Der Countdown läuft, Genossen

Götter, intelligente Saurier und Sozialismus

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Nachdem nun Kim Stanley Robinson mit seinen sozialökologischen Phantasien zur Besiedelung des Mars mittlerweile auf jedem Kongress zitiert wird, der auch nur peripher mir Utopien zu tun hat, (vgl.Der Kongress diskutierte) legt ein anderer Autor die ersten Teile einer großen Science-Fiction- Saga mit politischem Anspruch vor - Ken MacLeod und seine "Engines of Light".

Um es gleich zu sagen: der Schotte MacLeod erreicht nicht die Klasse des Amerikaners Robinson, was an verschiedenen stilistischen Eigenarten liegt, die noch zu erörtern sein werden. Trotzdem kann seine Arbeit mit einigen Überraschungen aufwarten, die die Lektüre kurzweilig machen.

So ist schon das Doppelszenario, mit dem das erste Buch der Saga ("Cosmonaut Keep") aufwartet, ungewöhnlich, denn die beiden Erzählstränge haben auf den ersten Blick so wenig miteinander zu tun, dass man sie für Teile verschiedener Bücher halten könnte. Der britische Autor Christopher Priest hat einmal bemerkt, dass Science Fiction in der Zusammenfassung immer leicht albern wirkt. Das gilt sicher für den ersten Erzählstrang von Cosmonaut Keep: Wir begegnen den Meeresbiologen George und Elizabeth, die zusammen mit ihrem Freund Salasso, einem intelligenten Saurier, auf dem Planeten Mingulay Meeresforschung betreiben. Mingulay wird von mehreren intelligenten Spezies bewohnt, Menschen, Hominiden, annähernd menschengroßen Sauriern, gigantischen Tiefseekraken und "Göttern", von denen man zunächst überhaupt nicht weiß, wie sie einzuordnen sind, und die sich anscheinend hauptsächlich in der hohen Atmosphäre und im mingulaynahen Weltraum aufhalten.

Trotz des oberflächlich friedlichen Lebens auf Mingulay (Rassismus ist hier nicht angesagt), gibt es Hierarchien und Konflikte. Über allem stehen die "Götter", die, wie sich später herausstellt, dem Leser vor allem aus dramaturgischen Gründen nicht vorgestellt werden. Unter ihnen die Kraken, die im Hauptberuf als Navigatoren interstellarer, lichtschneller Schiffe fungieren und als einzige mit den Göttern kommunizieren können. Ihnen zu Diensten sind die Saurier, die in UFO-ähnlichen Untertassen die krakengesteuerten Sternenschiffe begleiten resp. unterstützen und auf Mingulay als einzige über Bio- und einige andere fortgeschrittene Technologien verfügen. Das unterscheidet sie besonders deutlich von den Menschen - deren Technologie ist aufgrund des Fehlens von Computern auf einem mäßigen Niveau eingefroren, und sie leiden daran, weil sie sich an bessere Zeiten erinnern: Stammen sie doch zumindest teilweise von der Besatzung eines Raumschiffes namens "Bright Star" ab, das vor langer selbstständig, ohne Krakennavigatoren und ohne Saurierhilfe auf Mingulay eintraf, zum Entsetzen und Erstaunen der dort schon ansässigen Humanpopulation, die sich hauptsächlich aus Nachfolgern einer vom Nachbarplaneten Croatan verbannten religiösen Sekte rekrutierte. Menschen können in MacLeods Universum zwar Sternenschiffe besitzen und mit ihrer Hilfe Handel treiben, zur Steuerung sind sie aber auf die überlegene Intelligenz der Kraken angewiesen.

Seit ewigen Zeiten wohnen die Nachfahren der autonomen Kosmonauten in einer Burg namens Cosmonaut Keep in Kyohvic, der größten menschenbesiedelten Stadt auf Mingulay, die auch die Basis für die wissenschaftlichen Aktivitäten von Gregor, Elizabeth und Salasso ist. Die Bright Star befindet sich noch immer im Orbit um Mingulay und ist jede Nacht als wortwörtlich heller Stern am Himmel zu sehen. Ein nutzloser heller Stern, denn die Menschen haben die Rechenpower nicht, um das Schiff sinnvoll steuern zu können, selbst wenn die Götter ihnen die Wiederinbesitznahme des Schiffes erlaubten. Die Saurier haben Computer, aber sie verkaufen sie den Menschen nicht, und so besteht die einzige Hoffnung der Kosmonautennachfahren in einem generationübergreifenden, mühsamen, kollektiven Projekt: der Errechnung eines sinnvollen Kurses für das Schiff von Hand. Die Ankunft eines krakengesteuerten Handelsschiffes vom Planeten Nova Babylonia katalysiert schließlich Ereignisse, die dieses kollektive Werk zum Abschluß bringen und einen Aufbruch mit der "Bright Star" zu den Sternen möglich erscheinen lassen.

Der zweite Erzählungsstrang des Romans scheint so weit von diesem Szenario entfernt zu sein wie nur möglich, ja er scheint sogar zu einem anderen Genre zu gehören: plötzlich befinden wir uns in einem Cyberpunk-Roman. Man schreibt ungefähr das Jahr 2050. Die Sowjetunion hat nicht nur überlebt, sondern aufgrund von Fehlern der NATO (ironischerweise hervorgerufen durch allzu hoch gezüchtete Militärtechnik) Europa erobert, die EU ist nichts weiter als ein Satellit des Vaterlandes aller Proletarier, der UdSSR. Der sozialistische Block konkurriert auf der Erde wie im Weltall mit der von der USA angeführten kapitalistischen Welt, im All haben die Roten leicht die Nase vorn, der Asteroidengürtel wird von ihnen bereits wirtschaftlich genutzt.

Was Repression und Rigidität angeht, hat der Neoszialismus des 21. Jahrhunderts nicht mehr viel mit seinen stalinistischen Vorläufern zu tun. Die Bevölkerung ist weit gehend zufrieden, die kommunistische Partei wird, wie einmal ironisch bemerkt wird, "tatsächlich gewählt", und da man sich in der Systemkonkurrenz mit den USA auf einem komfortablen Niveau eingerichtet hat, gestattet man sich einige Freiheiten. Großbritannien, gewissermaßen direkt an der Nahtstelle zum Klassenfeind gelegen, ist so etwas wie eine Drehscheibe für Waren- und Informationsaustausch zwischen den Gesellschaftssystemen. Das kommt Matt, dem Helden dieses Erzählstrangs, nur entgegen, denn er ist ein typischer Datencowboy, der sich mit allerlei Cybergeschäften über Wasser hält, beständig in der Grauzone zwischen ehrbarer Informatik und illegaler Datenspionage operierend. Er ist Mitglied der Information Workers of the World Wide Web (IWWWW), einer anarchosyndikalistischen IT-Gewerkschaft, die von der kommunistischen Partei zwar des Abweichlertums bezichtigt, aber aus Gründen des "Pluralismus" doch gerade so geduldet wird.

Was nicht geduldet würde, da ist sich Matt sicher, ist seine Arbeitsbeziehung zu Jadey, einer Kollegin, deren Hintergrund er nicht kennt und bisher nicht erfragt hat, aber die er mit ziemlicher Sicherheit dem klandestinen, antisozialistischen, von den USA gesteuerten Untergrund zurechnet. Ausgerechnet sie versorgt ihn eines Tages mit geheimem russischen Datenmaterial und lässt durchblicken, dass sie dieses Material selbst oder über einen Mittelsmann gerne aus dem kommunistischen Einflussbereich herausschmuggeln würde. Die Ereignisse beschleunigen sich erheblich, als in den Medien verbreitet wird, dass die Besatzung der Marschall Titov, einer sowjetischen Explorationsstation im Asteroidengürtel, auf Außerirdische gestoßen ist - offenbar seit Urzeiten werden die Asteroiden von Bakterien besiedelt, die sich zu Schwarmintelligenzen zusammengeschlossen haben, und auf für Menschen unerreichbaren Höhen der geistigen Einsicht vor sich hinmeditieren und die Geschicke des Sonnensystems, wenn nicht des ganzen Universums zumindest mitbestimmen. Bakterien als wahre Götter. Kurz nach der Bekanntgabe dieser Nachricht meutert die Mannschaft der Marschall Titov, benennt die Station um in "The darker the night, the brighter the star" (nach einer Biographie über Stalins kommunistischen Widersacher Trotzki), (vgl. Terraforming mit Trotzki)

und erklärt sich von der Sowjetunion in allen Belangen für unabhängig. Das Datenmaterial hingegen, das Matt über Jadey zugespielt wurde, erweist sich noch als viel brisanter als gedacht: Es scheint dazu geeignet, Antigravitations- und Sternenantriebe für lichtschnelle interstellare Raumschiffe zu realisieren, und kann, wenn es echt ist, eigentlich nur von den Aliens selbst stammen. Matt sieht sich über kurz oder lang in einem Netz internationaler politischer Verschwörungen gefangen, aus dem es am Ende nur einen Ausweg gibt: Die Antriebe wirklich zu bauen und sie zur Flucht zu nutzen.

Wie gesagt, das sind zwei Szenarien wie aus verschiedenen Büchern, und es ist durchaus vergnüglich mit anzusehen, wie MacLeod daraus wieder ein Buch macht. Weil er mehr riskiert (bisweilen auch den Absturz in die Lächerlichkeit), weil er nicht so ein versierter Schriftsteller ist wie Kim Stanley Robinson und weil er seine Szenarien nicht mit der gleichen Gründlichkeit durchdenkt wie dieser, kann sein Text den Marsromanen Robinsons nur gerade so das Wasser reichen. Aber eine auffallende Gemeinsamkeit hat die Arbeit beider Autoren doch: Tastend, zweifelnd, suchen sie nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus nach einem Ort für sozialistische Utopien in der Phantastik, bringen sie die Politik in die Science Fiction zurück. Wie Matt einer durch und durch kapitalistisch orientierten Elitepilotin in ein paar Sätzen das Gesetz von der tendenziell fallenden Profitrate erklärt, erinnert in seiner Lakonie schon verblüffend an die Stelle in Green Mars, an der einer der ersten hundert Marskolonisten den Nachzüglern erklärt, warum es keinen Sinn macht, auf dem Mars in großem Stil Privateigentum an Produktionsmitteln zuzulassen.

Sind diese utopischen Fingerübungen der Anfang eines Trends? Denkbar. Jedenfalls hat Ken MacLeod mit "Cosmonaut Keep" ein unterhaltsames und spannend zu lesendes Buch vorgelegt, das auch für den diesjährigen HUGO-Award nominiert wurde. Der zweite Band der Reihe ist unter dem Titel "Dark Light" soeben erschienen. Weil bereits mehrere Titel von McLeod auf Deutsch publiziert wurden ("Die Cassini-Division", "Das Sternenprogramm", "Die Mars-Stadt"), kann man davon ausgehen, dass MacLeods galaktische Lichtmaschinen auch hier in den Handel gelangen. Sie werden ihre Leser finden.