"Dein Obdach ist nicht hier"

Seite 2: "Ich bin auch ein Mensch!"

"Wildes Urinieren, verbale Übergriffe, aggressives Betteln" führt das Bezirksamt Hamburg-Mitte ins Feld und fürchtet nachhaltige Beeinträchtigung des Stadtbildes. Der Tourismus ist in Gefahr. Der Polizei werden Sonderrechte zugestanden.

Die Humanistische Union konstatiert in ihrem Grundrechte-Report 2014 unter dem Motto "Dein Obdach ist nicht hier": "Belüftungsschächte werden mit Blechkästen vor ihnen (den Obdachlosen) verbaut, Hauseingänge mit Sprinkleranlagen vor ihnen geschützt, Parkbänke unbequem gemacht". Hamburg werde sukzessive zu einem "Flickenteppich grundrechtlicher Sonderzonen":

Die Reichen in den Nobelvororten und Luxusvierteln sind die wahren Asozialen dieser Gesellschaft, nicht die Obdachlosen der Stadt oder die Alkis und Junkies am Hauptbahnhof.

Kristian Stemmler im The Lower Class Magazine, 5. Januar 2019

Der Philosoph Christoph Quarch spricht im Gespräch mit SWR-Aktuell außer dem Punkt "Wohnungsmarkt" auch das Thema des sozialen Zusammenhalts an, mit besonderer Erwähnung der Hansestadt als Obdachmetropole.

Die Probleme, so Quarch, kriegt man nur in den Griff, wenn man auf kommunaler Ebene massiv in den sozialen Wohnungsbau investiert. Ernstzunehmende Vorgaben aus Berlin? Großes Fragezeichen.

Rhein und Ruhr und "irgendwo"

Der WDR warf Mitte Dezember einen Blick auf die Situation an Rhein und Ruhr. Frank Langer, ein Sozialarbeiter in Essen, lässt sich ein: Die Orte schrumpfen, sagt er, an denen Obdachlose sich aufhalten, geschweige denn schlafen können.

In der Ruhrstadt Essen werden Sitzgelegenheiten aus Holz systematisch beseitigt; wo man früher auch winters rasten konnte, muss man jetzt auf Stein sitzen. In der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf greifen die Behörden zu anderen Tricks, um Obdachlose zu vertreiben.

Unter einer Brücke – ein beliebter Schlafplatz – wurden massenhaft dicke Steine ausgebreitet. Die Maßnahme blieb nicht ohne Protest: Betroffene schleppten etliche der Brocken zum Rathaus.

In Wuppertal arbeitet man mit kleinen Gemeinheiten anderer Art. So hat man Bänke aufgestellt, die das Liegen erschweren, unter anderem durch kleine Metallhöcker, die in die Sitzflächen eingelassen sind. Immer mehr Plätze werden derweil gezielt so umgestaltet, dass sich Obdachlose nicht mehr wohlfühlen.

Mike, ein junger Obdachloser, im Beitrag (WDR-Video vom 14.12.2021, ab Min. 18:45):

Ich bin ja auch ein Mensch – irgendwo.

Berlin: Senat verbannt Obdachlose

Die Bundeshauptstadt liefert unterdes Schlagzeilen wie diese: Senat verbannt Obdachlose von Bahnsteigen, so am 7. Dezember.

Ab dem Tag galten die strengeren Corona-Vorschriften: Die 3-G-Regel, nach der nur Geimpfte, Genesene und Getestete mit Bahnen und Bussen fahren dürfen, wurde erweitert. Künftig muss 3G auch auf Bahnsteigen beachtet werden, wie der Berliner Senat beschlossen hatte.

Ein Beschluss, der auch Obdachlose betrifft, die im Winter Zuflucht auf Bahnsteigen suchen. Sind sie nicht nachweislich geimpft, genesen oder getestet, dürfen sie nicht auf dem Bahnsteig oder in U-Bahn-Stationen bleiben.

Aufgrund des Zwecks der Verordnung sei es "nicht möglich, eine Ausnahme für obdachlose Personen zu schaffen", ließ die Sozialverwaltung auf Nachfrage der Berliner Zeitung wissen.

Der Senat bedauere die Entscheidung, bleibt aber hart. Man verweist auf niederschwellige Impfangebote.

In Kürze soll das "Hofbräuhaus" nahe dem Berliner Alexanderplatz zu einem Tagestreff für 200 Obdachlose geöffnet werden. Damit sei doch "eine gute Alternative, auch mit Testmöglichkeit, für all jene geschaffen, denen sonst nur die Bahnhöfe bleiben", so die Berliner Sozialverwaltung.