Der Luftverkehr ist die weltgrößte und sinnloseste ABM-Maßnahme
Ein Ausflug in die Businessclass der ABM
Effizienz? Marktwirtschaft? Wettbewerb? Nichts davon gibt es im Luftverkehr. Ausgerechnet der technologische Höhepunkt der Fortbewegung, das Überwinden weiter Distanzen in kurzer Zeit, gerät zum völlig unwirtschaftlichen Selbstzweck. Im Flugverkehr ist der Weg stets das Ziel. Und das Ziel ist für alle Beteiligten, für Airliner wie Gäste, Sicherheitskontrolleure wie Werber teilweise hochbezahlte und weitgehend überflüssige Beschäftigung. Fliegen ist das Unrealistischste, was der Kapitalismus seinen Jüngern zum Zeitvertreib und Broterwerb offeriert. Ein Grund, sich wieder einmal in die innerdeutsche Airportcrowd einzureihen, wo Zeit und Geld keine Rolle spielen.
LH 2038 wird um 13.20 von MUC nach TXL abheben. Verheißend-nervöse Mails schüren im Vorfeld das Reisefieber: "Please check-in and select your preferred seat." Zweieinhalb Stunden benötige ich für die 82 Kilometer Luftlinie von zu Hause zum Flughafen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Zuzüglich eine halbe Stunde Sicherheitspuffer, denn DB Logistics ist in Teilstrecken involviert. Ab dem völlig verwahrlosten S-Umsteigebahnhof Laim 45 Minuten Stehen im überfüllten Zug. Wegen der Sicherheitschecks sollte man eine Stunde vor Abflug im Terminal sein. Macht vier Stunden nur zum Abflug.
Nach Eingabe des Buchungscodes in den Bordkartenautomaten im Terminal 2 bleiben in den Dreierreihen des geräumigen Airbus aber nur drei Mittelplätze zur Auswahl. Ich entscheide mich für 27 E, mit dem ich bereits des Öfteren Bekanntschaft machen durfte. 27 E ist der Platz, den unerfahrene Seltenflieger erhalten: Lichtjahre vom Gangway entfernt, zu spät im Kurzflug vom Getränkewaggon erreicht, verloren zwischen manischen iPadlern und emsigen TOEFL-Adepten (Earphone), die dir Schokokrümel des miesesten Milkariegels der LH auf dein Kenzosakko verteilen, damit du beim Vortrag in der Hauptstadt aussiehst wie ein Excel-Dozent in Nordhorn. Nach einer Stunde im überfüllten innerdeutschen Flug kannst du in jedem Roman von Wladimir Kaminer mitspielen.
Aber wer solchermaßen reist, bringt die nötige Opferbereitschaft mit, dient er doch einem höheren Zweck, nämlich der Förderung europäischer Hochtechnologie, der Globalisierung und dem Wachstum. Zwar ist bis heute nicht geklärt, wie 168 Menschen in weniger als 30 Minuten in ein Flugzeug einsteigen sollen, wie und wo sie pinkeln können, aber die Triebwerke und das Radar funktionieren derart gut, dass das Flugzeug als sicherstes aller Verkehrsmittel gilt.
Das dritte öffentlich finanzierte Verkehrssystem
Versuchen wir einmal die Geschichte des innerdeutschen Flugverkehrs zu verstehen. Also: Kurz nach der Wiedervereinigung wurde ein milliardenteures ICE-Netz errichtet, das fortan alle deutschen Städte im Stundentakt verband. Der Betreiber, die heute leider nicht mehr existierende Deutsche Bahn, war ein Staatsunternehmen.
1933 war die Autobahn das, was 1995 das Internet war: Ein sauteures Netz, das nur Reiche benutzen konnten, die sich die dazugehörige Hardware leisten konnten. Inzwischen konkurrieren bundesweit gut ausgebaute dreispurige Autorennbahnen mit dem ICE. Auf der A9 bei Allersberg kann man ab und an AMG-Fahrer beim Versuch beobachten, den ICE zu überholen.
Auch das Autobahnnetz ist komplett staatlich finanziert und muss wegen des Schwerlastverkehrs ständig erneuert werden.
Zusätzlich nun wurden etwa in München, Hamburg und Düsseldorf riesige neu Flughäfen eröffnet. Was sie verkehrsphilosophisch verbindet? Sie sind mit dem Netz der Deutschen Bahn nicht erreichbar. Das ist vernünftig gedacht, denn wir sollen ja dort fliegen, nicht Bahn fahren. Stattdessen bieten die Airports zehntausende Parkplätze für die Flugreisenden. Statt ursprünglich geplanter 2,5 Milliarden Mark kostete der Franz Josef Strauß Airport dann 8,5 Milliarden Mark. Sämtliche Verluste des Betriebes müssen natürlich vom Staat getragen werden.
Allerdings scheint der Anreiz dieses dritten, öffentlich finanzierten Verkehrsnetzes nicht auszureichen. Ein Flughafen benötigt auch Flüge. Diese werden von sogenannten "Airlines" veranstaltet, die dafür wiederum Flugzeuge benötigen. Da diese sehr, sehr teuer sind, werden sie auch vom Staat entwickelt und gebaut.
Das größte Flugzeugunternehmen der zivilen Luftfahrt heißt EADS (European Aeronautic Defence and Space Company). 113.000 Mitarbeiter an 70 Produktionsorten produzieren dort seit Jahrzehnten nachhaltig Milliardenverluste für die europäischen Steuerzahler. Die technisch anspruchsvollen Flugzeuge sind den Airlines jedoch zu teuer. Sie werden deshalb über verschachtelte Leasingkonstruktionen faktisch vom Staat selbst mit symbolischen Minizinsen vermietet. Der Kaufpreis steht nur auf dem Papier. Dieses Angebot ist so attraktiv, dass Airlines gerne auch einmal 20 Stück "bestellen", also die Produktion für einige Monate sichern.
Man möchte meinen, die Bereitstellung von Flughafen und Flugzeugen könnte zur Förderung des Luftverkehrs ausreichen. Dem ist aber nicht so. Flugzeuge benötigen nämlich nach Ansicht nicht weniger Fachleute Treibstoff. "Das Kerosin", beklagen die Airlines unisono, "ist zu teuer." "Kein Problem", sagt der Staat. "Dann verzichten wir doch auf Benzin- und Umsatzsteuer."
Eine Gallone Kerosin kostet derzeit 2 Dollar 90. Eine Gallone hat 3,79 Liter. Je nach Dollarkurs kostet also ein Liter Kerosin um die 60 Cent. Ein Liter Benzin oder Diesel dagegen quillt für 1 Euro 60 aus der Zapfsäule. 3200 Liter in der Stunde verfeuert so ein A 320 mit 168 Sitzen. Da im Schnitt etwa 120 Gäste mitfliegen,, sind dies 26,6 Liter je Fluggast.
Trotz dieser dreifachen Subvention gehen fast alle Airlines Pleite. Der einfache Grund: Kaum ein Fluggast ist bereit, die Vollkosten von mehreren tausend Euro pro Flug zu bezahlen.
"Airport Security is Killing Us"
Flughafen, Flugzeug, Kerosin - was fehlt noch, um den innerdeutschen Flugverkehr dabei zu unterstützen, die ICEs und Autobahnen zu leeren? Jeder weiß es seit 9/11. Es ist die Security. Seit angeblich 19 aus Afghanistan ferngesteuerte Attentäter, unter ihnen 15 Saudis mit Teppichmessern, zwei Flugzeuge des Typs Boeing 767 in das World Trade Center steuerten, wurden weltweit Millionen Arbeitsplätze für Sicherheitskontrollen an Flughäfen eingerichtet. Es handelt sich überwiegend um einen schlecht bezahlten Schichtdienst, für dessen Ausübung fast keine Ausbildung erforderlich ist. Hunderte dieser Scheinbeschäftigten stehen nun außerhalb der Boomzeiten morgens und abends hilf- und beschäftigungslos in Zehnergruppen an den teuren Terminals herum und fachsimpeln über das gestrige RTL-2-Programm. Ihre Message: Fliegen ist selbst am Boden Wachstum und Beschäftigung. Die größte ABM-Maßnahme der Welt.
Ein ehemaliger Weltbanker wirkt seit einiger Zeit als Kolumnist in der Businessweek. Eines seiner amüsantesten Stücke trägt den zünftigen Titel "Airport Security is Killing Us". Charles Kenny stellt darin einen schönen Vergleich an: Durch Unfälle in der Badewanne, so Kenny, kämen nämlich allein in den USA pro Jahr mehr Menschen um als weltweit durch den gesamten "islamischen Terrorismus". Eine von Kenny köstlich zitierte Studie der Cornell-Universität weist gar nach, dass unter jenen fünf Prozent der Passagiere, die dank der Sicherheitskontrollen das Fliegen ganz aufgegeben haben, allein durch das Autofahren 100 zusätzliche Tote zu beklagen sind, da Fliegen bekanntlich sicherer ist. Auch, dass den Kosten von 9/11 in Höhe von 55 Milliarden Dollar allein bis 2011 in den USA Kosten für Homeland Security in Höhe von 580 Milliarden Dollar gegenüber standen, hält Kenny für erwähnenswert.
Inzwischen machen Sicherheits- und Flughafengebühren die Hälfte des Flugpreises aus. Der Fluggast bezahlt also für Ineffizienz und fehlende betriebswirtschaftliche Kalkulation eine Strafsteuer.
Schade nur, dass Kenny nicht die Flughäfen, die Flugzeuge von Boeing und EADS und das Kerosin in seine Berechnung mit aufgenommen hat.
Ein anderes, weniger bekanntes Businessmodell des Luftverkehrs sieht so aus: Die EU baut für einige hundert Millionen Euro einen Flugplatz in Gaza. Dann beauftragt die amerikanische Regierung die israelische Luftwaffe, mit vom US-Staat finanzierten Flugzeugen diesen Flughafen dem Erdboden gleich zu machen. Subventionsanteil in dieser ungewöhnlichen ABM-Maßnahme: 100 Prozent.
Nun beschreibt Kenny den Flugverkehr in einem Land, in dem Inlandsflüge aus europäischer Sicht Fernflüge in fremde Zeitzonen sind. Im innerdeutschen Flugverkehr, aber selbst für Flüge nach Paris, Zürich, Amsterdam und Wien, könnten die Opportunitätskosten völlig ausufern, wenn in irgendeiner Form Alternativen berechnet würden. Telefonkonferenzen kalkuliert. Bahntarife abgerufen. Nur ein kleiner Teil der Flüge hält der rationalen Begründung einer betrieblichen Anforderung stand.
Von München nach Berlin etwa dauert der Flug mit Anfahrt und Sicherheitspuffer für Parken oder Nahverkehr mindestens fünf Stunden von Haus zu Haus. Die 6 Stunden 16 des ICE sind bereits erreicht, wenn man etwa aus dem westlichen Münchner Umland kommt, in Tegel landet und dann nach Eberswalde muss. Der teuerste Posten in dieser Berechnung, die die Grünen längst hätten anstellen können, aber wären die Subventionen für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Flugverkehr.
Auf dem Rückflug, wiederum im A 320, darf ich diesmal die 16B frequentieren. 11 B war natürlich weg. Vorne in der Businessclass sitzt Volker Kauder mit anderen Bundestagsabgeordneten. Da die Subvention der Flughäfen, der Flugzeuge, des Kerosins und der Security nicht ausreicht, um sie zur Benutzung des Flugzeugs anzuhalten, dürfen sie kostenlos Businessclass in ihre Wahlkreise fliegen.
Oder eben in diesem Fall zur Wies'n. Eine dienstliche Besprechung mit der CSU schließt das ja nicht aus. Für über Liste gewählte Abgeordnete könnte dieser Transfer ein einmaliges soziokulturelles Erlebnis bieten: Sie switchen aus einer ABM-Maßnahme mit einer ABM-Maßnahme in eine ABM-Maßnahme. Sie bilden sozusagen die Businessclass der ABM.