Depressionen im Herbst: Wann ist es wirklich nur die dunkle Jahreszeit und was hilft?
Gegen Herbst- und Winterdepression kursieren viele Tipps – die für chronisch Depressive wie Hohn klingen. Über Unterschiede und Mythen.
Die Tage werden schon seit dem 21. Juni kürzer – und das hält noch bis kurz vor Weihnachten an. Den Lichtmangel vertragen manche Menschen schlechter als andere. Worte wie "Herbstdepression" oder "Winterdepression" werden umgangssprachlich für ein Stimmungstief in der dunklen Jahreszeit genutzt, das leicht über den "Winterblues" hinausgeht und – wenn es wiederholt auftritt – von Fachleuten "Seasonal Affective Disorder" (SAD) genannt wird.
Manche Symptome – wie Antriebslosigkeit oder verminderter Antrieb – können denen einer Depression ähneln. Ratschläge und Tipps, gegen das saisonale Stimmungstief, die aktuell wieder kursieren, kommen aber bei Menschen mit Depressionen oder Depressionserfahrung oft nicht gut an.
Handfeste Depressionen und der Saisoneffekt
Dass "manchmal die Kuscheldecke hilft" oder auch ein Stück Schokolade, trifft eher auf den "Winterblues" zu, der sich nicht zur Winterdepression auswachsen soll. In beiden Fällen sollen eher Heißhunger und Gewichtszunahme auftreten als die Appetitlosigkeit, an der Depressive häufig leiden.
"Depression ist wie eine frostige Eisenklaue, die sich hartkalt durch dein nacktes Ich spreizt", schreibt Martin Gommel. Fachjournalist für psychische Gesundheit beim Online-Magazin Krautreporter und selbst von chronischen Depressionen betroffen.
Eine Depression unabhängig von der Jahreszeit ist die schwerere Erkrankung, kommt aber häufiger vor. Prof. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe geht davon aus, dass es nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung tatsächlich an einer Winterdepression leiden. Diagnostizierte Depressionen, die ungleich schwerer zu behandeln sind, hatten dagegen im Jahr 2022 rund 12,5 Prozent der Bevölkerung ab zehn Jahren.
Lichttherapie gegen Stimmungstiefs in Herbst und Winter
Gegen die für saisonale Stimmungstiefs typische Müdigkeit und Abgeschlagenheit kann neben ausreichend Schlaf eine Lichttherapie helfen.
Denn durch den Lichtmangel im Winterhalbjahr wird das Schlafhormon Melatonin verstärkt ausgeschüttet – und zugleich weniger Serotonin. Letzteres gilt als "Glückshormon" – Serotoninmangel geht daher oft mit depressiven Symptomen einher.
Lähmend und lebensgefährlich: Manifeste Depressionen
Eine manifeste Depression verschwindet aber nicht durch mehr Tageslicht. Sich zum Sport oder einem Spaziergang an der frischen Luft aufzuraffen, wie es gegen winterliche Stimmungstiefs empfohlen wird, kann Depressiven fast unmöglich erscheinen.
Viele von ihnen würden gerne, können aber nicht. Sie fühlen sich wie gelähmt. Im schlimmsten Fall entwickeln sie Suizidgedanken, die sie irgendwann in die Tat umsetzen – und nicht allen helfen pharmazeutische Antidepressiva. Psychotherapeutische Behandlungen sind dann umso wichtiger.
Medikamente wie Lithium oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können bei diagnostischer Ungenauigkeit sogar gefährlich werden, wenn zum Beispiel ein unerkannter Herzfehler vorliegt oder eine bipolare Störung mit einer unipolaren Depression verwechselt wird.
Manche, die wie Martin Gommel oder Kay Redfield Jamison offen über ihre psychische Erkrankung sprechen, betonen aber, dass ihnen Medikamente helfen oder zumindest zeitweise halfen, besser damit umzugehen und die Symptome zu mildern. Dafür nehmen sie zum Teil schwere Nebenwirkungen in Kauf.
Mythen über Depression: Von Schokolade bis Zusammenreißen
Eine Studie der Deutschen Depressionshilfe befasste sich 2017 mit den gängigen Fehlannahmen und Mythen rund um die Erkrankung. 19 Prozent der Befragten waren damals der Meinung, "sich zusammenreißen" helfe gegen Depressionen. Hinzu kamen Feelgood-Mythen über Süßigkeiten und Reisen als vermeintliche Wundermittel.
Jede:r fünfte Deutsche glaubt, Schokolade würde gegen Depressionen helfen. Fast 80 Prozent meinen demnach, in den Urlaub zu fahren, würde ebenfalls helfen. Und 30 Prozent denken, dass die Ursache für Depressionen Charakterschwächen seien. Das ist alles falsch. Depressionen sind eine echte, ernst zu nehmende, medizinische Krankheit mit biologischen und psychosozialen Ursachen.
Martin Gommel. Fachjournalist für psychische Gesundheit
Tatsächlich hatte im Jahr 2010 eine Studie der University of California ergeben, dass Depressive einen stark erhöhten Schokoladenkonsum aufwiesen. Aber: "Die Forscher rätseln, ob die Süßigkeit die Krankheit verursacht oder verhindert", hieß es damals in einem Spiegel-Bericht.
2019 deuteten Studienergebnisse des University College darauf hin, dass die stimmungsaufhellende Wirkung größer sei als gedacht: Angeblich sollte das Risiko, an einer Depression zu erkranken, durch Schokoladenkonsum deutlich sinken. Allerdings gelte das nur für dunkle Schokolade, hieß es.
Corona-Krise als Booster für Depressionen
Allerdings hat seit den Corona-Jahren 2020 und 2021 nicht nur der Schokoladenkonsum zugenommen, sondern auch die Zahl der psychischen Erkrankungen, was sich im ersten Halbjahr 2024 fortsetzte. Wie viel Schokolade die Betroffenen essen, wird damit kaum oder gar nicht mehr in Verbindung gebracht.
Martin Gommel jedenfalls wundert seit der Studie über entsprechende Mythen nicht mehr, "warum Depressive sich so oft dumme Sprüche anhören müssen".