Einsatz von Uranwaffen: Welche Schäden sind nachgewiesen?

Übersicht über die in wissenschaftlichen Studien bis 2017 festgestellten Gesundheitsschäden durch Verwendung von DU-Munition (Teil 2).

Der erste Teil dieser Abhandlung ist ein Bericht über die verheimlichten Uranwaffen und deren Folgen und über Prof. Siegwart-Horst Günther, einem deutschen Arzt, der den Mut gehabt hat, darüber als Erster aufzuklären. Uranwaffen sind strahlende Geschosse und Granaten aus abgereichertem Uran (englisch: depleted uranium, abgekürzt: DU). Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie. Daraus hergestellte DU-Munition wurde zum ersten Mal im ersten Irakkrieg 1991/92 von den USA und Großbritannien eingesetzt.

Weitere Einsätze erfolgten 1999 auf dem Balkan, in Afghanistan seit 2001, im zweiten Irak-Krieg 2003, außerdem in Somalia, wahrscheinlich auch in den Kriegen in Libyen 2011 und zuletzt im Syrien-Krieg.

Der Irak ist das Land, in dem bisher wohl die größte Menge an Uranwaffen zum Einsatz gekommen ist. Im ersten Irakkrieg sollen es etwa 320 Tonnen und im zweiten Irakkrieg bis zu 2000 Tonnen gewesen sein.1

Welche Gesundheitsschäden durch Uranwaffen sind bewiesen?

Der vorliegende zweite Teil und der noch folgende dritte Teil dieser Abhandlung sind eine gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der 5/2018 in den Nachdenkseiten erschienen ist.2

Er beruht auf einer Film- und Diskussionsveranstaltung der Kieler Gruppen von Attac und IPPNW, die im Februar 2018 stattfand und bei welcher der erschütternde Dokumentarfilm "Deadly Dust – Todesstaub" des Filmemachers Frieder Wagner gezeigt wurde.3

Nach anfänglicher Betroffenheit kam es anschließend es zu einer ernsthaften und regen Debatte mit dem Filmautor, in der auch kritisch hinterfragt wurde, welche Gesundheitsschäden durch DU denn bewiesen seien.

In der Vor- und Nachbereitung dieser Veranstaltung habe ich mich mit dieser Frage auseinandergesetzt, die mir zur Verfügung stehende wissenschaftliche Literatur über Uranwaffen und deren Folgen bei ihrem Einsatz aufbereitet, zusammengefasst und aktualisiert, so dass sich jeder Interessierte selbst ein Urteil bilden kann. Hier folgt zunächst der zweite Teil dieser Abhandlung.

Über das tatsächliche Ausmaß der Gesundheitsschäden beim Einsatz von Uranmunition herrsche Uneinigkeit, heißt es bei Wikipedia.

Während von Gegnern dieser Waffen, wie der Organisation IPPNW (Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges und für soziale Verantwortung), Uranmunition für Krebserkrankungen, angeborene Fehlbildungen und Folgeschäden wie dem Golfkriegssyndrom verantwortlich gemacht würden, liege nach Studien der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und IAEO (Internationale Atomenergieorganisation) angeblich keine besondere Gefährdung vor.

So heiße es im "WHO Guidance on Exposure to Depleted Uranium" explizit, dass keine Studie eine Verbindung zwischen dem Kontakt mit abgereichertem Uran und dem Auftreten von Krebs oder angeborenen Defekten habe finden können.

Was sagen unabhängige Wissenschaftler zu dieser Einschätzung und was sind die Hintergründe dieser konträren Aussagen?

Einige physikalische und chemische Vorbemerkungen

Vereinfacht gesagt besteht Natururan zu 99,3 Prozent aus Uran 238 und zu 0,7 Prozent aus Uran 235.4 Für die Atomindustrie muss das Uran 235 durch Zentrifugation auf 3 bis 5 Prozent angereichert werden, wie es für Reaktorbrennstäbe typisch ist. Demnach sind etwa 7 kg Natururan nötig, um 1 kg angereichertes Material zu gewinnen. Dabei bleiben 6 kg abgereichertes Uran übrig.

Das für Atombomben eingesetzte U-235 ist weitaus höher angereichert und hinterlässt daher eine noch größere Menge von abgereichertem Uran.

Abgereichertes Uran (DU) enthält noch etwa 60 Prozent der Radioaktivität des ursprünglichen Uranerzes auf Grund seines Gehaltes an, vor allem Uran 238, einem langsam zerfallenden Alpha-Strahler mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren.

Weiterhin kann Uranmunition auch Spuren von Transuranen wie z.B. Plutonium enthalten.5 Da die sichere Lagerung von DU hohe Kosten verursacht, wird es von der Atomindustrie als ein billiges Abfallprodukt gehandelt und von der Rüstungsindustrie gerne abgenommen.

Geschosse aus abgereichertem Uran werden wegen ihrer hohen Durchschlagskraft auf Grund ihres hohen spezifischen Gewichts – DU ist 1,7- mal schwerer als Blei – und wegen seiner pyrogenen (Feuer erzeugenden) Wirkung als ideale panzer- und bunkerbrechende Waffe seit 1991 in den Kriegen des Westens eingesetzt. Wenn die Alphastrahlung von DU von außen auf den Organismus einwirkt, dann ist sie relativ ungefährlich, da sie nur Bruchteile eines Millimeters weit reicht und leicht abgeschirmt werden kann.

Eine ganz andere Situation liegt vor, wenn DU in den menschlichen Organismus gelangt. Dann ist es doppelt gefährlich: Als Schwermetall ist es giftig und als Alpha-Strahler kann es mit seiner radioaktiven Strahlung die Gewebezellen in der Lunge und in vielen weiteren Organen des Körpers schädigen und Krebs oder Fehlbildungen beim ungeborenen Kind verursachen.

Beim Einsatz von Uranwaffen, zum Beispiel gegen Panzer und Stahlbetonbauten, werden die getroffenen Ziele auf Grund der pyrogenen Wirkung von DU nicht nur in Bruchteilen von Sekunden zur Explosion gebracht, sondern ein Teil des Urangeschosses entzündet sich auf Grund der hohen Temperaturen durch die Reibungshitze und es entsteht ein Aerosol aus winzigen Teilen Uranoxid.

Es handelt sich dabei um eine Art Metallstaub, das aus mikroskopisch kleinsten verschiedenartigen Partikeln von Uran in Nanometer-Größe (1 Nanometer ist ein Millionstel Millimeter) besteht, die von Menschen, die dem ausgesetzt sind, über die Atmung, aber auch über die Nahrung und das Trinkwasser, aufgenommen und dann im Körper mit dem Blutstrom in alle Organe verteilt werden und dort dann verweilen können.

Dabei lassen sich die Wirkungen von löslichen und von unlöslichen Formen von Uranpartikeln unterscheiden.6 Die löslichen Formen werden über die Nieren zwar schnell ausgeschieden, können aufgrund der toxischen Wirkung in Abhängigkeit der Menge jedoch zum Beispiel zu einer Nierenschädigung bis hin zum Nierenversagen führen (zu den toxikologischen Grenzwerten für Uran im Boden und im Wasser sei auf die entsprechende Schrift aus dem Umweltbundesamt verwiesen.7

Die unlöslichen Formen können bei langfristiger Wirkung aufgrund ihrer Radiotoxizität (strahlungsbedingte Giftigkeit) in der Lunge und in anderen Organen, in denen ihre Ablagerung erfolgt, zu schweren Schädigungen führen. Die schädigende Risikosteigerung ist auch hier abhängig von der Menge und der Dauer der einwirkenden Strahlung.

Das Ausmaß der Ablagerung im Körper, das auf diesem Weg erfolgt, gilt bislang als nicht hinreichend geklärt, doch stellt es somit ein großes Risikopotential dar. Hierbei ist bekannt, dass der Metallstaub des abgereicherten Urans nicht nur an seinem Entstehungsort, wo es sich langsam niederschlägt, verbleibt, sondern auch durch Aufwirbelungen und Wind über große Gebiete verteilt werden kann.

Ein erster Bericht eines mutigen Arztes

Prof. Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der als Erster über den Einsatz und die möglichen Folgen der im Irakkrieg 1991 verwendeten Uranmunition von Seiten der USA und ihrer Alliierten berichtet und aufgeklärt hat.8

Nachdem er mehrere Jahrzehnte als Hochschullehrer im Nahen und Mittleren Osten tätig gewesen war, wurde Prof. Günther im Oktober 1990 zu einer neuerlichen ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen.

Nach dem ersten Irakkrieg 1991 machte er dort viele Reisen in Städte wie Bagdad, Basra oder Mossul. Dabei stellte er fest, dass in den Krankenhäusern, die er besuchte und die er schon aus früheren Zeiten gut kannte, bei Kindern vermehrt Leukämien und Krebserkrankungen festzustellen waren, aber auch angeborene Fehlbildungen, die er vorher noch nicht gesehen hatte und die ihn an Tschernobyl erinnerten.

Er brachte diese erschreckenden Erkrankungen und Gesundheitsschäden mit Geschossen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern in größerer Zahl verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten und sie dabei zum Beispiel als Puppen anmalten.

Nachdem eines der Kinder, das mit solchen Puppen gespielt hatte, an einer Leukämie erkrankt war, wollte er wissen, aus welchem Material diese Geschosse bestanden.

Um diese Fragen zu klären, verbrachte er mehrere davon im Gepäck eines befreundeten Diplomaten mit nach Deutschland und ließ sie in verschiedenen Instituten in Berlin untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus abgereichertem Uran bestanden.

Das bekam er von den Untersuchungsstellen schriftlich bestätigt. So hatte er damit den Hinweis, dass es sich bei den von ihm beobachteten gehäuften schweren Erkrankungen und Fehlbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden aufgrund der verwendeten Uranmunition handeln könnte.

In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernseh-Interviews weltweit, auch in der UNO, um diese Erkenntnisse bekannt zu machen.

Die ersten Bemühungen um Aufklärung über diese Zusammenhänge, mit Potenzial auf ein großes Kriegsverbrechen, erfolgten in einer Zeit, in der der Einsatz der Uranwaffen von den USA zunächst geleugnet wurde. Prof. Günther erhielt in vielen Ländern Anerkennung für dieses Engagement und wurde mit vielen Preisen und Ehrentiteln ausgezeichnet.

In den deutschen Leitmedien wurde jedoch über den Einsatz von Uranwaffen und deren Folgen nur selten berichtet und seit 2001 bis auf wenige Ausnahmen gar nicht mehr.9

Report der IPPNW und der ICBUW aus 2012

Das von Prof. Günther und anschließend auch von weiteren ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen beschriebene gehäufte Auftreten von Krebserkrankungen und angeborenen Fehlbildungen bei Neugeborenen und Kindern nach dem ersten Irakkrieg und die Vermutung, dass die entscheidende Ursache für diese Gesundheitsschäden der Einsatz von Uranwaffen gewesen sei, war der erste Anstoß für weitere wissenschaftliche Untersuchungen (siehe unten) und ist schon deshalb als sehr verdienstvoll einzuschätzen.10

Man muss sich aber darüber klar sein, dass die Evidenz, das heißt die Beweiskraft solcher Berichte, von der Wissenschaft als gering eingeschätzt wird.

Im Gegensatz dazu steht die Evidenz zum Beispiel durch epidemiologische Studien (das sind Untersuchungen über die zahlenmäßige Verbreitung von Krankheiten und deren Ursachen), deren Befunde statistisch abgesichert sind. Im Unterschied zu einer "anekdotischen" spricht man hier auch von einer "statistischen" Evidenz.

Dass solche Untersuchungen nur sehr schwer durchzuführen sind, insbesondere, weil in den Ländern, in denen DU eingesetzt worden ist, kaum überwindbare Hindernisse für deren Durchführung bestehen, steht auf einem anderen Blatt. Darauf soll weiter unten noch näher eingegangen werden.

Seit 2012 liegt nun ein umfangreicher Report der deutschen Sektionen der "Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung" (IPPNW) und der "Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen" (ICBUW) vor.11

Dieser Report mit dem Titel "Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe" wurde von sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der IPPNW und der ICBUW gemeinsam erarbeitet und basiert auf zahlreichen Literaturhinweisen und Anmerkungen.

Der Bericht kommt zu der Einschätzung, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Untersuchungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um Vorsorge dafür zu treffen, dass weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal verhindert und eine Kontamination der Umwelt mit abgereichertem Uran so gering wie möglich gehalten werden kann.

Der Bericht geht detailliert auf Wirkmechanismen von abgereicherten Uran im Körper ein und stellt diese in Beziehung zu den umfangreichen angeborenen Fehlbildungen, Krebserkrankungen und weiteren Schädigungen, die sich in den Bevölkerungen jener Staaten finden lassen, gegen die Kriege unter Uranwaffeneinsatz geführt wurden.

Die Autoren stellen neben der Forderung nach Ächtung von Uranwaffen weitere Forderungen auf, unter anderem nach umfassender Information der Bevölkerung über die kontaminierten Gebiete, die von der DU-Munition ausgehende Gefahr, die Finanzierung epidemiologischer Studien sowie den Aufbau von Fehlbildungs- und Krebsregistern, um Vergleichsgrößen für wissenschaftliche Studien bereitzuhalten.

Die ICBUW Deutschland teilt auf ihrer Website mit, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen die anhaltenden Befürchtungen über Gesundheitsrisiken von abgereichertem Uran anerkennt. Das Plenum der UN-Generalversammlung verabschiedete am 5. Dezember 2016 eine neue Resolution zu Uranwaffen mit 151 zu 4 Stimmen bei 28 Enthaltungen. Die Resolution ist die sechste angenommene Resolution seit 2007.

Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Staaten für die Resolution stimmte, enthielt sich eine kleine Minderheit. Rund die Hälfte davon sind EU-Mitgliedsstaaten, die zuvor durch das EU-Parlament ausdrücklich zur Zustimmung aufgefordert worden waren.

Deutschland, das die Resolution bis 2014 unterstützte, wurde von der ICBUW für seine Bemühungen kritisiert, die Sprache der Resolution abzuschwächen und andere Staaten zur Enthaltung zu bewegen. Wie gewöhnlich wurde die Resolution von den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Israel abgelehnt. Die letzte Abstimmungsrunde über die Resolution fand 2018 nach dem Eingeständnis der USA statt, dass sie DU-Munition in Syrien eingesetzt haben.12

Ergebnisse eines Review-Artikels aus 2017

In diesem Jahr wurde mit dem Review-Artikel "Depleted Uranium and Human Health" (Deutsch: "Abgereichertes Uran und menschliche Gesundheit") eine systematische Übersichtsarbeit aus den Universitäten in Cagliari (Italien) und Leuven (Niederlande) veröffentlicht.13

Grundlagen dieser Arbeit waren 101 wissenschaftliche Untersuchungen über verschiedene Aspekte dieses Themas, davon auch eine ganze Reihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren.

Da ich die Ergebnisse dieses aktuellen Artikels einem größeren Leserkreis möglichst authentisch bekannt machen möchte, habe ich die Zusammenfassung ("Abstract") und die Schlussfolgerungen ("Conclusion") der Autoren aus der englischen Originalfassung ins Deutsche übersetzt.

Zusammenfassung

Abgereichertes Uran (DU) wird im Allgemeinen als ein neuer Schadstoff angesehen, der zum ersten Mal in den frühen 1990er-Jahren im Irak während der Militäroperation "Desert Storm" in die Umwelt eingebracht worden ist. Man vermutete, dass DU ein gefährliches Element sowohl für exponierte Soldaten als auch für Einwohner der belasteten Gebiete in den Kriegszonen ist.

In diesem Review-Artikel werden die möglichen Auswirkungen von DU, das in die Umwelt eingebracht wurde, kritisch analysiert. Im ersten Teil werden die chemischen Eigenschaften und die möglichen zivilen und militärischen Anwendungen von DU zusammengefasst.

Eine präzise Analyse der Mechanismen, die der Absorption, dem Transport im Blut, der Gewebsverteilung und der Ausscheidung von DU im menschlichen Körper zu Grund liegen, ist Gegenstand des zweiten Teils. Der darauf folgende Abschnitt behandelt die pathologischen Zustände, die vermutlich mit der Überexposition von DU einhergehen.

Die Entwicklung von angeborenen Fehlbildungen, das Golfkriegs-Syndrom und Nierenerkrankungen, die mit DU in Verbindung gebracht werden, sollen im dritten Abschnitt behandelt werden.

Schließlich sollen die Daten kritisch analysiert werden, die eine Exposition von DU in Zusammenhang bringen mit dem Auftreten von Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie und Lymphomen, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Harnblasenkrebs und Hodenkrebs.

Das Ziel der Autoren ist, einen Beitrag zu der Debatte über DU und dessen Effekte auf menschliche Gesundheit und Krankheit zu leisten.

Schlussfolgerungen

Die Debatte über den Zusammenhang zwischen der Exposition mit DU und dem Auftreten zahlreicher Krankheitserscheinungen, das Golfkriegssyndrom und viele Tumore eingeschlossen, scheint charakterisiert zu sein durch das Vorliegen von vielen offenen und unbeantworteten Fragen.

Die schädigenden Effekte auf den Gesundheitsstatus bei Veteranen des Golf-Krieges 1991, der Kriege im Kosovo, in Kroatien und in Afghanistan und des zweiten Irak-Krieges bleiben ungeklärt. Die Effekte einer DU-Kontamination des Wassers und der Böden in der Umgebung der Kriegsschauplätze, auf denen riesige Mengen von DU und andere chemische Schadstoffe freigesetzt wurden, sind nur teilweise bekannt.

Die Zahl der Personen, die das Risiko für schwere Gesundheitsprobleme aufgrund einer Überexposition mit DU tragen, ist eindrucksvoll: Die Zahl der Golfkriegsveteranen, die das Golfkriegssyndrom nach einer Exposition mit großen Mengen DU entwickelten, ist angestiegen auf ein Drittel der 800.000 US-Soldaten, die zum Einsatz kamen. Aber die wichtigsten Konsequenzen der Exposition gegenüber DU betreffen sicherlich die Menschen, die in der Region leben.

Besondere Befunde dieses Reviews sind:

  • Die 3,5-fache Erhöhung der Inzidenz von Hodentumoren bei Kroaten nach dem Krieg im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg (Ergänzung von KDK: Inzidenz bedeutet Häufigkeit bezogen auf die Zeit)
  • Die 5-fache Erhöhung der Inzidenz von Harnblasentumoren bei norwegischen Soldaten, die im Kosovo dienten
  • Der Anstieg der Inzidenzrate von Brustkrebs bei irakischen Frauen von 26,6 in der Vorkriegszeit auf 31,5 pro 100.000 Personen im Jahr 2009, wobei 33,8 Prozent aller Brustkrebse bei jungen Mädchen unter 15 Jahren diagnostiziert wurden
  • Lungenkrebs war statistisch signifikant häufiger bei Golfkriegs-Veteranen als bei Nicht-Golfkriegs-Veteranen.
  • Golfkriegs-Veteranen, die DU ausgesetzt waren, zeigten höhere renale Ausscheidungen von Beta-2-Microglobulin und Retinol-bindendem Protein, Befunde, die auf eine verschlechterte (renal-tubuläre) Nierenfunktion hinweisen.
  • Die Überwachung von Veteranen des ersten Golfkriegs, die mit DU in Feuergefechten verwundet worden waren, zeigt auch 20 Jahre nach dem ersten Kontakt mit DU weiterhin erhöhte Uranspiegel im Urin. Irakische Patienten, die eine Leukämie nach dem Golfkrieg entwickelten, wiesen höhere Serumspiegel von Uran auf im Vergleich zu gesunden Personen aus dem Irak.
  • Unter den mehreren hunderttausend Veteranen, die im Irakkrieg 1991 eingesetzt waren, entwickelten 15- 20 Prozent ein Golfkriegssyndrom und etwa 25.000 starben (siehe Teil 3 dieser Abhandlung).

Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die angeführten Befunde zwar erschütternd sind, jedoch nicht genügend Informationen dafür vorliegen, inwiefern tatsächlich der Einsatz von Uranmunition ursächlich für die erhöhten Schädigungen ist, da eine Reihe zusätzlicher Faktoren mit schädigender Wirkung im Kontext der Kriege bestehen.

Zudem weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass trotz potenziell genschädigender und krebserregender Effekte von abgereichertem Uran auf menschliche Zellen eine große Anzahl von Studien, die aufgeführt werden, behaupten, dass die gesundheitsschädigenden Effekte durch abgereichertes Uran nur gering oder nicht vorhanden sind.

Resümee der Autoren des Review-Artikels

Unserer Meinung nach ist der wichtigste Aspekt, der sich aus dem Studium der Literatur der letzten 20 Jahre ergibt, der einer kompletten Nicht-Übereinstimmung der Studienergebnisse bezüglich DU, die charakterisiert sind durch in hohem Maße konträre Ergebnisse.

Eine Frage ergibt sich aus diesen Befunden bezüglich DU: Wie war es möglich, DU, ein radioaktives Element, in Kriegszonen einzusetzen, ohne dass experimentelle und/oder klinische Beweise für den sicheren Einsatz bei Soldaten und der Bevölkerung, die den Bomben ausgesetzt werden sollte, vorhanden waren?

Da diese und viele andere Fragen nach unserem besten Wissen unbeantwortet bleiben müssen, und ausgehend von der Erkenntnis, dass die bisher durchgeführten Studien keinen umfassenden Überblick über die potentiellen Auswirkungen von DU-Munition auf die menschliche Gesundheit erlauben, sind weitere Studien notwendig, die alle Aspekte der Wechselwirkungen zwischen den großen Mengen an DU, die freigesetzt wurden in den jüngsten Kriegen, und der Gesundheit beleuchten, mit einer besonderen Betonung der Konsequenzen für die Zivilbevölkerung, die um die Kriegsschauplätze herum lebt, und mit dem Ziel, überall auf der Welt Uranwaffen zu ächten.

Nach meinem Urteil stehen die Ergebnisse dieses Review-Artikels aus 2017 in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem oben geschilderten Report von IPPNW und ICBUW aus dem Jahre 2012.14 Im Hinblick auf mögliche krebserregende Folgen des Einsatzes von DU-Waffen bedeuten sie neue Erkenntnisse beziehungsweise Präzisierungen der bisherigen besorgniserregenden Befunde.

Die vielen offenen Fragen und widersprüchlichen Ergebnisse, die von den Autoren festgestellt werden, hängen vermutlich auch damit zusammen, dass die Staaten, die DU-Munition in ihren Krieg angewendet haben, und das sind vor allem die USA und Großbritannien, leider weiterhin alles tun, um eine systematische Bearbeitung dieses Bereichs zu behindern.

Dazu gehören das Nicht-Zur-Verfügung-Stellen von vorliegenden Daten und Forschungsergebnissen, die Verweigerung finanzieller Unterstützung von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für solche Arbeiten und durch Ignoranz und gezielte Desinformation in der Öffentlichkeit.

Folgen des vermuteten Einsatzes von Uranwaffen in Falludscha

Besonders herausheben möchte ich aber noch eine epidemiologische Studie, über die in diesem Review-Artikel15 ausführlich berichtet wird und in der im Gegensatz zu anderen Studien Daten über Zusammenhänge zwischen dem wahrscheinlichen Einsatz von Uranwaffen und später auftretenden Gesundheitsschäden erhoben werden konnten.

Es handelt es sich um eine Untersuchung, die im Jahre 2010 in der in Basel herausgegebenen wissenschaftlichen Zeitschrift "International Journal of Environmental Research and Public Health" erschienen ist. In dieser Arbeit wird über die Häufigkeit von Krebs, Geburtsfehlern und die Veränderung des Geschlechterverhältnisses bei Neugeborenen und Kleinkindern berichtet.16

Diese Studie wurde in Falludscha im Irak durchgeführt, das 2004 stark umkämpft gewesen ist und in der wahrscheinlich auch eine große Menge Uranwaffen vom US-Militär eingesetzt worden ist.

In dieser Stadt wurden mit einer Fragebogenaktion 4.843 Personen nach Geburtsfehlern, Kindersterblichkeit, Krebserkrankungen und dem Geschlechterverhältnis bei der Geburt in der Zeitspanne zwischen 2005 und 2010 befragt.

Die Kindersterblichkeit in der Altersgruppe 0 bis 1 Jahr lag vier- bis achtmal so hoch wie in einer Vergleichsgruppe in Ägypten, Jordanien oder Kuwait.

Die mittlere Geschlechterrate bei der Geburt im ersten Jahr nach Ende der Kampfhandlungen war stark abweichend. Während normalerweise auf 1.000 Mädchengeburten 1.050 Knabengeburten registriert werden, waren es in der Falludscha-Kohorte bei den Neugeborenen bis Vierjährigen nur 860 Knabengeburten. Die Veränderung des Geschlechterverhältnisses von Neugeborenen ist ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass mindestens ein Elternteil vor der Zeugung erheblichem genetischen Stress, zum Beispiel durch radioaktive Strahlenbelastung, ausgesetzt gewesen ist.

Eine ähnliche Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei Geburten war auch in Hiroshima nach dem US-Atombombenangriff ab 1945 zu beobachten.

Auch die Inzidenz von Krebserkrankungen im Kindesalter, vor allem Leukämien, Lymphome, Brustkrebs und Hirntumore, waren im Vergleich zu den Inzidenzraten in den oben genannten Nachbarländern signifikant erhöht.

Folgen des Einsatzes von Uranwaffen in Mitrovica

Zum Schluss dieses Kapitels soll noch auf eine Untersuchung aus dem Krankenhaus in Mitrovica/ Kosovo aufmerksam gemacht werden.17 Diese Studie untersuchte die Häufigkeit des Auftretens von malignen (bösartigen) Erkrankungen im Zeitraum von 1997 bis 2000 in diesem Krankenhaus.

Dieser Zeitraum wurde ausgewählt, weil er im Hinblick auf den Kosovo-Krieg 1999, in dem im großen Umfang von den Nato-Staaten auch Uranmunition eingesetzt worden ist, den Vergleich von zwei Vorkriegsjahren (1997 bis 1998) mit zwei Nachkriegsjahren (1999 bis 2000) erlaubt.

In der Vorkriegszeit belief sich die Zahl der malignen Erkrankungen auf 1,98 Prozent der Patientenaufnahmen, während in der Nachkriegszeit diese auf 5,45 Prozent angestiegen war.

Der größte Anstieg war bei den malignen Lungenerkrankungen (von 1,7 auf 22 Prozent der malignen Erkrankungen) und Nierenerkrankungen (von 1,6 auf 16 Prozent) zu verzeichnen. Die Hauptgründe dieses Anstiegs werden von den Autoren in der erhöhten radioaktiven Strahlung auf dem Territorium des ganzen Kosovo durch abgereichertes Uran nach dem Bombenkrieg der Nato gesehen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de