Das schlummernde Ressentiment wecken
Italien erlebt mehr als eine Regierungskrise. Der politischen Klasse selbst schlägt starke Abneigung entgegen. Davon könnten erneut die Rechtspopulisten profitieren
Schon vor den Vertrauensabstimmungen in Abgeordnetenhaus und Senat galt die Mitte-Links-Regierung Romano Prodis als angezählt. Als vertrauenswürdig betrachteten sie zuletzt weniger als ein Drittel der Italiener. Kommentatoren erklären das gern mit der Zusammensetzung des Regierungsbündnisses. Ihm gehören neun Parteien an, von der radikalen Linken bis zu christdemokratischen Splittergruppen. Eine davon – die UDEUR, bei den Wahlen 2006 mit 1,4 Prozent der Stimmen bedacht – war von einem Korruptionsskandal erschüttert worden und hatte daraufhin mit der rechten Opposition angebändelt. Insbesondere ihre Stimmen fehlten Prodi bei der Vertrauensfrage im Senat, nach der er seinen Rücktritt einreichte.
Doch das ist nur die Oberfläche. Schwerer wiegt der massive Vertrauensverlust der politischen Klasse im Allgemeinen. Keiner hat das in den vergangenen Monaten so deutlich zu zeigen gewusst, wie der Blogger und Komiker Beppe Grillo. Seine jüngsten öffentlichen Inszenierungen und der Zuspruch, den er dafür erfährt, zeigen unfreiwillig, wer die nächste – reguläre oder vorgezogene – Wahl gewinnen dürfte: die Rechtspopulisten um Silvio Berlusconi, die zwar zur politischen Klasse gehören aber geschickt zu vermeiden wissen, dass man sie dazu zählt.
Beppe Grillo ist Italiens bekanntester Blogger und ein gefeierter Komiker. Im Herbst vergangenen Jahres sorgte er für Aufsehen, als er zum V-Day lud. Zur allgemeinen Verblüffung kamen zehntausende, um Regierung wie Opposition ihr Vaffancullo („Leck mich am Arsch“) entgegen zu schleudern. Kurz darauf legte Grillo nach und übergab Unterschriftenlisten, auf denen gefordert wurde, Vorbestraften die Kandidatur fürs Parlament zu verbieten (vgl. Der italienische Michael Moore). Später im Jahr attackierte der Satiriker Präsident Giorgio Napolitano: Ein Staatsoberhaupt dürfe nicht älter als 50 Jahre sein – Napolitano ist 82 – und solle direkt gewählt werden:
Ein Präsident aus dem Altersheim, der den Parteien-Status-Quo garantiert, nützt nichts. Ich will einen jungen Menschen aus der Zivilgesellschaft, der nicht parteigebunden ist.
Beppe Grillo
Blogger und Leitartikler zeigen sich uneins über Grillos Auftritte. Die einen sehen ihn in der Tradition anarchistischer Anti-Politik. Der Protest des Komikers sei anti-autoritär geprägt, aber einer Demokratie, die zivilere Formen des Streitens ermöglicht, nicht angemessen. Dennoch werfe er wichtige Fragen auf. Und er lässt sich nicht vereinnahmen: Grillo hat bisher allen Avancen von Parteien widerstanden, die ihn gern als Spitzenkandidat präsentiert hätten, darunter die Grünen. Stattdessen wirbt er für die Aufstellung von "Bürgerlisten" zu den Kommunalwahlen – mitmachen könne jeder, der parteilos und nicht vorbestraft sei. An den Bürgern sei es, sagt Grillo, die Politik neu zu begründen. Die politische Klasse aber müsse zerstört werden.
Andere sehen in ihm einen Populisten. Tatsächlich legt er nahe, in Rom regiere die immer gleiche Kaste von Berufspolitikern, die obendrein vergreist sei und es mit den eigenen Gesetzen nicht allzu genau nehme. Damit bedient Grillo – ob gewollt oder nicht – einen Reflex, der zentral für die rechtspopulistische Agitation ist. Sie beschwört ein Wir – das hart arbeitende, Steuern zahlende aber betrogene Volk –, das im brüsken Gegensatz zu einer Regierung aus entrückten Bürokraten stehe. Dagegen stellen die Rechtspopulisten einen charismatischen Führer, der den Ausweg weisen solle.
Ob Populist oder nicht – Grillo hat eine seit Jahren latente Krise erneut offen gelegt. „Millionen von Italienern“, schreibt Michele Serra in der liberalen Tageszeitung La Repubblica zeigen eine „Unduldsamkeit, die weitgehend nachvollziehbar und vertretbar ist. Sie ertragen die kranke Selbstbezüglichkeit der diversen Parteiführungen nicht mehr.“
"Von einem Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern können wir gar nicht mehr reden"
Parlamentarier werden oftmals nicht mehr als Volksvertreter im Wortsinn akzeptiert. Insbesondere dort, wo die repräsentative Demokratie seit Jahrzehnten etabliert ist, leidet sie unter schwindendem Zuspruch. Die niedrigsten Wahlbeteiligungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Europa zumeist ab den neunziger Jahren verzeichnet. Nahezu überall haben die Parteien insgesamt an Mitgliedern verloren.
In dem Maß, wie der Nationalstaat in einer globalisierten Welt an Bedeutung verliert, büßen Parteien Vertrauen ein: Was können sie bewegen, angesichts der – auch von ihnen oft beschworenen – angeblichen Sachzwänge? Zudem, sagen die Soziologen Wilhelm Heitmeyer und Dietmar Loch „haben die Parteien die Fähigkeit und – vor allem gegenüber den sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten – zum Teil auch den Willen verloren, diese politisch zu repräsentieren.“
Der Schriftsteller Erri de Luca wird deutlicher. Die Müllkrise in seiner Geburtsstadt Neapel zeige, dass der Staat nicht einmal die Gesundheit seiner Bürger schütze. Dabei sei egal, wer gerade regiere. Gehe es ums Geschäft, seien alle gleich:
Von einem Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern können wir gar nicht mehr reden. An seiner Stelle finden wir das Verhältnis zwischen Satrapen und ihren Untertanen.
Erri de Luca
Was folgt darauf? Erri de Luca hofft auf eine Revolte, die einer „neuen politischen Klasse“ zum Leben verhelfen werde. Und Michele Serra meint, nur „eine andere Politik“ könne aus der Krise der Repräsentation weisen. Das Nein zur Politik wollen auch jene nutzen, die scheinbar mühelos zwischen staatsmännischen Gesten und oppositionell tönender Rhetorik changieren – Italiens Rechtspopulisten um Silvio Berlusconi.
Silvio Berlusconi ist ein Meister darin, den vorhandenen Unmut machtpolitisch nutzbar zu machen: Wer unzufrieden ist, solle sich dem telegenen und charismatischen Führer anvertrauen, der werde es richten. Mit gewohntem Gespür für mediale Inszenierungen hat der Cavaliere im Dezember eine neue Partei gegründet: das „Volk der Freiheit“.
Als Regierungschef hatte Berlusconi zuletzt stark an Popularität verloren und war nach seinem Wahlerfolg 2001 bei jedem Urnengang abgestraft worden, bis er 2006 überraschend knapp gegen Romano Prodi verlor. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen allerdings, dass rechtspopulistische Parteien in der Opposition oft schnell zu alter Stärke zurück finden, so die FPÖ in Österreich. Gerade Berlusconis Management-Partei beherrscht den Showeffekt und versteht es, ihren Frontmann als Heilsbringer in Szene zu setzen. Zudem besitzt Berlusconi nach wie vor eine geballte Medienmacht. Der Schriftsteller Umberto Eco, ein Freund Prodis, meint:
Berlusconi verfügt über den Vorteil, dass er ein großer Schauspieler ist. Prodi ist kein Schauspieler. Das ist kein Verbrechen, wohl aber eine Schwäche.
Und Beppe Grillo? Was wird von seinen Auftritten haften bleiben? Das befreiende Gefühl, über die Regierenden gelacht und sie geärgert zu haben? Der Impuls, dem Elitenversagen mit eigenem Engagement zu begegnen? Oder die Vorstellung, ein starker Mann solle kommen und mit der korrupten Gerontokratie im Rom aufräumen? In den Antworten auf diese Fragen dürfte sich nicht zuletzt der Name des nächsten italienischen Premiers verbergen.