der Bildung

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Frommer Wunsch

Die Bildungsmisere mit einer "veränderten Lehrerschulung" zu Leibe zu rücken, hört sich auf den ersten Blick sympathisch an, ist aber nicht mehr als ein weiterer "frommer Wunsch". Nicht nur, weil die Rolle und die Möglichkeiten des Lehrpersonals im "System Schule" vollkommen überschätzt werden und es gerade die systemischen Voraussetzungen sind, die das Desinteresse, den Gleichmut und die Indifferenz auch und vor allem der besonders engagierten Pädagogen hervorrufen.

Sondern auch, weil die Lehrerpersönlichkeit seit Beginn und Einführung der Schulpflicht im Fokus und auf der Agenda der Bildungsoptimisten gestanden ist. Während des Studiums und in der Ausbildung wurden und werden Referendare und Lehramtsanwärter damit konfrontiert. Trotzdem sind die Klagen über die Lehrer über all die Jahre und Jahrzehnte eher lauter als leiser geworden. Darum werden diese Forderungen und Vorschläge, die die Autorin anführt und macht, dem Kundigen nur ein müdes Lächeln und ein krampfhaftes Gähnen abverlangen. Wie oft ist diese Sau im letzten halben Jahrhundert schon durchs Dorf getrieben worden.

Zumal die Persönlichkeit des Lehrers spätestens seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts systematisch herabgewürdigt wurde. Während sie in vielen Ländern des östlichen Breitengrades hoch angesehen ist, ist das Ansehen der Lehrperson hierzulande merklich gesunken.

Haben die Eltern vor Jahrzehnten ihren Sprösslingen vor dem Schulweg noch zugerufen: "Seid anständig und benehmt Euch!", hört man aktuell vielfach an deren Stelle den Ruf: "Habt viel Spaß!" Und wird eine Strafe ausgesprochen, dann wird häufig nicht der Übeltäter zur Rechenschaft gezogen, sondern es wird über die Lehrkraft hergezogen, am besten noch in Anwesenheit von Sohn oder Tochter. Dass die dann weder Achtung noch Respekt vor der Lehrkraft haben, überrascht dann wirklich nicht.

Spirale nach unten

Gleichwohl sind die Persönlichkeit des Lehrers, seine Charakterstärke und sein Durchsetzungsvermögen nur das eine. Das andere ist die Fachkompetenz. Und die ist in den letzten Jahren merklich gefallen. Wie soll sie auch gestiegen sein, wenn die Schüler von Lehrern unterrichtet werden, die selbst die Regeln der deutschen Grammatik und der Rechtschreibung nicht beherrschen und die Fähigkeit, in vollständigen Sätzen zu sprechen, zu denken und zu schreiben, nicht ausreichend gelernt haben.

"Das Wagnis, ein komplexeres Satzbaugefüge zu bilden", ende, so der Philologe Gerhard Wolf von der Uni Bayreuth über das Sprachvermögen heutiger Abiturienten, "regelmäßig in peinlichen Niederlagen". Da ist tatsächlich ein Schneeballeffekt entstanden, der nur noch schwer aufzuhalten ist

Da passt es ins Bild, dass der "Deutsche Wissenschaftsrat" soeben auf die glorreiche Idee gekommen ist, noch mehr qualifizierte Leute aus Berufen an die Universität zu schleusen und in der Sekundarstufe II des Gymnasiums den Schülern eine "systematische Studien- und Berufsorientierung" angedeihen zu lassen, damit die Jugendlichen "eine informierte und bewusste Entscheidung für eine Berufsausbildung oder für ein Studium treffen" könnten.

Auf den ersten Blick mögen diese "Empfehlungen zum Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung", die der Wissenschaftsrat herausgegeben hat, für die Bildungs- und Sozialbewegten einen gewissen sozialpolitischen Charme haben. Zumal sie die "Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbildung in beide Richtungen erhöhen."

Andererseits ist die "duale Berufsausbildung" aber eines der Standbeine, "auf denen die Leistungs- und Innovationsfähigkeit" Deutschlands gründet und gegründet hat. Viele Länder blicken bekanntlich neidvoll und mit Bewunderung auf dieses bildungspolitische Erfolgsmodell und würden es gern kopieren, wenn das denn so einfach wäre.

Verwässerung der Bildung

Mit dieser weiteren Öffnung und Überfrachtung mit Inhalten wird man aber weder den Hochschulen noch den Gymnasien einen Gefallen tun. Schon jetzt gibt es in Deutschland einen "nahezu offenen Hochschulzugang". Ein Großteil der Erwachsenen, gut 70 Prozent, könnten studieren). Das Schlagwort vom "Akademisierungswahn" macht längst die Runde (Warum alle studieren sollen).

Zu erwarten ist, dass das sprachliche und intellektuelle Niveau am Gymnasium und in der Folge an den Universitäten weiter sinken wird, wenn die Absolventen einer dualen Berufsausbildung in die Hochschulen strömen und im Gymnasium Fragen des Berufs gleich behandelt werden.

Diese nochmalige Öffnung wird es unmöglich machen, dass beide Einrichtungen ihren Bildungsauftrag, die Jugendlichen zur "Hochschulreife" zu führen und sie zum wissenschaftlichen Arbeiten zu befähigen bzw. ein Hort der Erkenntnissuche, der Aufklärung und Persönlichkeitsbildung zu sein, erfüllen werden können.

Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, hat diese Verzahnung und Verwässerung von Beruf und Wissenschaft zuletzt scharf kritisiert und zum Widerstand gegen die Pläne der Bildungsreformer aufgerufen.

Kompetenz statt Erkenntnissuche

Mit solchen Maßnahmen, so der ausgebildete Erziehungswissenschaftler, werde das duale System, auf das Deutschland zu recht stolz sein kann und darf, weiter ausgehöhlt. Die Universitäten würden sich in Berufsschulen verwandeln und die Ausrichtung der Universität auf Erkennen und Forschen zugunsten der Vermittlung von Wissen und des Erwerbs von Kompetenzen aufgeben. Die Folge wäre, dass die Grundlagenforschung mit ihrem Spitzenpersonal weiter ins Ausland oder an außeruniversitäre Einrichtungen auswandern werde.

Erzieher und Buchhändler, Altenpfleger und Physiotherapeuten brauchen aber weder Abitur noch ein Hochschulstudium. Diese Ausbildung kann man leicht an anderen Einrichtungen organisieren, die besser dafür geeignet und ausgestattet sind. Dass die Gehaltserwartungen mit einem absolvierten Studium an einer Akademie höher seien als ohne, ist eine sorgsam gepflegte Legende, die spätestens die jetzige Generation ausbaden muss und entlarvt haben wird.