Kriminalstatistik: Der Mythos vom kriminellen Ausländer
Wohnen in Berlin Marzahn. Foto: Armin Staudt, shutterstock
Eine Studie des Ifo-Instituts stellt fest, dass für das Risiko, kriminell zu werden, die Herkunft des Täters keine Rolle spielt. Doch welcher Faktor ist es dann?
Alles schien so einfach und klar, als man die Flüchtlinge, die 2015 und danach aufgrund aktueller Kriegshandlungen Schutz in Deutschland suchten, als Illegale oder Irreguläre definierte und für alle Fehlentwicklungen einschließlich der Entwicklung der Gewaltkriminalität verantwortlich machte.
Da war ganz offensichtlich der passende Sündenbock gefunden.
Das Bild des Sündenbocks geht auf ein Ritual aus dem Alten Testament zurück: Damals wurden einmal im Jahr einem Bock symbolisch alle Sünden der Menschen aufgeladen und anschließend wurde er in die Wüste geschickt. Dort sollte es sterben und mit ihm all die ihm aufgeladenen Sünden.
Dieses archaische Ritual mag in der Vergangenheit in begrenztem Umfang seine Wirkung entfaltet haben. In der modernen, hochkomplexen, globalen Welt bringt es jedoch Probleme mit sich.
Was, wenn bereits alle Sündenböcke in der Wüste gestorben sind?
Und wenn die in der politischen Öffentlichkeit konstruierten Kausalzusammenhänge einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten, wird man unabhängig davon an dem scheinbar vielversprechenden Ritual der Verantwortungsverdrängung festhalten?
Das nicht gerade als links-grün-versifftes Institut verschriene Münchner Ifo-Institut hat Mitte Februar die Ergebnisse einer Studie unter dem Titel ″Steigert Migration die Kriminalität? Ein datenbasierter Blick″ veröffentlicht. Darin wird der Kausalzusammenhang von Migration und Kriminalität grundsätzlich infrage gestellt und es werden ganz andere Zusammenhänge betont.
Bekannterweise sind Ausländer in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert. Daraus wird gerne geschlossen, Migration gefährde die Sicherheit durch eine vermeintlich höhere Kriminalitätsneigung von Ausländern.
Ifo-Institut: Kein Zusammenhang zwischen Herkunft und Kriminalität
Für die Untersuchung analysierte das Ifo-Institut Daten der Kriminalstatistik der Jahre 2018 bis 2023 nach Kreisen und erörtert auf dieser Basis bestehende Erkenntnisse aus der Forschung zur Auswirkung von Zuwanderung auf Kriminalität. Die daraus gewonnenen Ergebnisse zeigen, dass die höhere Kriminalitätsrate von Ausländern überwiegend durch ortsspezifische Faktoren erklärt werden kann. Dazu gehört vor allem der Umstand, dass Ausländer vorwiegend in Ballungsräumen mit hoher Kriminalitätsdichte leben.
2023 lag der "Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen bei den Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße" bei 34,4 Prozent. Doch machen Ausländer insgesamt lediglich rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Woran liegt es nun, dass sie dennoch häufiger tatverdächtig sind?
Offensichtlich, so die Ifo-Studie liegt es vor allem am Wohnort. Ein systematischer Einfluss von Migration auf Kriminalität ist laut der Ifo-Studie nicht nachweisbar.
Der Wohnort entscheidet
Auch die Demografie ‒ Ausländer sind im Durchschnitt und öfter männlich ‒ spielt dagegen laut Kriminalstatistik eine geringere Rolle. Im Zeitraum 2018–2023 lässt sich nach dieser Untersuchung kein Zusammenhang zwischen einer Veränderung im regionalen Ausländeranteil und der lokalen Kriminalitätsrate nachweisen.
Die Ergebnisse decken sich mit Befunden der internationalen Forschung. Flucht und Migration haben danach keinen systemischen Einfluss auf die Kriminalität im Aufnahmeland. Im Gegenteil: Dass Migranten öfter als Tatverdächtige gelten als Deutsche, kann umgekehrt als Indiz dafür gelten, dass man ihnen bestimmte Taten eher zutraut, weil sie als gewaltaffiner gelten; nicht zuletzt deshalb, weil sie sich unter widrigen Umständen nach Deutschland durchgeschlagen haben.
Was sich anfangs nur gegen Kriegsflüchtlinge aus Westasien und Afghanistan richtete, wird in zunehmendem Maße auf alle Zuwanderer projiziert, selbst auf jene, die man in Westdeutschland seit den 1950er-Jahren aktiv als Gastarbeiter ins Land geholt hatte. Doch ohne sie wäre das westdeutsche Wirtschaftswunder niemals möglich gewesen, und zusammen mit ihren Nachfahren repräsentieren die "Gastarbeiter" heute ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung.
In Ostdeutschland hat dagegen nur jeder Neunte einen Migrationshintergrund. Bei diesen Menschen handelt es sich überdies vielfach um qualifizierte Fachkräfte aus dem medizinischen Umfeld, ohne die in vielen Fällen eine sachgerechte Versorgung der Bevölkerung nicht mehr möglich wäre.
Warum ist die Kriminalität in Ballungsräumen höher?
Dass städtische Gebiete kriminalitätsanfälliger sind, liegt der Ifo-Studie zufolge unter anderem an ihrer Infrastruktur, ihrer wirtschaftlichen Lage, der dort herrschenden Bevölkerungsdichte und nicht zuletzt an der höheren Polizeipräsenz. Wenn die Polizei in bestimmten Orten gezielt mehr ermittelt, stößt sie selbstverständlich auch auf mehr Straftaten.
Statt weiter Sündenböcke loszuschicken, wäre vielmehr die Frage zu beantworten, mit welchen Maßnahmen man einer Kriminalität unter Migranten vorbeugen und gleichzeitig irrige Vorstellungen über Migranten und Migration abbauen kann.