Davos: Wie Big Tech das Weltwirtschaftsforum dominiert

World Economic Forum, Treffen in Davos, 2017. Bild: Drop of Light / shutterstock.com
Lobbycontrol veröffentlicht Studie zum Einfluss des Davoser WEF. Im Fokus: Die Tech-Monopolisten. Der schlimmste: Elon Musk. Too little, too late, meint unser Autor.
Späte Erkenntnis: Der Verein Lobbycontrol, der sich mit einer Vielzahl an kritischen Transparenzberichten zur Einflussnahme von NGOs und Thinktanks auf die Politik über Jahrzehnte um sein Ansehen verdient gemacht hat, beleuchtet in seiner aktuell veröffentlichten Kurzstudie auch die unrühmliche Rolle, die das Genfer Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) spielt, das derzeit wieder zu seiner jährlichen Konferenz in Davos zusammengetreten ist.
Bei der Studie steht nicht das WEF allein im Fokus, sondern auch die Rolle von Big Tech. Die neuerliche Auseinandersetzung mit dem Großkonzerne-Lobbytreff hat sich dabei auch der Animosität gegen Elon Musk zu verdanken.
Fokus soziale Ungleichheit
Die neu erschienene Kurzstudie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Lobbycontrol und den beiden gegen soziale Ungleichheit gerichteten britischen NGOs Balanced Economy Project und Global Justice Now.
Diese Kooperation ist auch für die erste, mit 47 Seiten deutlich umfangreichere Studie zum WEF, "Taken, not earned – How monopolists drive the world’s power and wealth divide", aus dem Januar 2024 verantwortlich.
Dort stellten die Autoren bereits heraus, dass die reichsten Milliardäre der Welt, die in Davos zusammenkommen, ihren Reichtum nicht durch harte Arbeit, sondern durch die Ausnutzung der Monopolstellungen ihrer Konzerne erreicht hätten.
Ihre Rolle als "Gatekeeper" erlaube es ihnen, auf Kosten ihrer Mitbewerber verpflichtende Nutzungsauflagen zu ersinnen oder Preise zu diktieren. "Monopolmacht hat extremen Reichtum für Milliardäre gebracht, während sie der restlichen Menschheit schadet", heißt es in der Studie.
So seien die durchschnittlichen Preisaufschläge der 20 größten Unternehmen der Welt, von denen "mindestens 14" Partner des WEF seien, zwischen 2018 und 2022 auf etwa 50 Prozent gestiegen, während kleinere Firmen lediglich 25 Prozent erreichten. Auf diese Weise würden Verbraucher systematisch ausgebootet bzw. ausgebeutet.
Die Studie von 2024 übte zugleich Kritik an der Rolle der Regulierungsbehörden, die oft nicht in der Lage seien, gegen jene Monopole vorzugehen. So habe etwa die Europäische Kommission zwischen 2005 und 2023 nur 0,7 Prozent der Fusionen verhindert.
Die Autoren hatten vor diesem Hintergrund die Forderungen nach strengeren Fusionskontrollen und der Behandlung dominanter Firmen als öffentliche Versorgungsunternehmen aufgestellt, um "die Monopolmacht zum Wohle der Gesellschaft und zukünftiger Generationen zurückzuerobern, zu brechen und umzuverteilen".
Die neue Kurzstudie mit dem Titel "Weltwirtschaftsforum: Macht und Einfluss der Tech-Milliardäre" knüpft an diesen Fokus der sozialen Ungleichheit ihres Vorgängers an.
Privilegierter Zugang zur Politik
Die neue WEF-Studie wird mit den folgenden Worten eingeleitet:
Der intransparente Dialog der Mächtigen beim WEF ist Teil eines grundsätzlichen Problems westlicher Demokratien: der übergroße Einfluss von Konzernen und ihren Eigentümern auf den demokratischen Prozess.
Dieser Einfluss wird vor Ort in Davos für einen Moment sichtbar und zur Schau getragen, bevor er danach wieder in den Untiefen der Lobbyarbeit in einzelnen Staaten verschwindet.
Studie "Weltwirtschaftsforum: Macht und Einfluss der Tech-Milliardäre"
Die sogenannten GAMMA-Konzerne (Google, Amazon, Meta, Microsoft und Apple), welche allein eine Marktkapitalisierung von 11,91 Billionen auf sich vereinten, nutzen ihre monopolistischen Geschäftsmodelle nicht nur dazu, Preisaufschläge von bis zu 75 Prozent zu verlangen, sondern auch, um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen:
Mit 33 Millionen Euro führen Google, Amazon, Meta, Microsoft und Apple die Liste der Unternehmen nach Lobbyausgaben in Europa an. In den USA und der EU investieren die fünf Konzerne mehr als 89 Millionen Euro.
Sie geben in der EU mehr aus als die Top-10 Unternehmen im Finanzsektor oder in der Automobilindustrie. Auch die Techindustrie insgesamt hat ihre Lobbyausgaben in den letzten Jahren nochmal gesteigert – von 97 Millionen auf 113 Millionen in der EU.
Studie "Weltwirtschaftsforum: Macht und Einfluss der Tech-Milliardäre"
Das ganze System des WEF sei darauf angelegt, mächtigen Konzernen einen privilegierten Zugang zur Politik zu ermöglichen. Das WEF selbst bezeichnet seine Konzernpartner als "treibende Kraft hinter dem Programm des Forums".
Außerhalb des Davoser Gipfels arbeitet das WEF in zehn sogenannten Schwerpunktthemen-Zentren auch direkt mit seinen strategischen Partnern zusammen.
So habe das WEF den GAMMA-Unternehmen etwa durch Projekte wie gemeinsame Studien weitreichende Möglichkeiten geboten, den (vermeintlich) öffentlichen Diskurs um den Einsatz der sogenannten Künstlichen Intelligenz entscheidend mitzuprägen.
Schließlich problematisieren die Autoren den intransparenten Austausch jenseits des Schweizer Forum-Spektakels, wo die eigentlichen "Business Deals" in Hotelzimmern und anderen Räumlichkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingefädelt würden.
"Lobbycontrol wurde trotz mehrfacher Anfragen ein Zugang zum WEF verweigert", halten die Autoren fest.
Musk als Archetyp des einflussreichen Tech-Milliardärs
So begrüßenswert die Analyse des Weltwirtschaftsforums als Ansammlung der "mächtigsten Konzerne der Welt" ist, das in Corona-Zeiten von öffentlich-rechtlichen Sendern auch gerne mal als "Initiative von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern" verniedlicht wurde, ohne die augenfällige Hauptrolle der Großkonzerne kritisch zu beleuchten.
Von einer späten Erkenntnis muss deshalb die Rede sein, weil Lobbycontrol offenbar erst im Januar 2024 damit begonnen hat, sich eingehender mit dem Forum zu befassen.
Die Lobbypedia, das sonst relativ gut gepflegte, hauseigene Wiki von Lobbycontrol, führt nicht einmal einen eigenen Eintrag zum WEF.
Etwas schal wird die kritische Analyse des WEF auch deshalb, weil es eigentlich gar nicht im Mittelpunkt der nach ihm benannten Kurzstudie steht. Eigentliches Thema ist dagegen die (unzweifelhaft attribuierbare) Übermacht der Tech-Monopolisten und strategischen WEF-Partner sowie der sie kontrollierenden Tech-Milliardäre.
Zu diesen zählen die Autoren Amazon-Chef Jeff Bezos, Meta-Chef Mark Zuckerberg, die Google-Köpfe Larry Page und Sergej Brin sowie Bill Gates, der als ehemaliger CEO von Microsoft allerdings keine vergleichbare Rolle als Eigentümer spiele.
Dabei wird Gates durchaus zu Recht erwähnt, denn mehrere Berichte legen nahe, dass er nach wie vor an den Entscheidungen des Unternehmens maßgeblich beteiligt ist und Privilegien genießt, die ihm einen direkten Einfluss auf die Führungsebene garantieren.
Der unheilige Vater der Kritik an den "Superreichen hinter den Tech-Konzernen" ist allerdings X-, Tesla-, SpaceX- und Starlink-Chef Elon Musk. Damit surft Lobbycontrol auf der Welle des Widerstands, die seit der Übernahme von Twitter immer stärker über den gebürtigen Südafrikaner hereinbricht.
Dass jene Welle mit den politischen, d.h. rechtslibertären Äußerungen des (soweit man das eben an Unternehmensbeteiligungen im Gegensatz zu verschleiertem Vermögen durch Scheinfirmen u.Ä. festmachen kann) "reichsten Menschen der Welt" zusammenhängt, und mit dem seltsamen Schisma, dass eine "links"-politisch exklusive Digitalkritik hervorbringt, hat Telepolis an anderer Stelle beleuchtet.
Es gab ein WEF vor Elon Musk
Mit seiner großzügigen Unterstützung Donald Trumps habe sich Musk einen direkten Einfluss in der US-Regierung "erkauft", um nun selbige Regierungsinstitutionen zurückzubauen. Den Einsatz von Musks Satellitensystem Starlink in der Ukraine führen die Autoren als Beispiel der "fundamentalen" Abhängigkeit der Gesellschaft von den Diensten der Tech-Monopole an.
Mit der dräuenden Präsidentschaft von Donald Trump, mutmaßen die Autoren, werden diese Abhängigkeit und der Druck "auf unsere europäischen Regeln für eine demokratische digitale Gesellschaft (…) drastisch zunehmen, weil Big Tech fortan mitten in der US-Regierung sitzt".
Weiterhin trete Musk "demokratische Prozesse mit Füßen", wenn er seine Plattform X nutze, um rechte Parteien wie die AfD oder UKIP zu unterstützen und so politischen Einfluss auf Europa zu nehmen. Einem solchen "inakzeptablen" Vorgehen müsse durch klare gesellschaftliche Regeln vorgebeugt werden, meinen die Autoren.
Die Problematik solcher gesellschaftlichen Regeln wie dem als "gutes Digitalgesetz" bezeichneten DSA hat Telepolis an anderer Stelle zusammengetragen.
Bei allem Verständnis für die zweifelhafte Doppelrolle, die Musk nun als Regulierer und Regulierter in den USA einnimmt, hätte es bereits lange vor X und dem Department of Government Efficiency Gründe genug gegeben, das Weltwirtschaftsforum für seinen Einfluss auf die Weltpolitik zu kritisieren.
Dazu zählt neben der Gründung der Impfallianz GAVI zusammen mit der Bill and Melinda Gates Foundation insbesondere die 2019 geschlossene strategische Partnerschaft mit den Vereinten Nationen zur Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele aus der Agenda 2030.
Die Sorge um die Umwelt allgemein, die sich etwa in der Einladung Greta Thunbergs im selben Jahr manifestierte, mag wohl nicht recht mit dem Bild der rücksichtslos verfolgten Konzerninteressen zusammengepasst haben.
Telepolis hat allerdings in mehreren Artikeln dargelegt, wie diese scheinbaren Klima-Interessen und die technokratischen Träume um Smart Cities und Digitale Identitäten in der vom WEF ausgerufenen "Vierten Industriellen Revolution" sich eben doch sehr gut vereinen lassen.
Trotz allem eignet sich die Kritik am vielleicht großen Ungeheuer – definitiv aber technokratisch geprägten – Musk, die Auseinandersetzung mit der Macht der Konzerne erneut zu befeuern. Sicher wäre auch die Rolle seines PayPal-Kumpels Peter Thiel ein paar Zeilen wert, angefangen mit der Anschubfinanzierung seines umstrittenen Überwachungs-Unternehmens Palantir durch die CIA-Investmentfirma In-Q-Tel.
WEF 2025: Ein Blick auf die Agenda
Das Weltwirtschaftsforum steht 2025 unter dem Motto "Collaboration for the Intelligent Age", welches die Herausforderungen und Chancen der technologischen "Revolution" betont.
Zu den prominenten Teilnehmern gehören der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der persönlich anreist, und der neu amtierende US-Präsident, Donald Trump, der sich per Video zuschalten wird.
Unter der Rubrik "Reimagining Growth" sollen neue Wachstumsquellen in der globalen Wirtschaft sowie Möglichkeiten diskutiert werden, Volkswirtschaften "widerstandsfähiger" zu machen. Unter dem Titel "Industries in the Intelligent Age" diskutiert das Forum Unternehmensstrategien, die den großen geoökonomischen und technologischen Veränderungen gerecht werden, um ein "Gleichgewicht zwischen kurzfristigen Zielen und langfristigen Notwendigkeiten" zu erreichen.
Zum wiederkehrenden Themenbereich des Forums um die Verbindung von Kapitalismus und (erklärtem) Humanismus zählt die Rubrik "Investing in People", welche sich der Frage widmet, wie der öffentliche und private Sektor (!) in die Entwicklung von "Humankapital" und gute Arbeitsplätze investieren können.
Gleiches gilt für das Thema "Safeguarding the Planet" und dem Aufbau von "innovativen Partnerschaften und Technologien", die den Fortschritt und die Finanzierung (!) globaler Klima- und Naturschutzziele unterstützen sollen.
Schließlich hält das Forum mit "Rebuilding Trust" an seinem Agenda-Ziel des Vorjahres fest: In einer komplexen und beschleunigten Welt, heißt es, müssten neue Wege der Zusammenarbeit gefunden werden, um gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden und internationale Lösungen zu fördern.