Déjà-vu in Myanmar

Seite 2: Der Militärputsch in Myanmar

Am 1. Februar 2021 verhängte das Militär unter General Min Aung Hlaing einen auf ein Jahr befristeten Ausnahmezustand über das Land. Die Staatsrätin Aung San Suu Kyi, der Staatspräsident Win Myint und zahlreiche Minister wurden verhaftet. Armeechef General Min Aung Hlaing steht nun dem State Administrative Council, kurz SAC vor, welches die Kontrolle über Exekutive, Legislative und Judikative innehat. Seit Verhängung des Ausnahmezustandes protestieren die Menschen in großen Städten wie Yangon und Mandalay sowie in zahlreichen Orten der Provinz gegen das Militär. Nach einigen Wochen relativer Zurückhaltung und Appellen an die Bevölkerung geht die Militärregierung nunmehr mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Bisher sollen mehr als 700 Menschen erschossen worden sein. Allein am 27. März starben 127 Menschen im Kugelhagel der Polizei und der Streitkräfte.

Die Motive der führenden Militärs Myanmars für die Machtübernahme nach Jahren teilweiser Demokratisierung sind nur schwer durchschaubar. Möglicherweise fürchteten sie, ihre Privilegien zu verlieren. Aung San Suu Kyi führte eine zweigleisige Politik. Nach Außen vermied sie den Eindruck, Vorrechte der Militärs beschränken zu wollen, doch hinter den Kulissen leitete sie Reformen ein, um die Macht der Tatmadaw, der Myanmar-Armee, zu beschneiden. Vor ausländischen Medien und der UNO verteidigte sie das brutale Vorgehen des Militärs gegen die muslimischen Rohingyas, bei privaten Treffen mit westlichen Diplomaten äußerte sie sich kritisch darüber.

Die Armeeführung forderte die für November 2020 geplanten Wahlen zu verschieben. San Suu Kyi setzte aber deren Abhaltung trotz der Pandemie durch. Der Sieg der NLD war überwältigend und zeigte rein rechnerisch ca. 70 Prozent Zustimmung für die Partei der Friedensnobelpreisträgerin. Die Armee akzeptierte zunächst das Votum, doch dann begann sie plötzlich die Opposition des Wahlbetrugs zu beschuldigen.

Inoffiziell könnte aber das Misstrauen der Armeeführung gegenüber der NLD-Chefin der Hauptgrund gewesen sein, da sie die Militärs auf eine smarte Weise immer wieder auszutricksen wusste. Zudem bestand zwischen General Min Aung Hlaing und Suu Kyi eine persönliche Abneigung. In diesem Jahr sollte die Amtszeit des Generals offiziell auslaufen, mit 65 Jahren hätte sich dieser in den Ruhestand verabschieden sollen. Nur die Regierung konnte seine Kadenz verlängern, um im Gegenzug Zugeständnisse vom Armeechef zu erpressen.

Nach der vorsichtigen Demokratisierung Myanmars seit 2010 agierte der Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing in der Öffentlichkeit wie ein Staatsmann, hielt in der Hauptstadt Naypyidaw Treffen mit ausländischen Staatschefs ab. Im Unterschied zu Aung San Suu Kyi kontrollierte er den mächtigen Staatsicherheitsapparat, was ihm einen enormen Wissensvorsprung verschaffte.

Außerdem unterstehen dem Militär mehrere Wirtschaftskonglomerate, die alle Schlüsselsektoren, von Banken, über Tourismus, Telekommunikation bis zu Jadebergbau abdecken. Dieser wirtschaftlich-militärische Komplex ist die Quelle eines immensen finanziellen Wohlstands der hochrangigen Militärs der keiner zivilen Kontrolle untersteht.

Somit stand das Arrangement zwischen der Opposition und der Armee von Beginn an auf tönernen Füßen, die Möglichkeit eines Staatsstreichs hing wie ein Damoklesschwert über dem Land. Die Militärführung scheint dennoch vom Ausmaß des Widerstands überrascht worden zu sein. Den Einsatz ihrer Militärgewalt, die Ausschaltung von Aung San Suu Kyi und gelenkte Neuwahlen in einem Jahr betrachtet sie bloß als "notwendige Korrektur".

Schlechte Karten für die Demonstrierenden

Die Art wie die alte Ordnung wiederhergestellt werden soll, ist altbekannt: Einsatz scharfer Munition, Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen, dann wieder Freilassung größerer Gruppen von Demonstranten, die durch Folter gebrochen als Abschreckung für andere dienen. Solche Methoden waren bis 2010 an der Tagesordnung.

Einige wesentliche Unterschiede zur Situation von 1988-1990 sieht man dennoch. Einerseits versuchen sich die Menschen in neuen Formen von Protest, etwa in Akten zivilen Ungehorsams, wo Staatsangestellte wie die Ärzteschaft, das Lehrpersonal von Schulen, Universitäten und Staatsbeamte den Dienst für die Junta verweigern. Dies zeigt bereits große Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Funktionieren des Staatsapparates.

Ähnlich wie 1988 sind auf den Straßen überwiegend junge Menschen zu sehen. Doch anders als damals ist diese neue junge Generation das letzte Jahrzehnt in relativer Freiheit aufgewachsen. Sie sind mit den globalen Kommunikationscodes vertraut, über 22 Millionen Menschen, nahezu die Hälfte der Bevölkerung, besitzt ein Facebook-Account.

Trotz Einschränkungen und Internet-Blockaden dringen Bilder und Filmaufnahmen von den Protesten und der Gewalt der Spezialeinheiten in die Netze und nach außen. Das hinterlässt einen tiefen Eindruck auf die Weltöffentlichkeit, tiefer als es vor 33 Jahren der Fall war. Das mag erklären, dass trotz des Ausmaßes der Demonstrationen bislang weniger Menschen starben als 1988.

Trotz des weltweiten medialen Interesses stehen die Chancen für eine Rückkehr zum eingeschlagenen Weg der Demokratisierung sehr schlecht. Die Verurteilung durch die Vereinten Nationen sowie die US- und EU-Sanktionen haben einen nur symbolischen Charakter. Der große Nachbar China ist allzeit bereit, die entstandenen Lücken zu füllen. Das Reich der Mitte ist bereits der größte Handelspartner Myanmars.

Eine gewisse Hoffnung liegt in den Staaten der Region. Myanmar ist Mitglied der Asean, der Organisation Südostasiatischer Staaten, die nach EU-Vorbild die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes anstrebt. Bereits vor 2010 hatte der Staatenbund einen bedingten Einfluss auf die Entscheidungen der Militärregierung. Die Generäle schicken ihre Kinder zum Studieren nach Singapur, Thailand, oder Hongkong, ihre Frauen sind in den Shopping Malls der Region Stammkunden. Umgekehrt profitierten die Nachbarländer stark von der Öffnung Myanmars.

Der Zugang der Asean-Mitglieder ist pragmatisch und von Realpolitik geleitet. Sie können bestenfalls eine gewisse Mäßigung bei der Niederschlagung der Proteste erwirken, werden aber den Status quo, also eine vom Militär kontrollierte Regierung akzeptieren, denn auch für sie sind die Streitkräfte der einzige Garant für Stabilität Myanmars.

Alte Konflikte entlang ethnischer Linien brechen an der Staatsgrenze wieder auf. Die Rebellenarmeen der Karen, Shan, Kachin und der Arakanesen solidarisierten sich mit den Protestanten. Den 75.000 Kämpfern der Minderheitenarmeen stehen 350.000 Soldaten der Myanmar-Armee gegenüber. "Ein tragisches Abrutschen in einen neuen Bürgerkrieg ist möglich. Aber dafür ist nur der Putsch verantwortlich zu machen" meinte der Historiker Than Myint-U kürzlich in einem Interview.

Letzten Endes wird Myanmar seine Probleme selbst lösen müssen. Sollten die ethnischen Konflikte nicht wieder entflammen, wird die Junta in den kommenden Jahren Wahlen unter Beteiligung handverlesener und kooperationswilliger Akteure vorbereiten.

Als Vorbild kann hier das Nachbarland Thailand dienen, wo die königstreuen Militärs den demokratisch gewählten Medientycoon Taksin Shinawatra und seine Partei wegputschten und bereits seit Jahren Neuwahlen versprechen. Der Westen sollte sich von der Illusion einer liberalen Demokratie in beiden Staaten verabschieden, viel eher ist ein autokratisch geführtes System, etwa wie in Singapur, vorstellbar.

Die tragische Ikone Daw Aung San Suu Kyi wird – wieder einmal – die Ereignisse von ihrem Haus am See in der University Avenue aus verfolgen und zusehen müssen, wie ihr Land, für das sie ihr Leben aufopferte, in die blutige Vergangenheit abdriftet. Sie soll wegen Hochverrats angeklagt werden, worauf Todesstrafe oder 20 Jahre Gefängnis stehen.

Aus Respekt vor ihrem Namen wird man ihr erlauben, die nächsten Jahre unter Hausarrest zu verbringen. Als ein ranghoher Militär im Staatsfernsehen warnte, man müsse aus den hässlichen Todesfällen der letzten Tage lernen, da ein Schuss in den Kopf oder Rücken jeden treffen könne, hing über ihm ein Porträt ihres Vaters, General Aung San.

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