Der Grosse Bruder im Pan-Tau-Land
Redakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders CT in Tschechien erstreiken neues Rundfunkgesetz, das politische Unabhängigkeit sichert
Der kurz vor Weihnachten 2000 offen ausgebrochene Streit zwischen Nachrichtenredakteuren des öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehens CT (Ceska Televize) und einer vom Parlament neu eingesetzten Senderführung hat sich mittlerweile fast zu einer Staatskrise Tschechiens entwickelt.
Ein Großteil der tschechischen Bevölkerung solidarisiert sich in Prag und Brünn bei Großdemonstrationen täglich mit den Streikenden, sogar Politiker nehmen an der Besetzung der Redaktionsräume teil. Der Konflikt zieht sich durch die höchste Staatsebene: Präsident Vaclav Havel (alter Stones-Fan und daher "Street Fighting Man" h.c.) hat gegen Premier Milos Zeman und Parlamentspräsident Vaclav Klaus durch eine Silvester-Grußbotschaft an die Streikenden unverhohlen Partei ergriffen.
Klaus warf seinem Rivalen Havel daraufhin vor, die Situation verschärft zu haben. Havel und ihm genehme Politiker wollten die Krise zu eigenen Zwecken missbrauchen, meinte der Ex-Regierungschef am Donnerstag. Der Streit könnte sich sogar negativ auf die tschechischen EU-Beitrittsverhandlungen auswirken. Der ständige EU-Vertreter in Prag äußerte in einem Gespräch mit dem stellvertretenden Außenminister Pavel Telicka seine Besorgnis. Man prüfe, ob in Tschechien eine freie Berichterstattung gewährleistet sei.
Zentrale Figur des Dramas ist der 53-jährige TV-Generaldirektor Jiri Hodac, der am Donnerstag offiziell wegen "extremer Erschöpfung" in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, was man auch als Vorbereitung eines Rücktritts interpretieren kann. Die streikenden CT-Redakteure setzten währenddessen die Besetzung von Studios und die Ausstrahlung eines Ersatzprogramms mit Wiederholungen fort, um den Rücktritt des CT-Intendanten zu erwirken. Und sie scheinen tatsächlich gesiegt zu haben. Der hartnäckige Widerstand hat dazu geführt, dass die sozialdemokratische Minderheitsregierung Zeman eine Gesetzesnovelle zum Rundfunk- und Fernsehgesetz beraten hat, die eine Neubesetzung und Entpolitisierung des Fernsehrates vorsieht.
Neben den Parteien soll auch anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Kirchen, Umweltorganisationen und Minderheitenvertretern ein Vorschlagsrecht bei der Besetzung des Rundfunkrats eingeräumt werden. Parlamentspräsident Vaclav Klaus erklärte den legislativen Notstand, damit bereits in der kommenden Woche ein neues Mediengesetz verabschiedet werden kann. Als sicher gilt, dass der umstrittene Hodac danach seinen Hut nehmen muss. Hodac geriet zusätzlich durch eine am Mittwoch beschlossene Resolution des Senats unter Druck, in der er zum Rücktritt aufgefordert wird, und auch Zeman hat sich -wacker, wacker- anscheinend jetzt den Forderungen der Rebellen angeschlossen.
Am Mittwoch hatten Zehntausende auf dem Prager Wenzelsplatz noch für Meinungs- und Pressefreiheit demonstriert, gefordert wurde die sofortige Absetzung von Hodac, untermauert von einer Massen-Petitition. Begleitet wurde die Demo bemerkenswerterweise von einer Live-Übertragung aus der besetzten Redaktion per Großleinwand (prima Idee: demonstrieren gehen und dabei noch Big Brother-fernsehen. Nur rausgewählt wurde wohl diesmal jemand, der gar nicht drin war).
Entzündet hatte sich der seit längerem schwelende Konflikt an der Absetzung des bisherigen TV-Intendanten Dusan Chmelicek und der damit einhergehenden Ersetzung durch Jiri Hodac. Hodac gilt als enger Gefolgsmann der Demokratischen Bürger-Partei ODS von Ex-Premier Vaclav Klaus und steht in der Meinung der Streikenden für den Versuch einer Großen Koalition aus Sozialdemokratie und bürgerlicher ODS, den Charakter des staatlich-unabhängigen Fernsehens in Richtung parteipolitischer Hofberichterstattung zu verändern.
Hodac, ein früherer Journalist des tschechischen BBC-Dienstes, war als Chmeliceks Nachfolger aber kein Neuling im Sender. Er hatte erst am 11.08.00 überraschend als News Director bei CT gekündigt, nachdem er vom Intendanten Chmelicek im April 2000 als Nachrichtenchef eingesetzt worden war. Als Grund gab Hodac unüberbrückbare Differenzen zwischen ihm und Chmelicek über das Konzept der journalistischen Ausrichtung des Senders an sowie pikanterweise (bedenkt man die aktuellen Ereignisse) angebliche zu große Einflussnahme gewisser Leute außerhalb des Senders. Chmelicek hingegen warf ihm Schwächen im Management und beim Umgang mit den Mitarbeitern vor.
Als substantielle Ursache können eher die Umstände bei der Entlassung des Moderators Roman Prorok gelten, der es gewagt hatte, Vaclav Klaus mit der Androhung, einen leeren Stuhl ins Studio zu stellen, praktisch zur Teilnahme an einer Talksendung mit anderen Spitzenpolitikern zu zwingen. Nachdem Hodac den frechen Prorok Anfang Juni 2000 durch eine Beschwerde des wütenden Klaus bei Hodac entließ, war das Verhältnis zwischen den Journalisten und Hodac bereits schwer belastet.
Aber Hodac war beileibe nicht der erste CT-Fernsehdirektor, der über einen Konflikt mit Angestellten stolperte. Bereits 1998 hatte der damalige Rundfunkrat beschlossen, mit der Bestellung eines neuen Fernsehdirektors die Qualität der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenberichterstattung zu verbessern, die im post-kommunistischen Tschechien stark zu wünschen übrig ließ, weil man seichte Entertainment-Formate favorisierte. Jakub Puchalsky (wie Hodac ein ehemaliger BBC-Mitarbeiter) setzte als Nachrichtenchef Ivan Kytka ein, dessen Reformansätze jedoch von den Beschäftigten boykottiert wurden und der nach sieben Wochen bereits wieder gehen musste. Ende Januar 2000 wurde dann Puchalskys Kollege Dusan Chmelicek als Fernsehdirektor eingesetzt. Dies führte zum erneuten Konflikt mit den großen Parteien, die einen bequemeren Journalisten wollten, in der Folge den widerspenstigen Fernsehrat im Frühling 2000 auflösten und gemäß ihres alleinigen Bestallungsrechts durch einen neuen Rat ersetzten. Der im April 2000 von Chmelicek geholte Hodac sorgte als Chefredakteur zunächst dafür, dass Politiker bei politischen Sendungen kritischer hinterfragt wurden, und führte ein, dass bei einer Absage ein leerer Stuhl im Studio aufgestellt wurde. Beim Konflikt von Vaclav Klaus mit dem Moderator Prorok knickte er jedoch ein, der Anfang vom Ende.
Die heiße Phase der Machtprobe zwischen Redakteuren und Intendant begann dann endgültig am 20.12.00 mit der Besetzung der Redaktionsräume als Protest gegen Hodac und der Weigerung die Kündigung einiger leitender Redakteure durch Hodac und seine Gefolgsleute zu akzeptieren. In den Tagen danach gab es bei CT zunächst immer wieder Unterbrechungen und Programmausfälle. Hodacs Leute sendeten ihre Nachrichten, da sie vom Sendebetrieb ausgesperrt waren behelfsweise über die Anlagen eines Privatsenders (quasi öffentlich-rechtlicher Piratensender, mal was Neues), parallel dazu gab es über Kabelnetz weiter Rebel-News von den boshaften CT-Rebellen. Zwei Drittel der CT-Belegschaft schlossen sich nach und nach den Redakteuren an. Um eine angedrohte Zwangsräumung durch die Polizei zu verhindern riefen die Gewerkschaften an Neujahr schlauerweise einen offiziellen Streik aus. Denn im tschechischen Recht sind Entlassungen und Zwangsmaßnahmen gegen Streikende verboten. Die Redakteure arbeiteten/sendeten dennoch weiter.
Ganz im Sinne der New Economy des 21. Jahrhunderts - jeder sein eigener Streikbrecher. Hodac versuchte das lästige Rebellenprogramm abschalten zu lassen, über Satellit und vereinzelt auch über Kabel ist es aber bis dato weiterhin in Tschechien empfangbar. Möglicherweise ist der arme Hodac aber nach späterem Urteil durch die Geschichte auch nur an einer mobilen Toilette gescheitert. Wer z.B. mit dringendem Bedürfnis die Redaktionsräume verlassen hätte müssen, wäre von Security-Leuten nicht mehr hineingelassen worden, durch ein Fenster wurden die Streikenden jedoch mit einem Bauarbeiter-Häusl versorgt und konnten ausharren. Kack-ceremos! Wie konnte es in Pan-Tau-Land soweit kommen?
Es wäre aber unfair, alles an der Person Jiri Hodac festzumachen, der zwar irgendwie mephistophelisch aussieht, aber Mephisto wäre ja auch kaum wegen Burnout-Syndrom eingeliefert worden - außer Faust würde von Didi Hallervorden oder Otto verkörpert.Was sich bei CT im Nachbarland durch das Standing der wackeren jungen Redakteure gegenwärtig vollzieht, ist ein längst überfälliger Prozess der politischen Emanzipation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine Emanzipation, die es in einem Land, in dem jahrzehntelang eine Partei die Medien beherrscht hat, so dass man das nach 1989 gewohnheitsmäßig als Mehrparteiensystem gleich weiter so gemacht hat, bisher einfach nicht gab. Eine Partei beherrscht jahrzehntelang die Medien, hmm, das erinnert den deutschen Fernsehzuschauer doch an irgendwas. Bayerischer Rundfunk? Ja, kruzitürken!