"Der Nationalstaat ist eine Imagination der Selbstkontrolle"
- "Der Nationalstaat ist eine Imagination der Selbstkontrolle"
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- Rekursive Systeme und algorithmische Komplexität
- "Ich hätte Angst davor, alles unter Kontrolle zu haben"
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Der Soziologe Dirk Baecker über die Lücke, die der Rechner lässt, die Systemtheorie und nicht-triviale Maschinen
Prof. Dr. Dirk Baecker ist Soziologe und seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke. Er studierte Soziologie und Nationalökonomie in Köln und Paris und promovierte und habilitierte im Fach Soziologie bei Niklas Luhmann in Bielefeld. Nach diversen Forschungsaufenthalten, Stanford University, Johns Hopkins University, London School of Economics, erhielt er 1996 den Ruf auf den Reinhard-Mohn-Lehrstuhl für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und gesellschaftlichen Wandel an der Universität Witten/Herdecke. Von 2000 bis 2007 hatte er ebendort den Lehrstuhl für Soziologie inne. Von 2007 bis 2015 hielt er den Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und hat dort heute noch eine Gastprofessur für Kultursoziologie.
Herr Baecker, Sie beschäftigen sich als durch die soziologische Systemtheorie geprägter Wissenschaftler schon seit einigen Jahren mit Kulturreflexion- und Theorie, insbesondere mit Analysen und Betrachtungen zum gesellschaftlichen Wandel, bei denen medienbezogene Aspekte zwangsläufig einen breiten Raum einnehmen. Ihre letzte, 2018 erschienene Buchpublikation trägt den Titel "4.0 oder Die Lücke, die der Rechner lässt". Sie verstehen 4.0 hier nicht als Verkürzung des Marketing-Labels "Industrie 4.0" sondern als These zu einem vierten Medienabschnitt der Menschheitsgeschichte und weisen durch das "Punkt Null" zugleich darauf hin, dass das Epochale nach dem Punkt weiter "differenziert werden kann und muss".
Unter 1.0 wollen Sie den oral-auditiven Abschnitt der Mündlichkeit mit der Entwicklung der Sprache verstanden wissen, 2.0 bedeutet demnach die Erfindung der Schrift, 3.0 der des Buchdrucks und der Alphabetisierung und 4.0 der der elektronischen und digitalen Medien. Alle vier Abschnitte verstehen Sie als ineinander übergehende Phasen der Geschichte, die mit tiefstgreifenden Veränderungen unserer Gesellschaften einher gehen. In der kräftigen Metaphorik Marshall McLuhans lassen sich auf den ersten Blick 3.0 sicher als die Gutenberg-Galaxis und 4.0 als die Turing-Galaxis identifizieren.
Für Leser*innen, die Ihr Buch nicht gelesen haben, können Sie skizzieren, was Sie mit "Die Lücke, die der Rechner lässt" ausdrücken wollen? Einmal angenommen es hätte um 1500 ein Medium zur Darstellung einer philosophischen Reflexion über die Gutenbergsche Technik gegeben, hätte man es mit "Die Lücke(n), die der Buchdruck lässt" betiteln können? Oder haben wir dort keine Vergleichsmöglichkeit? Ist die Geschichte der Menschheit bezogen auf Medien möglicherweise als eine "Geschichte der Lücken" darstellbar?
Dirk Baecker: Die Lücke ist die der Gesellschaft. In den meisten medientheoretischen Überlegungen, die ich außerhalb der Soziologie, also abgesehen von Talcott Parsons und Niklas Luhmann, kenne, werden Medien technologisch oder gar ontologisch gelesen. Mich interessiert die Gesellschaft, in der Medien erfunden werden, in der Regel einerseits auf die Begeisterung von Wenigen, im Übrigen aber auf die Ablehnung der Meisten stoßen und dann doch, und zwar anders als von den Erfindern gedacht, Anerkennung und Verwendung finden.
Diese Gesellschaft ist für mich kein normativer Kosmos, in dem konfliktreich darüber entschieden wird, ob Medien verwendet werden oder nicht, sondern ein sozialer Zusammenhang, der auf Gelegenheiten der Kommunikation reagiert und sich mit diesen Gelegenheiten ändert. Dazu müssen diese Gelegenheiten jedoch entsprechend interpretiert und in die verschiedenen sozialen Kontexte etwa politischer, wirtschaftlicher, pädagogischer, künstlerischer, amouröser, familiärer, alltäglicher oder sonstiger Art eingebettet werden.
Deswegen versuche ich in meinem Buch die Variable der Gesellschaft schärfer zu stellen und einige Überlegungen dazu anzustellen, wie das Auftreten neuer Medien die Gesellschaft verändert und die Gesellschaft diese Medien erst zu dem macht, was sie dann sind. Deswegen, ja, könnte man nach einer Literatur suchen, in der so etwas verhandelt wird wie "die Lücke, die der Buchdruck lässt", "die Lücke, die die Schrift lässt" und sogar, aber dazu gibt es keine schriftlichen Zeugnisse, "die Lücke, die die Sprache lässt".
Mein Buch verfolgt eine doppelte Agenda. Zum einen will ich wissen, wie sich bestimmte Institutionen der Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit der Sprache, der Schrift, dem Buchdruck und den elektronischen Medien ändern; und zum anderen will ich zeigen, dass Fragen dieses Typs ohne den Einsatz avancierter soziologischer und kulturtheoretischer Ideen nicht behandelt werden können. Die Lücke, von der ich spreche, ist daher auch die Lücke, die entsteht, wenn sich die Soziologie nicht an der Diskussion über die aktuellen Fragen der Digitalisierung beteiligt.
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