Demenz-Tests? "Ein Pisa-Test für Minister würde wahrscheinlich schon reichen"

Martin Sonneborn

Martin Sonneborn. Bild: Markus Wissmann / Shutterstock.com

Was Spitzenpolitiker kognitiv können müssen, über Nächte in Brüssel und Politikverdrossenheit: Sommer-Interview 2024 mit Partei-Chef Martin Sonneborn.

Im jüngsten EU-Wahlkampf konnte die Partei ihre beiden Mandate solide verteidigen. Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel, etwa in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Im traditionellen Sommer-Interview gewährt Partei-Chef Martin Sonneborn wieder Einblicke in die politische Lage.

"Meine Abende in Belgien"

▶ Herr Sonneborn, Sie müssen nun fünf weitere Jahre im belgischen Exil verbringen. Gibt es in Brüssel wenigstens wieder ein liberales Nachtleben, oder müssen Sie wie Ihr Ex-Kollege József Szájer Verhaftungen durch Sittenwächter befürchten?

Martin Sonneborn: Szajer? Ach ja, der Vizepräsident der christlichen EVP, der auf der Flucht aus einem Gang Bang für Herren nackt mit Drogen im Rucksack am Ende einer Regenrinne von der belgischen Polizei in Empfang genommen wurde. Nun, meine Abende in Belgien gestalten sich etwas zugeknöpfter, bürgerlicher, unspektakulärer. Ich betrinke mich korrekt bekleidet an der Bar der Beer Factory vor dem Parlament.

▶ Wie viel Geld geben Sie im Monat für Visagistinnen und Visagisten aus?

Martin Sonneborn: Gar keins. In Zeiten antiästhetischer Überformung der politischen Selbstdarstellung arbeite ich daran, den Menschen die ungeschminkte Wahrheit zu präsentieren.

Erforderliche Grundkenntnisse von Politikern

▶ In der Politik finden häufig verwirrte Menschen Bestätigung. Während lange die Union als favorisiertes Habitat galt, haben sich die Verwirrten seit Längerem bei den Grünen eingenistet. Brauchen wir für Spitzenpolitiker einen Demenztest, wie er bei US-Präsidenten praktiziert wird?

Martin Sonneborn: Ein Pisa-Test für Minister würde wahrscheinlich schon reichen. Wir wollen, dass alle, die in die Politik streben, wenigstens Grundkenntnisse in Geschichte, Deutsch, Mathe, Sachkunde etc. vorweisen. Und in Erdkunde. Aber vor allem in Deutsch!

Das sprachliche Niveau vieler Politiker ist unerträglich, denken Sie an Außenministerin Baerbock. Über ihre Bildungslücken würde man ja noch hinwegschauen, wenn sie sich zumindest ausdrücken könnten.

▶ Zur Sicherheit: Wiederholen Sie bitte "Mensch. Frau. Mann. Kamera. Fernseher" und schätzen Sie ein, was 100 minus 7 ergibt!

Martin Sonneborn: In diesen Zeiten wiederhole ich lieber Krieg! Waffenlieferungen! Wehrfähigkeit! Milliarden in die sinnlose Rüstungsindustrie! Dann schaut niemand auf meinen Intelligenzquotienten ... Für die Rechenaufgabe habe ich meine Assistenten. Das Ergebnis liefere ich nach, noch vor der nächsten Wahl.

"Wir haben offensichtlich eine Politik gegen die Interessen der Bürger"

▶ Im EU-Wahlkampf hatte die Partei eine Dönerpreisbremse gefordert, was konservative Politiker als Satire abtaten. Das Konzept hatte andere Mitbewerber jedoch so beeindruckt, dass zunächst die Jungen Grünen auf diesen Zug aufsprangen, dann die Linke und dann wollte auch die SPD diesen richtungsweisenden Trend nicht verpassen. Schließlich sah sich sogar die Wissenschaft zu Kritik an der Dönerpreisbremse veranlasst. Sind Konservative möglicherweise doch intelligenter als lange gedacht?

Martin Sonneborn: Nein, keineswegs. Die FDP ist ja auch aufgesprungen. Und die SPD sehe ich mittlerweile als konservativ. Im EU-Parlament wird sie – genau wie die kaputten Grünen – die Wahl von der Leyens zur Kommissionspräsidentin unterstützen.

Deren desaströse Bilanz, die verschwundenen 35-Milliarden-SMS, der Pfizer-Skandal irritieren offenbar niemanden. Die Kommissare sollen die Besten aus 450 Millionen Europäern sein, vorbildhaft in ihrem Verhalten, nicht irgendwelche moralisch fragwürdigen Subjekte, die sich benehmen wie Amtsträger in Südkalabrien oder auf dem Balkan.

▶ Bei der deutschen EU-Wahl waren für die meisten nicht EU-Themen wahlentscheidend, sondern die Bundespolitik. Sind die Leute möglicherweise einfach zu doof zum Wählen?

Martin Sonneborn: Ja. Warum fragen Sie? Seit 25 Jahren machen die Wähler ihr Kreuz bei den konservativen EVP-Parteien. Ohne sich klarzumachen, dass der desolate Zustand ganz Europas allein das Ergebnis der desolaten Politik dieses Vereins ist, der seit einem Vierteljahrhundert unsere Geschicke steuert: Wir haben offensichtlich eine Politik gegen die Interessen der Bürger, eine Politik der Militarisierung, Bürokratisierung, Überwachung, Bevormundung und des wirtschaftlichen Niedergangs.

Wo sind die Sparringspartner?

▶ Als einziger EU-Abgeordneter haben Sie ein Buch über die vergangene Legislaturperiode geschafft. Dennoch haben die Medien Sie während des EU-Wahlkampfs weitgehend ignoriert, und stattdessen die Hochstapler der etablierten Parteien hofiert. Werden Sie sich künftig in Wahlsendungen einklagen?

Martin Sonneborn: Wer sein Weltbild aus ARD und ZDF bezieht, der ist für autonomes Denken komplett verloren. Wozu soll man sich da einklagen? Höchstens ins Kinderfernsehen, da kann man noch effektiv Propaganda betreiben.

▶ Apropos Verwirrte: Nach den Abgängen von Frau Dr. von Strolch und Elmar Brok fehlten Ihnen im EU-Parlament jahrelang reaktionäre Sparringspartner. FDP-Granate Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit Ihnen die nächsten fünf Jahre die Bank drücken wird, bewies im Wahlkampf eine kurze Lunte und unnachahmlichen Charme. Wird "Oma Courage" eine würdige Nachfolgerin?

Martin Sonneborn: Nein, Frau von Strolch ist klüger, adeliger, sympathischer. Und sieht besser aus.

▶ Nachdem die Fraktion der Europäischen Rechten die AfD rausgeworfen hat, wäre da wieder Platz für deutsche Partner. Erwägen Sie diese Option oder überlassen Sie den von SS-Mann Baldur Springmann und SA-Mann Werner Vogel gegründeten deutschen Grünen den Vortritt? Die hatten bundesweit sogar Hakenkreuze plakatiert.

Martin Sonneborn: Moooment! Es war nicht alles schlecht unter Hitler, vergessen Sie nicht, dass er schon früh gegen die Russen gekämpft hat. Und die Autobahnen! Wussten Sie, dass die EU schon seit Jahren Milliarden in die Verstärkung von Autobahnen und panzertauglichen Brücken steckt? Leider nur in die Verbindungen Richtung Osten. Ich hoffe, dass sie zumindest die Gegenfahrbahn mitplanieren ...

Übrigens hat die China Daily kürzlich mit ihrer gesammelten chinesischen Weisheit die Grünen als rechtsextrem eingestuft. Und zur europäischen Rechten muss mal sagen: Die spaltet sich gerade in zwei Teile – in denjenigen, der eher transatlantisch als europäisch denkt und bereit ist, die Interessen der EU-Bürger denen von USA und Nato unterzuordnen, und den verachtenswerten rechtsextremen Rest.

Ratschläge für verwirrte Politiker

▶ SPD- Generalsekretär Kevoin Kühnert sprach in Bezug zu den Grünen von "Kontaktschande". Werden Sie bei den Landtagswahlen im September Brandmauern gegen die Grünen einziehen und/oder gehen Sie sogar mit einer Koalitionsaussage ins Rennen?

Martin Sonneborn: Als gäbe es gravierende Unterschiede zwischen Grünen und der SPD! Eine differente Geschichte vielleicht, aber doch keine große Unterscheidung mehr. Dass die Grünen darauf bestehen, anders als die SPD zu sein und umgekehrt, ist doch Klamauk.

In der wesentlichen politischen Ausrichtung sind sich die großen Parteien alle einig. Den Vorwurf der "Kontaktschande" würde ich mir eigentlich lieber für den Umgang mit Rüstungsindustrie und Finanzkapital vorbehalten.

▶ Bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten bewegen sich die Ampel-Parteien mit Ausnahme der Brandenburger SPD an der 5-Prozent-Grenze. Welche guten Ratschläge möchten Sie verwirrten Politikern bei der Rück-Integration in den Alltag der Menschen mit auf den Weg geben?

Martin Sonneborn: In Frankreich haben dem Figaro zufolge mehrere große Unternehmen des Energie- und Militärsektors kürzlich Anrufe aus dem Elysée-Palast erhalten – mit der Aufforderung, nach den anstehenden Parlamentswahlen gut dotierte Stellen für Minister und Staatssekretäre bereitzuhalten, die nach einem Regierungswechsel ihre Ämter verlieren. Könnte man auch bei mittelgroßen Schweinebauern in der brandenburgischen Provinz versuchen.

"In radikaler Opposition zu jeder Regierung"

▶ Ihre Partei wird im August 20 Jahre alt, ohne dass Sie es in ein Regierungsamt geschafft hätten. Ihrer Lumpenpazifistenfreundin Dr. Wagenknecht ist es hingegen gelungen, in weniger als einem halben Jahr Regierungsaussichten in drei Bundesländern klarzumachen. Hat die Partei-Bewegung Ihren Zenit hinter sich?

Martin Sonneborn: Ja, eigentlich schon seit der Gründung. Abgesehen davon habe ich mein Ehrenwort gegeben, dass wir stets in radikaler Opposition zu jeder Regierung stehen werden. Feiern tut wir das Jubiläum natürlich trotzdem, am 3. August in Köln, Gebäude 9, mit lauter Musik.

▶ Sie kolportieren über Ihre Chefin Frau Dr. von der Leyen von der Europäischen Volkspartei hässliche Dinge. Sollten Deutsche im Ausland denn nicht zusammenhalten, so wie beim Fußball?

Martin Sonneborn: Hoppla, ich dachte, sie sei Amerikanerin ... Smiley! Außerdem reicht es doch, wenn die allermeisten deutschen Medien zu ihr halten. Ihr totgerittenes Pony schaffte es auf diverse Titelseiten, die laufenden Ermittlungen gegen von der Leyen wegen Korruption, Veruntreuung und Amtsanmaßung werden systematisch totgeschwiegen.

▶ In Großbritannien, wo traditionell besonders viel Verwirrte in die Politik gehen, war der Platzmangel im politischen Hochsicherheitsgefängnis so belastend, dass man Julian Assange gehen ließ. Ist mit den westlichen Werten jetzt wieder alles im Lot?

Martin Sonneborn: Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, weil nach wie vor alle Verbrecher, deren Verbrechen er offengelegt hat, ungestraft in Think-Tanks oder Armeen herumlaufen. Ein wenig trösten würde mich, wenn man zumindest den Kriegsverbrecher Sir Tony Blair in die freie Zelle schickte.

"Die Revolution vorbereiten"

▶ Was haben Sie die nächsten fünf Jahre in Brüssel noch so vor (außer diesen speziellen Partys)?

Martin Sonneborn: Mit Sibylle Berg zusammen die Revolution vorbereiten. Die Dame mit der Betonfrisur ärgern. Fleißig in der Beer Factory arbeiten. Außerdem Transparenz herstellen, denn die Bürger werden immer transparenter, die Machthaber aber entziehen sich immer frecher ihrer demokratisch geschuldeten Rechenschaftspflicht.

▶ Der Inlandsgeheimdienst Bundesamt für Verfassungsschutz befasst inzwischen abkömmliche Mitarbeiter mit der Suche nach sogenannten "Delegitimierern des Staates", etwa Personen, die Zweifel an Wirksamkeit oder Ungefährlichkeit von Impfstoffen haben. Gibt es in anderen europäischen Ländern auch solche lustigen Geheimdienste?

Martin Sonneborn: Ich gehe davon aus. Die Grünen fordern überdies auch die Gründung eines eigenen EU-Geheimdienstes. Die EU-Kommission führt ja bereits einen aufwendigen Kampf gegen sogenannte "Desinformation" und Fake News.

In meinen Augen sind das überwiegend Maßnahmen, um die eigenen, westlichen Narrative zu schützen. Aber Deutschland wird allmählich ein schwieriges Pflaster für Leute, die einen satirischen Umgang pflegen, herumwitzeln oder eine gesunde Polemik zu schätzen wissen. Ich werde versuchen, die Ampelregierung von Belgien aus zu delegitimieren.

▶ Können Sie sich noch an die fünf Gegenstände von vorhin erinnern?

Martin Sonneborn: Welche fünf Gegenstände? Aber da kommt die Antwort aus meinem Büro: 42. 100 minus 7 ergibt 42. Wahrscheinlich Milliarden.

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Redaktionelle Anmerkung: Irrtümlicherweise wurde SPD-Chef Klingbeil als Autor einer Äußerung über "Kontaktschande" angegeben. Es war jedoch Kevin Kühnert. Das wurde verbessert.