Der Markt wird es schon regeln
Justizministerin Zypries stellt Entwurf der neuen Urheberrechtsnovelle vor
Am Donnerstag stellte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Eckpunkte des neuen Referentenentwurfs zum Urheberrechtsgesetz vor. Erneut wurde dabei deutlich, dass es keinen Masterplan für die Wissensordnung der digitalen Gesellschaft gibt. Beim ersten Korb hieß es, es gäbe keinen Gestaltungsspielraum, da nur die verpflichtenden Vorgaben der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft umgesetzt werden sollten (Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen). In den zweiten Korb wurden die Punkte gelegt, die einer weiteren Diskussion bedurften.
Was vorgestellt wurde, zeugt von viel Pragmatik und einigem Armdrücken, aber von wenig aktivem Gestaltungswillen. Beim Urhebervertragsrecht hatte sich die Bundesregierung hinter die schwächere, schutzbedürftige Partei, die Urheber, gestellt, um ihnen einen angemessenen Anteil aus der Verwertung ihrer Werke zu sichern. Eine vergleichbare Stärkung der Bürger, deren Interessen ebenso bedroht und schutzwürdig sind, hat es hier nicht gegeben. Der Entwurf, soweit er bislang bekannt ist, hat zentrale Fragen offen gelassen, für andere verfahrenstechnische Lösungen gewählt und für das Gros des urheberrechtlichen Geltungsbereichs dem Markt freie Hand gelassen.
"Offensichtlich rechtswidrig genutzte Vorlage"
Bei der für Bürger zentralen Frage der Privatkopie ändert sich nichts. Das heißt, sie ist weiter zulässig, aber unmöglich, wenn die Verwerter sie technisch verhindern. Sie wird nicht verboten, ist aber auch kein Recht, das allerdings in bestimmten Fällen gegen den Einsatz von DRM einklagbar ist, nur eben nicht in seinem Kerngehalt. Wer soll das verstehen?
So ganz verstehen es nicht einmal die Gesetzesmacher selbst. Auf die Frage, ob Downloads für private Zwecke nicht nur rechtswidrig, sondern auch strafbar seien, musste die Ministeriumsriege passen. Es gehe primär um die Strafbarkeit des illegalen Anbietens.
Erfreulich klar war die Bekräftigung, dass die Schulhöfe nicht kriminalisiert werden sollen. Zypries: "Private müssen also nichts befürchten." Auch mögliche zivilrechtliche Ansprüche sieht die Ministerin nicht als Gefahr: "Ich glaube nicht, dass das in nennenswertem Umfang passiert." Eine "kleine redaktionelle Klarstellung" gab es bei der Vorlage für Privatkopien. Sie war bislang ausgeschlossen, wenn sie "offensichtlich rechtswidrig hergestellt" wurde. Jetzt soll es "offensichtlich rechtswidrig genutzte Vorlage" heißen. Eine Privatkopie kann also rechtens sein, sie zum Download anzubieten nicht. Die Intention, so die Ministerin, sei es, Tauschbörsen nicht zu fördern. Taucht dort die neue Madonna-CD auf, so müsse man wissen, dass das Herunterladen illegal ist. Aber ist es auch strafbar? Dazu blieb sie die Antwort schuldig. Man müsse erst nachschauen, was genau im Gesetz steht.
Absurde Welt
Ein weiteres zentrales Interesse der Bürger an Zugang zu Information für politische Partizipation, Bildung, Wissenschaft und Kultur gilt den Bibliotheken. Was Zypries dazu ankündigte, sieht nach einer weitgehenden Ausschöpfung des Spielraums aus, den die EU-Richtlinie für Bibliotheksschranken in Europa zulässt. Bibliotheken solle es erlaubt werden, ihre Bestände auch an "elektronischen Leseplätzen" zu zeigen. Damit behielten sie Anschluss an die neuen Medien. Allerdings nur, das sprach die Ministerin nicht aus, sofern diese nicht mit dem Internet verbunden sind, denn ein elektronisches Zeigen, das über die Räume der Bibliothek hinausgeht, verbietet die Richtlinie.
Der genaue Wortlaut des Gesetzentwurfs bleibt abzuwarten, doch ist zu befürchten, dass ohne Korrekturen im europäischen Recht nicht mehr möglich ist als eine Karikatur der universellen digitalen Bibliothek, die immer wieder verhießen wurde.
Hoch anzurechnen ist der Ministerin, dass sie beim Kopienversand dem Druck der Verleger nicht nachgegeben hat. Bibliotheken dürfen auch zukünftig Kopien von Aufsätzen elektronisch an ihre Nutzer verschicken, wenn auch nur in Form von grafischen Dateien. Problematischer ist, dass sie das nur dürfen, wenn die Verlage die Texte nicht selbst elektronisch anbieten. Wenn weder der individuelle Nutzer noch seine Bibliothek sich diese leisten kann, dann bekommen wir eine digitale Spaltung. Und im glücklichen Fall, dass die Bibliothek es sich erlauben kann, sie für ihre Nutzer zu lizenzieren, müssen diese sich, um sie einzusehen, an den "elektronischen Leseplatz" begeben. Was analog ist, können sie sich digital zumailen lassen. Für das, was digital ist, müssen sie physisch in die Bibliothek gehen. Absurde Welt.
Ebenfalls zu begrüßen ist, dass die SPD-Politikerin auch die von den Verwertern geforderten privaten Auskunftsansprüche gegen ISPs abgelehnt hat. Um bei mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen die Namen ihrer Kunden preisgeben zu können, müssten sie Verbindungsdaten vorhalten, und das bringe datenschutzrechtliche Probleme mit sich. Dies ist einer der wenigen Punkte, bei denen nicht nur Datenschutzerwägungen im Urheberrecht zum Tragen kamen, sondern auch seiner Privatisierung Einhalt geboten wurde. Wer einen Verdacht hat, solle sich wie bisher an die Staatsanwaltschaft wenden.
Pauschalvergütung und DRM
Der Kern der Nicht-Politik wird an der Einschätzung von DRM deutlich. Eine Überprüfung, welche unbeabsichtigten Folgen diese im ersten Korb pauschal gegen Umgehung geschützten Technologien haben, hat nicht stattgefunden. Hier sieht sich die Ministerin nicht zuständig. Das sei EU-Recht und lasse sich nur mit geregeltem Verfahren machen. Auf die Frage eines Kollegen, was denn Linux-Nutzer machen sollten, die von fast allen DRM-geschützten Inhalten ausgeschlossen werden, riet Zypries: "Dann kaufen sie sich doch einen CD-Player." Auch für diese Frage sei sie nicht zuständig.
Beim DVD-Regionen-Code, der offensichtlich nichts mit dem Urheberrecht und alles mit Geschäftsmodellen zu tun hat, sieht sie kein Problem. Es gebe doch nur Wenige, die in den USA DVDs kaufen. Etwas ratlos klang Zypries als sie feststellte: "Kopiergeschützte CDs sollten unserer Meinung nach billiger werden. Das ist aber nicht so." Immerhin lehnte die Ministerin umgekehrt auch die von Industrievertretern geforderte gesetzliche Verpflichtung zum Einsatz von DRM ab. Das Mantra auch hier: Der Markt soll es regeln.
DRM ist auch einer der Gründe für die Neuordnung des Pauschalvergütungssystems, einer weiteren zentralen Aufgabe dieser Novelle. Seine Abschaffung stand, trotz der massiven Forderung diesmal der Geräteindustrie, nicht zur Diskussion. Dass DRM Schrankenfreiheiten überflüssig machen wird, glaubt Zypries offenkundig nicht. Vielmehr verhielten sich Pauschalvergütung und DRM wie kommunizierende Röhren: Wenn viel geschützt wird, muss die Vergütung zurückgehen. Und umgekehrt, wenn Verwerter, wie heute immer mehr Musik-Labels, DRM wieder einstellen, muss die Vergütungshöhe wieder steigen. Das sei mit Marktforschungsmitteln relativ leicht festzustellen.
Waren bislang Geräte und Speichermedien vergütungspflichtig, die "zum Kopieren bestimmt" sind, so sollen es nun solche sein, die "tatsächlich in nennenswertem Umfang" für privates Kopieren genutzt werden. Auch diese Tatsächlichkeit soll durch Markforschung ermittelt werden. Künftig sollen weder die vergütungspflichtigen Geräteklassen noch die Tarife, wie das letzte Mal 1985 erfolgt, vom Gesetzgeber festgelegt werden. Auch die seither praktizierte privatwirtschaftliche Aushandlung zwischen Verwertungsgesellschaften und den betroffenen Industrien ist offensichtlich nicht die Lösung, wenn sie auch nach sieben Jahre noch nicht zur Einigung führt. Der Gesetzentwurf gibt den privaten Verhandlungen weiterhin den Vorrang, befristet sie aber auf sechs Monate. Dann kommt ein Schlichtungsgremium zum Zug, mit Vertretern aller Parteien und einem neutralen Vorsitzenden. Führt auch das nicht zu einer Einigung, gibt es als letzte Instanz nur noch das Oberlandesgericht.
Wo es um Bürgerinteressen geht, argumentiert die Ministerin mit dem Prinzip des Exklusivrechts der Rechteinhaber und tut im Wesentlichen nichts. Am heftig kritisierten Verfallsdatum der Bildungsschranke zum Beispiel will sie nicht rühren. Man müsse bis Ende 2006 sehen, ob sie sich bewährt hat und sie gegebenenfalls dann neu regeln.
Geht es dagegen um Verwerterinteressen, gibt sich das Ministerium ganz pragmatisch. Das Verbot der Übertragung unbekannter Nutzungsarten diente bislang dazu, Urheber vor dem pauschalen Ausverkauf ihrer Rechte zu schützen. Für Verwerter ist das lästig. Sie müssen die Urheber ausfindig machen und neue Verträge mit ihnen schließen, wenn sie deren Werke jetzt auch im Internet vermarkten wollen. Das Ministerium dreht daher den Spieß um und stellt das auch noch als Vorteil für den Urheber hin. Der soll nun Buy-out-Verträge für sämtliche in der Zukunft auftauchende Nutzungen unterschreiben dürfen. Für die neue Nutzung hat er ein Recht auf angemessene Vergütung, und er kann ihr widersprechen - sofern er denn rechtzeitig davon erfährt, denn dass der Verwerter ihn nicht mehr unterrichten muss, ist ja gerade Sinn der Sache.
Auch bei der Ablehnung einer Ausstellungsvergütung argumentierte die Ministerin eher aus dem Nähkästchen, denn aus Prinzip. Kleine kommunale Museen könnten sich keine Ausstellungen mehr leisten, wenn sie den Künstlern eine Vergütung zahlen müssten. Auch das BMJ selbst zeige gelegentlich künstlerische Werke in seinen Räumen. Zahlen könne das Ministerium nicht, denn dafür gibt es keinen Haushaltstitel. Eine solch pragmatische Argumentation hätte man sich auch in Bezug auf die Haushalte öffentlicher Bildungseinrichtungen und Bibliotheken gewünscht.
Prinzipiell wurden die Ministerialen erst wieder bei der Frage nach eine Pauschalvergütungslösung für Tauschbörsen. Im Internet gelte Wirtschaftsfreiheit. Die Content-Flatrate wäre eine "Sozialisierung des Eigentums". Wenn das Label von Madonna ihre Musik im Netz verkaufen will, müsste es dann mit einem Angebot für lau konkurrieren. Außerdem habe die Bundesregierung da gar keine Regelungskompetenz. Europarecht verbiete sie ihr.
Die Politik beschränkt sich auf die Moderation widerstreitender Interessen
Das Leitprinzip ist also: Der Markt wird es schon regeln. Da die Rechteinhaber sich durch technische Maßnahmen selbst schützen können, so die Unterstellung, brauche es den Staat nur noch, um deren Selbstschutzanlagen zu schützen. Verzichtet ein Verwerter auf den Einsatz von DRM, gelten vergütete Nutzungsfreiheiten von Bürgern, Bildung, Bibliotheken. Setzt er es ein, knipst er damit die Bürgerfreiheiten automatisch aus, und es gilt unbeschränkte "Wirtschaftsfreiheit". Auflagen für DRM gibt es keine.
Wo der "digitale Stacheldraht" ausstrahlt auf andere Werte wie Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, Wahlfreiheit für die eigene technologische Plattform, Wettbewerb und Innovationsfreiheit, Langzeitbewahrung von Kulturgütern etc., erklärt die Politik das Urheberrecht als nicht zuständig. War das Urheberrecht bislang ein staatlich abgesicherter Ausgleich zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Interessen, so sollen in der digitalen und besonders der Online-Welt die Verwerter mit Hilfe von Verträgen und Technologien nach Belieben walten dürfen, ohne alle Schranken und Ausnahmen.
Die Politik dagegen beschränkt sich auf die Moderation widerstreitender Interessen. So ist auch der Gesetzentwurf selbst zustande gekommen. Das Ministerium lud sich Vertreter von Verbänden der Industrie und von Bibliotheken, Verbraucherschützern und Gewerkschaften über eine halbes Jahr in thematische Arbeitsgruppen zum zweiten Korb ein und nannte das "kooperative Gesetzgebung".
Der für Urheberrecht zuständige Ministerialdirigent Elmar Hucko hatte Anfang des Jahrs erläutert, dass man sich davon einen "Geiselnehmereffekt" versprach. Hinter verschlossenen Türen kommen Ministerium und Interessengruppen einander näher und verschießen ihr Pulver, so dass dem Kompromiss, den der moderierende Geiselnehmer BMJ schließlich ausmendelt, alle Parteien zügig zustimmen könnten. Ob diese Rechnung aufgeht, ob auch die Abgeordneten sich zu Geiseln der Industrielobbys machen lassen, wird sich bald zeigen. Rechtsgelehrte wie Prof. Thomas Hoeren haben die fehlende Transparenz des Verfahrens bereits scharf kritisiert.
Wenn sich am Flickwerk des jetzt vorgestellten Entwurfs eine rot-grüne Handschrift erkennen lässt, dann erschöpft sie sich in der Feststellung, es hätte noch viel schlimmer kommen können. Der Wortlaut des Gesetzentwurfes bleibt abzuwarten. Mit ihm ist in den kommenden Wochen zu rechnen, spätestens am 2. November, für den Zypries ein weiteres Symposium zum zweiten Korb in München ankündigte. Doch nach dem, was sich bislang sagen lässt, setzt sich damit der Trend zur Privatisierung des Urheberrechts fort.