Demokratie, Zukunft und Solidarität bleiben beim "Wiederaufbau" auf der Strecke
Seite 2: Vor Ungarn und Polen eingeknickt
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- Vor Ungarn und Polen eingeknickt
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Dass das sehr schwer wird, ist klar. Für Polen und Ungarn war das schwach genug, weshalb sie dieser schwammigen Lösung zustimmen konnten. Und die wurde zudem noch mit viel Geld erkauft. Das gilt nicht nur im Bereich der Kohle, sondern Polen, das recht unbeschadet durch die Corona-Pandemie kam, soll sogar an vierter Stelle bei der Zuweisung von Geldern aus dem Wiederaufbaufonds sein.
750 Milliarden Euro sollen dazu zusätzlich zum Haushalt in einen Topf geworfen werden. 390 Milliarden sollen nicht rückzahlbare Zuschüsse sein, 360 Milliarden sollen als Kredite vergeben werden, wenn die Länder diese und die damit verbundene verstärkte Kontrolle wollen. Frankreich, das schwer von der Pandemie getroffen wurde, soll nur etwas mehr Geld als Polen erhalten. Die großen Summen entfallen auf Italien und Spanien. Italien erwartet Zuschüsse im Umfang von 81 Milliarden Euro und mögliche Kredite im Umfang von bis zu 128 Milliarden. Spanien erwartet Zuschüsse in der Höhe von knapp 73 Milliarden und dazu kommen mögliche Kredite im Umfang von gut 61 Milliarden.
Zur Frage des Rechtsstaatsprinzips meint die europapolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion deshalb, dass "faktisch die Frage in die Zukunft vertagt" worden sei, die Auszahlung von Geldern an die Einhaltung zu binden. Man habe Ländern wie Ungarn weiterhin ein Vetorecht eingeräumt. "Über die Ausgestaltung, also was wie sanktioniert werden soll, soll der Europäischen Rat entscheiden und dort gilt das Einstimmigkeitsprinzip", erklärte Brantner.
Sie ist sich darin weitgehend einig mit der Vizepräsidentin des Europaparlaments und früheren Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). Auch sie kritisiert den Beschluss des EU-Gipfels als "enttäuschend vage". Man sei vor Ungarn und Polen eingeknickt, erklärte sie. Allerdings ist sie der Ansicht, "das Schlimme" sei, dass man ist "schon sehr früh eingeknickt" sei. Wieder einmal ist nicht das Umfallen für die SPD das Problem, sondern dafür in den Verhandlungen nicht genug als Gegenleistung rausgeholt zu haben.
Barley ist aber trotz allen der Ansicht, dass zu Rechtsstaatlichkeit "schöne Worte" gesprochen werden, es "aber wahrscheinlich sehr wenig Inhalt" gibt. "Kleinere Länder haben natürlich ihr gutes Recht, ihre Interessen durchzusetzen. Nur man darf sich nicht erpressen lassen von jemandem, der europäische Gelder für ganz andere Zwecke verausgabt, als sie gedacht sind, wie zum Beispiel Viktor Orbán", sagte Barley und deutet an, dass es an der Kontrolle hapern wird.
Interessant ist bei der ehemaligen Justizministerin aber auch die völlige Fixierung auf Ungarn und Polen, als gäbe es undemokratische Vorgänge nicht auch in anderen Ländern. Vom großen Spanien spricht sie jedenfalls nicht, obwohl sie im Rahmen des katalanischen Exil-Präsidenten und seiner verweigerten Auslieferung an Spanien mit hanebüchenen spanischen Vorgängen konfrontiert war (vgl. Justizministerin Barley dementiert ihre Äusserungen zu Puigdemont).
"Wenn wir Rechtsstaatlichkeit, korrekte Mittelverwendung und Korruptionsbekämpfung in Europa nicht sicherstellen, wird die EU als Wertegemeinschaft keinen Bestand haben"
Klar ist, dass "Viktor Orbán gewonnen hat", wie auch die Süddeutsche Zeitung anmerkt, die allerdings ebenfalls über Spanien kein Wort verliert. Dass Merkel der Frage ausweicht, ob in Zukunft EU-Gelder bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können, sagt eigentlich schon fast alles. Sie erklärt nur, dass an einem entsprechenden "Rechtsakt jetzt weitergearbeitet werden muss". Nach unbestätigten Berichten soll Merkel ihm besonders weit entgegengekommen sein. Orbán behauptet, die Kanzlerin habe ein Ende des laufenden Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn angekündigt.
In Ungarn und Polen herrscht Siegesstimmung, in Spanien natürlich auch, was man in Madrid aber nicht zu offen zeigt, wo man ebenfalls an einer Bindung an das Rechtsstaatsprinzip keinerlei Interesse hatte. "Ungarn und Polen ist es nicht nur gelungen, die Zusage für enorme EU‑Gelder für ihre Länder zu erhalten, sie haben auf dem viertägigen EU‑Gipfel in Brüssel auch ihren Nationalstolz geschützt", erklärten Ministerpräsident Viktor Orbán und sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki nach den Verhandlungen über den EU‑Haushalt und den Wiederaufbaufonds.
Man darf gespannt sein, ob angesichts großer Worte, die nicht nur von den Grünen und der SPD zur Frage der Rechtsstaatlichkeit kommen, am Ende das Europaparlament dann doch auch wieder mit kleineren Nachbesserungen im Haushalt einknickt und dann ebenfalls das Rechtsstaatsprinzip in den Verhandlungen opfert. Eigentlich sollte das angesichts der harschen Worte und des Inhalts unmöglich sein.
Da aber auch im Parlament alles möglich ist, sollte man sich nach dem Sommer an die Worte von Barley erinnern, die gerade erklärt hat: "Nur in einem funktionierenden Rechtsstaat ist sichergestellt, dass europäische Steuergelder nicht in dubiosen Taschen verschwinden." Sie kündigte an, alles dafür tun, dass es an diesem Punkt Rechtsstaatlichkeit Nachbesserungen gibt.
Und man sollte sich auch an die Worte des CDU-Abgeordneten Daniel Caspary erinnern, der in die gleiche Kerbe schlägt: "Wenn wir Rechtsstaatlichkeit, korrekte Mittelverwendung und Korruptionsbekämpfung in Europa nicht sicherstellen, wird die EU als Wertegemeinschaft keinen Bestand haben", sagte er. Bisher hatte die CDU jedenfalls mit der spanischen Schwesterpartei trotz deren massiven Korruptionsskandalen kein Problem.
Die Volkspartei (PP) hat, so ist längst gerichtsfest, ein "effizientes System institutioneller Korruption" betrieben. Allerdings blickt auch die SPD gerne über die Schwesterpartei in Spanien hinweg, die ebenfalls massive Probleme mit der Korruption hat. Dass sie nicht mal die des Königshauses ermitteln will, sollte Anlass genug sein, auch dieser Truppe stärker auf die Finger zu schauen (vgl. "Raus, raus Du Dieb").
Unklar ist, für welche Projekte Geld ausgegeben wird
Und man sollte sich zudem an die Worte des Vorsitzenden der Fraktion der Volksparteien (EVP) erinnern. Sogar der CSU-Mann Manfred Weber ist alles andere als zufrieden damit, wie die Corona-Hilfsgelder verwendet werden sollen. So ist Weber insbesondere dagegen, dass 90 Prozent der Mittel aus dem Corona-Hilfsfonds direkt in die nationalen Haushalte der EU-Mitgliedstaaten fließen und nicht projektgebunden vergeben werden sollen.
Für das EU-Parlament sei nicht nur die Höhe der Ausgaben entscheidend, sondern es müsse auch klar sein, "für was wir das Geld ausgeben". Wie wäre es, wenn die EU auf den Telepolis-Vorschlag drängt, dass man Hilfsgelder zunächst nur als Kredite vergibt, um sie nach gelungener Durchführung und Erreichung der Ziele in Zuschüsse umzuwandeln, um einen effizienten Einsatz zu gewährleisten?
Und da in vielen Fällen völlig unklar ist, für welche Projekte Geld in diversen Ländern ausgegeben werden soll, würde Weber gerne – ganz der EU-Bürokrat – eine zentrale EU-Agentur einrichten, die die Verwendung der Gelder überprüfen solle: "Es darf keine Korruption geben, es darf nicht in die Schattenwirtschaft gehen und ineffizient verwendet werden." Ob eine EU-Behörde das verhindern kann, ist jedenfalls sehr zweifelhaft. Angesichts der bisherigen Planungen ist davon allerdings ohnehin nichts zu sehen. Es ist sogar höchst zweifelhaft, ob in dieser Richtung etwas passiert.
Klar ist, dass ein Großteil der Zuschüsse – 312,5 der 390 Milliarden Euro – ausgeschüttet werden sollen, um staatliche Investitionen und Reformen zu unterstützen. Die Regierungen sollen entsprechende Pläne und Projekte für die nächsten beiden Jahre vorlegen, man darf gespannt sein. Die Kommission wolle schließlich prüfen, ob darüber das entsprechende Land und die EU vorangebracht werden können.
Vorgesehen ist auch, dass die Regierungen Zwischenziele erreichen sollen. Real blockiert können Auszahlungen aber nicht. Ein Land, das massive Zweifel oder Probleme mit bestimmten Ausgaben hat, kann bei Bedenken nur einen Aufschub einer Auszahlung erzwingen. Dann müssen sich die 27 Staats- und Regierungschefs darüber erneut verständigen. Nach einer Wartezeit von nur drei Monaten kann die EU-Kommission die Gelder aber trotz allem freigeben.
Einen wichtigen Durchbruch konnte die EU-Kommission allerdings im Rahmen der Corona-Hilfen nun erreichen. Erstmals darf die Kommission im Namen der EU nun in nennenswerter Höhe gemeinsame Schulden aufnehmen und erreicht damit eine Quasi-Staatlichkeit. Und das ist eines der Ziele, die im Vordergrund des gesamten Theaters standen, aber kaum benannt wurden. Und zu dieser Quasi-Staatlichkeit gehört eben auch, dass nun durchgesetzt wird, dass sich die EU eigene Einnahmequellen schafft. Dabei darf die EU eigentlich gar keine Steuern und Abgaben erheben, wie Telepolis schon mehrfach ausgeführt hatte.