Der Corona-Marshallplan

Armen Ländern in dieser Krise nicht zu helfen, kann am Ende auch für reiche Länder teuer werden

Der klassische Marshallplan war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftsförderungsprogramm der USA für den Wiederaufbau der Staaten Europas. Im nahezu total zerstörten Deutschland wurde die Hilfe dringend gebraucht. Die Siegermacht aus Übersee half dem Besiegten und dem Verursacher des Weltkriegs. Nächstenliebe in der Politik? Oder Feindesliebe?

Nicht unbedingt, denn die Hilfe war auch im ureigenen Interesse der Vereinigten Staaten. Sie brauchten im Kampf gegen den Kommunismus auch die Bundesrepublik. Und ein wirtschaftlich erholtes Deutschland war für den Handel interessanter als ein reines Agrar-Deutschland. Es ging also um gegenseitige Unterstützung.

Schon vor einem Jahr sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Corona-Situation: "Wir sind nicht wirklich sicher, solange nicht alle in Sicherheit sind." Im Januar warnte UN-Generalsekretär António Guterres eindringlich vor der weltweiten Ausbreitung neuer Virusmutationen, die in ärmeren Ländern entstehen könnten, wenn deren Bevölkerungen zu lange auf Impfstoffe warten müssten. Braucht die Welt jetzt einen Marshallplan gegen Corona, damit alle sicher sind?

"Es liegt im ureigenen Interesse der reichen Länder, dass die Armen der Erde möglichst schnell geimpft werden", schrieb unlängst Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung über eine "alte Idee, die jetzt wieder modern wird": über einen Marshallplan gegen Corona.

Wenn es schon im reichen und medizinisch fortschrittlichen Deutschland mit dem Impfen nur schleppend vorwärts geht - wie mag es dann erst in den armen Ländern aussehen?

Es gibt in Afrika Staaten, in denen Ende März 2021 noch kein Mensch gegen Corona geimpft ist: Es fehlt an Geld, an der Infrastruktur und oft auch an der Möglichkeit, den Impfstoff von Biontech/Pfizer bei mindestens minus 70 Grad zu lagern und zu transportieren. Wenn Deutschland und die EU vielleicht in einem Jahr die Pandemie überwunden haben, aber nicht auch die armen Länder in Afrika, dann werden wir uns in dieser globalisierten Welt an Merkels Satz erinnern, denn wir sind eine Menschheit. Wer das immer noch nicht versteht, bekommt in einer globalisierten Welt rasch die Quittung. Da hat die Kanzlerin völlig recht.

Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Initiative "Covax" gegründet, die auch von Deutschland kräftig unterstützt wird. "Covax" soll den armen Ländern helfen, günstig an Impfstoffe zu kommen. Das ist sowohl im Interesse der meisten afrikanischen Länder wie auch in unserem Interesse. Denn sicher sind auch wir erst, wenn alle sicher sind. Die WHO will bis Ende des Jahres zwei Milliarden Impfdosen an Entwicklungsländer verteilen. Dort aber leben mehr als vier Milliarden Menschen. Also sind die zwei Milliarden Dosen noch viel zu wenig, um die Welt sicher zu machen.

Moralische Führung?

Piper macht auf einen viel beachteten Artikel aufmerksam, der in diesen Tagen in der Zeitschrift Foreign Affairs erschienen ist. Die Überschrift: "Amerika kann - und sollte - die Welt impfen". Die USA sollten das Virus "wie den Feind in einem Weltkrieg behandeln". Die Weltmacht solle sich daher rasch mit ihren Verbündeten zusammentun und das Virus besiegen. Dazu sollten sie "Fabriken, Geld und Menschen, einschließlich der US-Army, in beispiellosem Umfang einsetzen".

Man kann über diese militarisierte Sprache streiten. Aber richtig ist, dass ein solcher Einsatz geboten ist und dass er allen helfen würde - so wie der Marshallplan nach dem zweiten Weltkrieg. Auch damals war eine kluge Mischung aus Egoismus und Altruismus hilfreich für alle. Allmählich werden wir lernen müssen, dass wir eine Menschheit sind, unter einer Sonne leben und auf einer Erde. Oder: dass wir alle Schwestern und Brüder sind. Das Virus kennt sowieso keine Staatsgrenzen.

Wenn schon das totalitäre China und das autoritäre Russland versuchen, mit dem Virus Politik zu machen, warum sollten es demokratische Staaten dann nicht auch tun? Wir sollten aber nicht nur uns ähnlich gesinnten Staaten und Regierungen helfen, sondern grundsätzlich allen. Vielleicht kann man das dann "moralische Führung" nennen.

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