Das unfreie Subjekt ist ein Konstrukt des Hirnforschers

Seite 3: Ernste Folgen

Es sei noch einmal daran erinnert, dass solche Funde nicht nur zur reinen Unterhaltung verbreitet wurden, sondern handfeste Forderungen damit verknüpft wurden: Das Strafrecht gründe auf einem Fehler; niemand sei für seine Taten verantwortlich, daher müssten neue Gesetze her.

Es ist jedoch ein weiterer Mythos, in Strafverfahren ginge es wirklich um das philosophische Willensfreiheitsproblem (Von der theoretischen zur praktischen Freiheit).

Konrad Lehmann handelt sich diese Schwierigkeit gar nicht erst ein, da für ihn Determinismus kein Problem darstellt und er auch bewusste und unbewusste Einflüsse nicht gegeneinander ausspielt. Über seinen Ansatz kann man nachdenken. Die näheren Details, wie die Entscheidungsfindung konkret abläuft - biologisch, psychologisch und sozial - müssten noch herausgearbeitet sein. So geht Forschung: Hypothese, Experiment, Daten, neue Hypothese.

Die kritischen Leserinnen und Leser sollten sich aber merken, den Neuropropheten nicht blind zu folgen. Wenn diese auf ein reduziertes Menschenbild kommen, liegt das an deren reduzierter Arbeitsweise. Insbesondere konstruieren sie das unfreie Subjekt selbst. Dabei machen sie im Zweifelsfalle auch nicht vor unwissenschaftlichem Arbeiten halt.

Manches Dinge ändern sich halt nie: In seiner Antrittsrede über "Die Materialistische Weltanschauung unserer Zeit" von 1864 fühlte der berühmte Anatom und Rektor der Wiener Universität Joseph Hyrtl (1810-1894) den damaligen Neuropropheten auf den Zahn. Die hätten nichts Neues zu bieten. Vielmehr sei es dem Zeitgeist geschuldet, dass deren reißerische Argumente vom Gehirndeterminismus in den Medien so viel Aufmerksamkeit erhielten.

Die Materialisten reagierten gekränkt. Es kam zum Eklat und Hyrtls Rede erschien darum erst posthum. Ich kann aber wohl in Ruhe schlafen: Meine Kritik können mir die Neuropropheten nicht übelnehmen. Schließlich war's ja nur mein Gehirn!

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.