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Der Professorenschlag

Aus aktuellem Anlass: Warum so viele Universitätspräsidenten das staatliche Berufungsrecht für sich einfordern und warum gerade dadurch die wissenschaftliche Autonomie gefährdet wird

Man sollte annehmen, dass nach Ende des Kalten Krieges auch die Ängste vor einer links-intellektuellen Verschwörung verschwunden sein sollte und dass deswegen für die Berufung von Hochschullehrerinnen und -lehrern vor allem Eignung, Bedarf und Leistung als entscheidende Auswahlkriterien gelten. Eine große, von international renommierten Wissenschaftlern geschaltete Anzeige [1] im Berliner Tagesspiegel vom Montag lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob die Berufungspraxis der deutschen Hochschulen an Rationalität und Transparenz gewonnen hat. Schließlich stellt der Anlass dieser Kampagne, die aktuelle Weigerung des Präsidenten der Freien Universität Berlin (FU), ein Mitglied des Kuratoriums der Linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung als Juniorprofessor zu berufen, keinesfalls einen Einzelfall dar. Allenthalben wird versucht, die Hausmacht der Hochschulleitung gegen die Autonomie der Fächer zu behaupten.

Die schöne Theorie

Formal scheint der Fall klar geregelt: Wird an einer Hochschule eine Professur frei oder ist erkennbar, dass sie demnächst neu besetzt werden muss, ist darüber zu entscheiden, ob die Stelle für das gleiche oder ein anderes Fach verwandt werden soll, ob sie gestrichen oder einem anderen Forschungsgebiet innerhalb des selben Instituts zugeordnet wird. Nach dem Berliner Hochschulgesetz [2] entscheidet hierüber das Kuratorium der Universität auf Vorschlag des Akademischen Senats, zwei Organe also, die als Träger der gemeinsamen akademischen Selbstverwaltung fungieren. Im Falle des Kuratoriums werden an der Entscheidung auch Mitglieder der Landesregierung, des Parlaments und andere gesellschaftliche Repräsentanten beteiligt. Ist auf diese Weise über die Verwendung der Stelle entschieden worden, wird sie öffentlich ausgeschrieben.

Auf der Grundlage der nun eingehenden Bewerbungen oder eigener Suchbemühungen wird von einer Berufungskommission eine Liste geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten zusammengestellt, die für eine Besetzung der Stelle in Frage kommen. Dabei soll die rechtzeitige Beteiligung der Frauenbeauftragten gewährleisten, dass Bewerbungen von Frauen, die an deutschen Hochschulen noch immer viel zu selten vorkommen, in jeder Stufe des Verfahrens berücksichtigt werden. Die Vorschlagsliste wird dann von den Entscheidungsgremien des Faches, in der Regel dem Fakultäts- oder Fachbereichsrat, beschlossen und mit einer Stellungnahme des Akademischen Senats vom Präsidenten der Hochschule an den zuständigen Minister weitergereicht. In Berlin ist das der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner (SPD) [3]. Erhebt dieser keine Einwände, erteilt er dem oder der auf der Berufungsliste Erstplatzierten den Ruf. Nimmt dieser bzw. diese den Ruf an, beginnen die Berufungsverhandlungen mit der Hochschulleitung und dem Dekanat des jeweiligen Fachbereichs, deren Ergebnis – bestimmte Zusagen der Universität über die Ausstattung des Lehrstuhls, die Bedingungen der Beschäftigung usw. – in der Berufungsvereinbarung niedergelegt werden. Das Berufungsverfahren endet mit der Ernennung der oder des Erstplatzierten durch den Präsidenten der Hochschule.

Folgt die Erstplatzierte dem Ruf nicht oder scheitern die Berufungsverhandlungen, wird dem Zweitplatzierten der Ruf erteilt usw. Ist der Fachbereichsrat mit der Berufungsempfehlung seiner Berufungskommission nicht einverstanden, widerspricht der Senator der Berufungsliste oder nimmt keiner der Erwählten den Ruf an, wird das Verfahren neu ausgeschrieben und beginnt von vorne. Soweit, so klar...

Aber marktgerecht?

„Warum so kompliziert?“, könnte man fragen. „Wenn da eine gute Frau ist, die wir für die Universität gewinnen wollen, dann muss man in der Lage sein, ihr sofort ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen kann.“ –

Mit solchen Vorstellungen spricht der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Christoph Markschies, in Zeiten, in denen sich die Hochschulen vor allem über ihr Abschneiden in Hochschulrankings definieren und in der Bildungspolitik ganz auf Wettbewerb und Profilbildung gesetzt wird, vielen Wissenschaftlern aus dem Herzen. Vor allem aber seinen Amtskollegen. Die Hochschulpräsidenten fordern seit langem von den Landesministern das Berufungsrecht für sich heraus und gegenüber den Fächern mehr Einfluss bei der Auswahlentscheidung. So heißt es auch im aktuellen Rechenschaftsbericht [4] des Präsidiums der Freien Universität Berlin:

International wettbewerbsfähig wird indessen nur ein Berufungsverfahren sein, das ohne politische Einwirkung in der Hand der Hochschulleitung liegt und auf der Grundlage der Expertise aus den Disziplinen durchgeführt wird.

Allerdings dient das aufwändige Berufungsverfahren an den deutschen Universitäten einem anderen Zweck als nur der Sicherung eines unmittelbaren, meist kurzlebigen Marktvorteils für die eigene Hochschule.

Angesichts der zentralen Bedeutung der auf Lebenszeit berufenen Hochschullehrer für die Aufrechterhaltung des Forschungs- und Studienbetriebs, die Entwicklung der Hochschule und das Überleben bestimmter Schulen bzw. wissenschaftlicher Lehrauffassungen ist nicht nur eine sorgfältige Auswahl der Lehrstuhlinhaber erforderlich. Mit der Neubesetzung einer Professur verbinden sich auch vielfältige Interessen, Begehrlichkeiten und Erwartungen. Dabei stehen nicht nur andere Kollegen oder Mitbewerber auf dem Plan, auch Studierende und die Hochschulleitung machen ihren – zugegeben sehr verschiedengewichtigen – Einfluss geltend, gelegentlich sogar die Politik. Daher soll das strenge und förmliche Verfahren vor allem einen Rahmen für die Beteiligung der verschiedenen Interessenträger vorgeben und Transparenz herstellen.

Von dieser Politik des Interessenausgleichs sollen eigentlich alle ihren Vorteil ziehen. Vor allem aber soll der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit [5] genüge getan werden. So liegt die Entscheidungsgewalt über die Verwendung der Stelle bei den zentralen Gremien der Universität oder der Hochschulleitung, während die Personalentscheidung primär von dem Fachbereich getroffen wird, dem die Stelle zugeordnet ist. Dadurch wird einerseits der Planungsautonomie der Hochschule als ganzer und andererseits der wissenschaftlichen Autonomie des Faches zu eigener Schwerpunktsetzung und Fortentwicklung entsprochen. Zugleich soll über die Interventionsmöglichkeit des Wissenschaftsministers eine politische Rückbindung an Staat und Gesellschaft bestehen bleiben, welche die Hochschulen finanziell tragen.

Der Fall Scharenberg

Die Vermutung liegt nahe, dass durch dieses Verfahren nur wenig unkonventionelles oder gar nonkonformistisches Geistespotential auf deutsche Lehrstühle gelangt. Man muss nicht erst die gern verwendete Floskel vom Brain Drain [6] hoffnungsvoller Wissenschaftler ins zumeist englischsprachige Ausland bemühen, um zu begreifen, dass eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland an vielen Ecken anhaken kann. Davon abgesehen geht auch die Realität oft an der „schönen Theorie“ vorbei, wie gegenwärtig der Fall Scharenberg an der Freien Universität Berlin (FU) zeigt.

Dr. Albert Scharenberg ist Historiker und Politologe. Als Nordamerika-Spezialist ist er seit Jahren Lehrbeauftragter für Politik und Amerikastudien am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin [7] und Redakteur der renommierten Blätter für deutsche und internationale Politik [8]. Bereits drei Monographien hat der Verlag Westfälisches Dampfboot [9] von Scharenberg herausgebracht. Selbst die Einführungsvorlesung im Nordamerikastudiengang hat er gehalten. Alles in allem sind das gute Voraussetzungen für eine Bewerbung auf die Juniorprofessur für die Politik Nordamerikas mit dem Schwerpunkt Innenpolitik der USA. So sah es auch die neunköpfige Berufungskommission des Instituts unter dem Vorsitz von Prof. Margit Mayer, die Scharenberg nach Sichtung von ein paar Dutzend Bewerbungen, Anhörung von sechs Favoriten und Einholung zweier externer Gutachten auf Platz eins ihrer Berufungsliste setzte. Der Fachbereichsrat der Politik- und Sozialwissenschaften bestätigte die Liste und übergab sie dem Präsidium der Universität zu Weiterleitung an den Wissenschaftssenator. Das war im Januar 2007. Scharenberg war 41 Jahre alt und guter Dinge.

Dann aber geschah lange Zeit nichts. Erst wenige Tage nach Scharenbergs 42. Geburtstag im Mai 2007 ging bei der Dekanin des Fachbereichs ein vom Ersten Vizepräsidenten der FU, Prof. Klaus W. Hempfer, seines Zeichens Experte für französische und italienische Literatur, unterzeichnetes Schreiben ein, mit dem das Präsidium nach mehr als einem Jahr ein Berufungsverfahren stoppte, für das angesichts der Lehrengpässe am Institut Eile geboten war. Das Präsidium teilte darin mit, dass es sich entschlossen habe, die Kandidatenliste nicht an den Wissenschaftssenator weiterzureichen. Es empfehle statt dessen eine Neuausschreibung der Juniorprofessur.

Zur Begründung heißt es in dem durch Presseberichte [10] bekannt gewordenen Schreiben, der Erstplatzierte (also Scharenberg) sei „im Hinblick auf sein Lebensalter in keiner Weise ausreichend wissenschaftlich qualifiziert, um auf Exzellenzniveau in einem Bereich mitzuarbeiten, der als bisher einziger im Exzellenzwettbewerb erfolgreich war.“ Komisch nur, dass die Hochschulleitung diese Einschätzung so viel besser treffen konnte als die Berufungskommission, deren Mitglieder ja vorwiegend der vom Wissenschaftsrat für exzellent befundenen und daher im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten „Graduate School of North American Studies“ angehören.

Kollegen, die in Berufungskommissionen viel Zeit und Arbeit investieren, fühlen sich durch solche Entscheidungen mehr als nur vor den Kopf gestoßen. Die Verfahren sind so definiert, dass hier fachlich abgewogen und gemessen am Bedarf der Institutionen eine Liste von Leuten zusammengestellt wird, die für tauglich gehalten werden. Und damit meine ich tatsächlich tauglich, wir suchen keine Notlösungen. Schließlich ist es unser Anliegen gewesen, die Institutionen langfristig und kurzfristig am Leben zu erhalten. Da ruft es schon, sagen wir Irritationen hervor, wenn diese Arbeit durch einen Brief des Präsidenten zur Makulatur werden soll.

So denkt man in der Berufungskommission über die Sache, aber nur anonym. Denn seinen Namen will keiner nennen – es werden dienstrechtliche Konsequenzen befürchtet.

L'université c'est moi

Nicht ohne Grund, denn die Kritik geht an die Adresse von FU-Präsident Prof. Dieter Lenzen, der zugleich als Dienstherr fungiert. Der Erziehungswissenschaftler ist für seinen rigiden Führungsstil bekannt. Erst kurz vor Weihnachten 2006 ordnete er per Kabinettsbeschluss schriftlich und ohne Vorverständigung mit dem betroffenen Fach den zwangsweisen Umzug des Instituts für Ethnologie an. Bis Ende Februar sollte es in ein kleineres, nur halb benutzbares Gebäude verlegt werden, weil das bisherige Institutsgebäude von der FU der gebührenpflichtigen „Deutschen Universität für Weiterbildung“ kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte.

Auch in Personalfragen ist Lenzen für seine Alleingänge bekannt. 2005 machte er im Berufungsverfahren zur Besetzung des Lehrstuhls für journalistische Praxis mehrfach seinen Einfluss geltend, um Wolfram Weimer, den Chefredakteur des Potsdamer Magazins Cicero [11], auf der Berufungsliste zu platzieren. Mann kennt sich halt – schließlich darf Lenzen in dem Politmagazin des öfteren als Autor tätig sein. Kurzerhand kassierte er die Berufungsliste, die statt Weimer einen Wissenschaftler favorisierte. Zu dessen Berufung kam es indes nicht; Weimer zog seine Bewerbung zurück.

Im Falle Scharenbergs waren es wohl keine persönliche Gewogenheit, die zur Intervention des Präsidiums Anlass gaben – eher das Gegenteil. Dabei sieht die Grundordnung der FU [12] für das Präsidium, das abweichend vom Berliner Hochschulgesetz an Stelle des Akademischen Senats sogar über die Zweckbestimmung der Professorenstelle entscheiden darf, nur dann eine Einspruchmöglichkeit in Berufungsverfahren vor, wenn die Berufungsliste als rechtswidrig zu beanstanden ist.

Gegenüber der Berliner Zeitung berief sich ein Sprecher der Hochschulleitung auch just auf diese Kompetenz. Nur, welcher Rechtsfehler sollte hier vorliegen? Ein fehlerhaftes Alter? Wohl kaum. Selbst für Juniorprofessuren macht § 102a des Berliner Hochschulgesetzes [13] das Alter der Kandidaten explizit nicht zur Voraussetzung. Und auch andere Juniorprofessorinnen und -professoren an der FU sind bei ihrer Einstellung deutlich älter als 40 Jahre gewesen.

Worum es wirklich geht, wird klar, wenn man den Namen des Erstplatzierten in die Suchmaske bei Google eingibt. Scharenberg ist nämlich nicht nur als Hochschuldozent und Nordamerikaspezialist tätig, sondern publiziert auch zu linker Parteienpolitik in Deutschland. Zudem und vor allem aber ist er Mitglied im Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung [14], die bekanntlich der Linkspartei nahe steht. Im Präsidium der FU gilt das offensichtlich nach wie vor als Einstellungshindernis. Doch ist es weder Aufgabe der Hochschulleitung, die Eignung des Bewerbers dahingehend zu überprüfen, ob dieser sich im Sinne des Beamtenrechts [15] jeder Zeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen wird, noch können angesichts des nachweislichen Engagements Scharenbergs hierüber Zweifel bestehen.

Die Fachgremien haben sich daher klar hinter den Politologen gestellt. Sowohl der Fachbereichsrat als auch der Institutsrat bestätigten im Juli die Berufungsliste mit Scharenberg als Erstplatzierten und verlangen vom Präsidium nun definitiv deren Weiterleitung an Senator Zöllner. Der hat sich inzwischen mit einem Schreiben an die Hochschule gewandt, in dem er über den Stand des Verfahrens Aufklärung verlangt. Unterdessen sammeln Wissenschaftler aus aller Welt Unterschriften für einen offenen Protestbrief [16] an FU-Präsident Lenzen. Einigen Hochschullehrern der FU, die den Aufruf unterstützen, dürfte dabei auch noch ein ähnlicher Fall am Friedrich-Meinecke-Institut [17] in Erinnerung sein. Lenzen hat in letzter Zeit häufiger entschieden, Berufungslisten nicht an den Senator weiterzuleiten, auch ordentliche Professuren betreffend.

Politische Seilschaften

Für ihre Bemühungen um die Entbürokratisierung der Hochschule und für ihre effiziente Hochschulleitung wurde die FU im November 2006 zur "unternehmerischsten Hochschule" Deutschlands [18] gekürt. Verliehen hat ihr diesen Titel der neoliberale Thinktank Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft [19], als deren Berater auch FU-Präsident Lenzen fungiert. Die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete und von weiteren Wirtschaftsverbänden sowie Unternehmen getragene PR-Agentur verfolgt in erster Linie das Ziel, die Bevölkerung von wirtschaftsliberaler Reformpolitik zu überzeugen. Ihr beeindruckender Erfolg (vgl. Lautsprecher des Kapitals [20]) macht sie nicht nur zum politischen Kontrahenten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auch die gewerkschaftsnahe Boeckler-Stiftung fühlt sich ins Schussfeld gedrängt (vgl. Speth: Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft [21]).

Ob die Linkspartei, deren Mitglied Scharenberg im Übrigen nicht ist, nun in Berlin regiert oder nicht – es dürfte unter den Hochschullehrern an den Universitäten Berlins noch so manchen „Kalten Krieger“ geben, der für Lenzens Intervention herzliches Verständnis aufbringen kann. Und zwar wegen Scharenbergs Nähe zur politischen Linken und weil die offizielle Ablehnungsbegründung des Präsidiums so gar nichts damit zu tun haben scheint.

Zur Illustration sei hier die Belehrung eines Professors der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) wiedergegeben, die sonst nicht als sonderlich konservativ bekannt ist. Dieser hatte in seiner Vorlesung über neuere Rechtsgeschichte am 24. Januar 2007 so en passant dem Auditorium seine Auffassung über die Eignung von wissenschaftlichem Personal eröffnet, was wenig später auf zahlreichen E-Mail-Verteilern die Runde machte:

Wissenschaftliche Qualität. Politische Einstellung. Passt der zu uns? Das sind übrigens die Kriterien für jede Einstellung. Irgendwo und überall. Ob sie Vorstand werden wollen eines Unternehmens oder sonstwas. Leistung, passt der politisch bei uns in die Landschaft. Drittens: Wie ist der menschlich, d.h. auf allen Ebenen können sie abgeschossen werden. Also ich verrate glaube ich kein Geheimnis, dass wir einen Vertreter der extremen Parteien von der Rechten wie von der Linken in dieser Fakultät mit größter Wahrscheinlichkeit nicht berufen würden. Das ist kein Geheimnis. Einen PDS-Mann würde ich nicht berufen. Das würde ich nicht machen. Gleich raus. Aber das würde ich nie sagen. Ich würde sagen, wissen sie, was der geschrieben hat – wissenschaftlich. Und wie schießt man jemand wissenschaftlich ab? [...] Ähnlich ist aber das Problem, dies aber nur ganz unter uns, in Bezug auf die Berufung von Frauen. Vor guten Frauen fallen wir auf die Knie. Wir fallen auf die Knie und sagen: Bitte kommen sie zu uns! Und dann haben sie das Problem, dass sich bei Bewerbungen Frauen bewerben, die die Qualität nicht haben. Ohne das laut zu sagen. Das wird zum größten Problem.

„Eine politische Auswahl gibt es bei uns nicht“

HU-Vizepräsident für Haushalt, Personal und Technik, Dr. Frank Eveslage, ärgert sich über solche Kollegen im eigenen Hause. Als Verantwortlicher für die Berufungsverhandlungen der Universität glaubt er es besser zu wissen. Zwar könne auch er über Personaleinzelangelegenheiten keine Auskunft geben, „aber so etwas wie eine politische Auswahl gibt es bei uns nicht.“ Ablehnende Entscheidungen hätten immer rein fachliche Gründe und würden stets zwischen Präsidium, Dekanat und Institutsleitung abgestimmt. Allerdings kommt Eveslage auch erst zum Abschluss des Berufungsverfahrens ins Spiel. Wer es nicht einmal bis zur Einladung zur Probevorlesung oder auf die Berufungsliste geschafft hat, bleibt auch ihm zumeist verborgen.

Deswegen wurden an der HU so genannte Senatsberichterstatter eingeführt. Sie gehören zumeist nicht der Fakultät an, die das Berufungsverfahren durchführt, und haben daher nur beratende Funktion. Sie sollen neben der Frauenbeauftragten auf die Einhaltung der Verfahrensregeln achten und darüber im Akademischen Senat und gegenüber dem Präsidium berichten. Zu diesem Zweck sind sie auch befugt, eigene Gutachten über die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber in Auftrag zu geben. Allerdings ist diese zentrale Qualitätskontrolle nicht unumstritten.

Die Senatsberichterstatter wurden eingeführt, um in Zweifelsfällen bereits im laufenden Verfahren auf die Einhaltung von Vorschriften und auf Fairnes zu achten. Damit soll einer Begünstigung unter Fachkollegen vorgebeugt werden. Auf diese Weise soll nicht immer erst reagiert werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Bisher blieben solche Aufgaben an den Frauenbeauftragten hängen. Eigentlich eine gute Idee, allerdings war die Entsendung von Berichterstattern nur für den Konfliktfall vorgesehen – z.B. auf Antrag eines Mitglieds der Berufungskommission. Der Präsidenten hat sie jedoch zum Standard erhoben. Ich sehe schon die Gefahr, dass er auf diese Weise versucht, auf die Verfahren Einfluss zu nehmen, nicht nur aus Sorge um die Einhaltung von Formalien. Zumal gegenwärtig er die Senatsberichterstatter auswählt, nicht der Akademische Senat.

Peter Hartig, studentisches Mitglied im Akademischen Senat der HU

Das Kreuz mit dem Alter

Die Humboldt-Universität hat ihre ganz eigenen Erfahrungen mit jenem Argument gemacht, das FU-Präsident Lenzen gegen Scharenberg anführt: 2006 sollte eine Berufungskommission der Theologischen Fakultät eine geeignete Besetzung für eine Juniorprofessur im Fach Systematische Theologie finden. Auf einer ersten Berufungsliste nominierte die Kommission auf den ersten zwei Plätzen Frauen, auf dem dritten ein Mann. Dann geschah etwas, was das Findungsergebnis über den Haufen warf – die Kommission machte sich die Auffassung zueigen, Bewerber für eine Juniorprofessur sollten das 35. Lebensjahr nicht überschritten haben. Damit waren die zwei Wissenschaftlerinnen plötzlich wieder aus dem Rennen. Eine zweite Ausschreibung brachte offenbar die gewünschten Ergebnisse: Der zunächst Drittplatzierte rutschte auf Platz zwei und auch für die übrigen Plätze wurden noch zwei Herren gefunden.

Die ursprünglichen Favoritinnen waren gleich doppelt ausgeknockt – als Frau und als zu alt. Da die Juniorprofessur auf die Vorbereitung einer Habilitation zielt, wird durch die Altersschranke ausgedrückt, die Frauen seien zu alt, als dass noch eine wissenschaftliche Qualifizierung von ihnen erwartet werden könne. Dass es in der Biographie von Frauen mitunter zu Verzögerungen in der Karriere kommt, die eine andere Beurteilung auch ihrer Forschungskapazitäten erforderlich macht als bei männlichen Kollegen, ist zwar nicht neu, wird aber gerne unter dem Deckmäntelchen der Gleichheit versteckt. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz ist das kaum zu vereinbaren. Komisch auch, dass der in der zweiten Runde von der Berufungskommission auf Platz eins gesetzte Bewerber bereits habilitiert war, also für eine Juniorprofessur völlig überqualifiziert ist.

Das vermochte auch die Senatsberichterstatterin nicht zu verhindern – vielleicht, weil sie mit dem Ergebnis ganz zu gut leben konnte. Auch das Präsidium der HU intervenierte nicht. Erst die Senatsverwaltung stoppte das Verfahren, verweigerte die Berufung des Erstplatzierten und forderte eine Neuausschreibung unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bewerbungen. Sie begründete die Maßnahme in einer auf den Fall Scharenberg übertragbaren Weise:

Eine Altersgrenze von 35 Jahren für die Besetzung einer Juniorprofessur hat keine Grundlage im Berliner Hochschulgesetz und kann deshalb auch nicht zur Begründung einer Entscheidung herangezogen werden. [...] Da eine Altersgrenze von 35 Jahren für sich genommen nicht vorgesehen ist, stellt sich die Entscheidung, die beiden Kandidatinnen nicht zu berücksichtigen, als verfahrensfehlerhaft dar. Wäre eine solche Altersgrenze nicht zugrundegelegt worden, wäre die endgültige Entscheidung möglicherweise anders getroffen worden.

Staatssekretär Dr. Hans-Gerhard Husung im Schreiben vom 21. September 2006

Inzwischen gibt sich die HU lernfähig. Auf den Fall Scharenberg an der FU angesprochen, erklärt HU-Pressesprecherin Christine Schniedermann, für die Universität gäbe es keine von § 102a BerlHG abweichenden Kriterien für Juniorprofessuren. Zwar würden eher junge Menschen für solche Stellen gesucht, aber das sei kein Auswahlkriterium. Dies zeige auch das breite Altersspektrum unter den Juniorprofessoren an der HU von Anfang 30 bis Ende 40:

Wenn Sie über das Alter von Wissenschaftlerinnen reden, müssen Sie auch immer Mutterschaftszeiten berücksichtigen.

Wer hat, der hat...

Für hochspezialisierte Wissenschaftler stellt die Nicht-Berufung nicht selten ein ernsthaftes Problem in der Lebensplanung dar. Denn entweder sie qualifizieren sich rechtzeitig auf einem anderen Themengebiet oder riskieren das Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere. Schließlich werden die viel begehrten Professuren auf Lebenszeit nur selten neu besetzt – wenn überhaupt. Demgegenüber arbeitet das wissenschaftliche Personal mit Zeitverträgen, die in der Regel nur zwei Mal verlängert werden können. Wer mit der Habilitation den Höhepunkt seiner fachlichen Qualifizierung erreicht hat, kann zwar als Privatdozent über die Runden kommen, bleibt aber oftmals auf Nebenverdienste angewiesen.

Auf diese Weise kann selbst hochqualifizierten Koryphäen ihres Fachs ein eigener Lehrstuhl auf Dauer verwehrt bleiben. Der inzwischen emeritierte Politikwissenschaftler Prof. Frank Deppe von der Universität Marburg hält das für ein typisch deutsches Problem.

In den USA haben es selbst in zutiefst konservativen Zeiten kritische Köpfe auf die Lehrstühle des Landes geschafft. Denken Sie nur an die Vertreter des Poststrukturalismus. Auch unter der Regierung Thatcher gab es in Großbritannien immer linke Köpfe an den Universitäten. Bedingt durch das Stiftungsrecht hat das vor allem mit der größeren Autonomie der Hochschulen im anglo-amerikanischen Kulturkreis zu tun. Denn nicht nur die Universitäten selbst haben dort viel mehr Rechte gegenüber dem Staat. Auch innerhalb der Hochschulen ist bspw. der Einfluss der Dekane sehr viel größer als der der Hochschulleitung. Es kommt dann nur darauf an, jemanden zu finden, der dich finanziert. Dort heißt es: Du musst gut sein, selbst wenn du links bist. Dann hast auch du eine Chance. In Deutschland ist das kein maßgebliches Kriterium für die Frage danach, wer eine Professur bekommt und wer nicht.

Das bekam auch sein Kollege Dr. Alex Demirovic zu spüren, der sich 2002 auf eine Soziologieprofessur in Frankfurt a.M. bewarb. Zwei Mal wurde das engagierte Mitglied des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) [22] vom Fachbereich für Gesellschaftswissenschaft mit großer Mehrheit auf Platz 1 der Berufungsliste gesetzt. Doch Präsident Prof. Rudolf Steinberg war dieser beinahe letzte Vertreter der Frankfurter Schule [23] samt seiner kritischen Schriften zum neoliberalen Umbau der Hochschulen (vgl. z.B. Wissenschaft als Privateigentum [24]) ein Dorn im Auge. Um Demirovic zu verhindern, argumentierte er zunächst, seine Berufung würde gegen das Verbot der Hausberufung verstoßen. Diese Regelung verbietet die Berufung von Bewerbern, die bereits Mitglied der Hochschule sind. Auf diese Weise soll der überregionale Austausch gefördert, die Chancen auswärtiger Bewerbungen, die gegenüber Hauskandidaten kaum Aussicht auf Erfolg haben, erhöht und vermieden werden, dass sich die Lehrstuhlinhaber ihre „Nachfolger“ selbst heranziehen.

Jedoch war Demirovic zum Zeitpunkt seiner Bewerbung schon länger an einer ganz anderen Hochschule tätig, was im Allgemeinen als ausreichend gilt. Das bestätigten nachträglich auch zwei Rechtsgutachten.

"Das war auch dem Präsidenten klar.“, erinnert sich ein früheres Mitglied des Fachbereichsrates: „Deswegen hat er auch seinerzeit mit einem Tatbestand argumentiert, den es gar nicht gab, nämlich einer Hausberufung im materiellen Sinn. Damit konnte nur und war de facto gemeint, dass sich Demirovic bei seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht ausschließlich, aber eben doch auch deutlich der Kritischen Theorie verpflichtet fühlt."

Uni-Präsident Steinberg teilte dem Fachbereich brieflich mit, dass dieser Demirovic auf keinen Fall erneut für Platz 1 nominieren solle. Als der Fachbereich nach Einholung dreier weiterer vergleichender Gutachten an seiner Entscheidung festhielt und der Präsident nunmehr zur Weiterleitung der Berufungsliste an den Minister verpflichtet war, gab dieser seinerseits drei weitere Gutachten in Auftrag, die Demirovic offensichtlich eine mangelnde Eignung für die ausgeschriebene Professur bescheinigen sollten. Die Gutachter, darunter ein angesehener Soziologe aus München, schreckten selbst vor wahrheitswidrigen Behauptungen nicht zurück. So trug der Münchener Kollege vor, keiner der Kandidaten hätte jemals empirisch gearbeitet. Das war aber weder für die Professur entscheidend noch korrekt. Denn Demirovic war gut zehn Jahre am Institut für Sozialforschung beschäftigt und hatte dort auch an umfangreichen empirischen Untersuchungen teilgenommen.

Zusammen mit einem negativen Votum des Akademischen Senats und den Gegengutachten des Präsidenten gelangte die Liste schließlich doch noch zum CDU-geführte Wissenschaftsministerium. Mit zahlreichen Briefen ausländischer Kollegen sollte bis zuletzt auch die von Steinberg bestrittene Internationalität Demirovics nachgewiesen werden. Unter den Petenten fanden sich namhafte Wissenschaftler wie Judith Butler, Wendy Brown, Bob Jessop, Nancy Fraser, Iris Young, mehrere Wissenschaftler aus Brasilien, Türkei, Japan und Kanada. Doch auch das hatte letztlich keinen Erfolg. Das damals für die Berufung von Hochschullehrern noch zuständige Ministerium lehnte Demirovics Berufung ab. Inzwischen werden in Hessen die Professoren nur noch von den Hochschulleitern berufen (vgl. Demirovic: Demokratische oder autokratische Hochschule [25]

Am Ende kann man nur sagen: Wer hat, der hat. Mittlerweile fährt die Hochschulleitung nach China, wird auf die Frankfurter Schule angesprochen, aber es gibt hier niemanden mehr, der das fachlich noch vertreten würde. So fragt sie dann plötzlich Wissenschaftler ganz anderer Herkunft zur Rettung des internationalen, längst vergangen Rufs der Universität, etwas in diese Richtung zu tun. Das ist wirklich bürokratisch von oben her gedacht, so als würde man einem Marxisten sagen, er solle sich in seiner Forschung die neoliberale Sozialstaatskritik von Hayeks zu eigen machen.

Eine Dozentin

Der kritische Geist erstickt

Politisch motivierte Personalpolitik wie diese zielt selten allein gegen die Personen, deren Berufung als Hochschullehrer verhindert werden soll. Oftmals sind es die dahinter stehenden wissenschaftlichen Ansätze, Konzepte und Schulen, die dem Establishment missfallen. Waren es im Fall Demirovic die kritischen Ansätze der Frankfurter Schule, sind es an der Universität Marburg die neogramscianischen Forschungsansätze zur Internationalen Politischen Ökonomie (vgl. zur Einführung Christoph Scherrer: Internationale Politische Ökonomie [26]) und die von Wolfgang Abendroth begründete kritische Analyse des globalen Kapitalismus. Zwei Forschungsschwerpunkte, welche die wissenschaftliche Karriere von Prof. Frank Deppe vom Marburger Institut für Politikwissenschaft neben anderen Themengebieten maßgeblich prägten und die er zusammen mit seinem Kollegen, Juniorprofessor Dr. Hans-Jürgen Bieling, zur Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) [27] ausbaute.

Als 2006 an dem Institut ein Generationenwechsel anstand, waren vier Professuren neu zu besetzen, darunter auch die Nachfolge von Deppe, mit der eine Fortsetzung der Arbeit des FEI sichergestellt werden sollte. Berufungskommission und Fachbereich einigten sich bei einer Gegenstimme auf eine Dreierliste. Der Erstplatzierte, ein an der Universität Nottingham tätiger Wissenschaftler, wurde von Uni-Präsident Nienhaus sogar zur Berufungsverhandlung eingeladen. Die für die Ausstattung der Professur zur Verfügung stehenden Mittel waren aber so gering, dass sie mit der Konkurrenz kaum mithalten konnten. Eine Einigung gelang daher nicht. Der Erstplatzierte kehrte auf seinen Lehrstuhl in Nottingham zurück; wohl auch deswegen, weil die Berufungsverhandlung in einer „sehr unerfreulichen Gesprächs- und Verhandlungsatmosphäre“ geführt wurde, „die niemals den Eindruck aufkommen ließ, dass von Seiten des Präsidiums ein wirkliches Interesse an der Berufung dieses Wissenschaftlers nach Marburg bestünde.“

Immerhin gab es ja den Fall der letzten, vorangegangenen Berufung in der Politikwissenschaft, bei der der Erstplazierte der Liste ebenfalls ein ungenügendes Verhandlungsangebot ablehnen musste (wie er versicherte), während dem Drittplatzierten später ein [offenbar so günstiges – Anm.d.Red.] Angebot unterbreitet wurde, das den Erstplatzierten sogar zeitweilig zum Gedanken an eine Klage gegen die Philipps-Universität veranlasste. In diesem Fall lag auf jeden Fall die Vermutung nahe, dass die Universitätsleitung ihre Gründe hatte, den Erstplazierten nicht berufen zu wollen.

Aus einem Brief von Prof. Deppe an den Präsidenten der Philipps-Universität Marburg, Prof. Nienhaus

Eigentlich hätte nun die Aufnahme von Berufungsverhandlungen mit dem Zweitplatzierten, einem international gut vernetzten, thematisch qualifizierten und didaktisch begabten Wissenschaftler vom Wissenschaftszentrum Berlin, angestanden, zumal der Drittplatzierte zwischenzeitlich einen Ruf nach Frankfurt angenommen hatte. Statt dessen aber beschloss die Universitätsleitung, den ehemals von Deppe geleiteten Lehrstuhl komplett zu streichen und die dadurch frei werdenden Mittel als Verfügungsmasse für die Ausstattung der drei anderen Lehrstühle zu nutzen.

Späte Rache für '68

An diesem Verfahren ist zwar formal nichts auszusetzen, weil der Fachbereich regelmäßig keinen Anspruch darauf hat, dass eine freigewordene Stelle wieder auf gleiche Art verwendet wird. Allerdings steht die Entscheidung über die Verwendung der Stelle am Anfang jedes Berufungsverfahrens und legt sich die Hochschule mit der Ausschreibung einer Professur auch einklagbar auf die veröffentlichte Stellenstruktur fest. Eine Verwendungsentscheidung zugunsten der Nachfolge Deppes hatte es zu Beginn des Verfahrens gegeben. Die nachträgliche Streichung begründete Präsident Nienhaus – ähnlich seinem Kollegen Lenzen im Fall Scharenberg an der FU Berlin – damit, dass „die Ergebnisse des bisherigen Berufungsverfahrens [...] unter Qualitätsmerkmalen einer Prüfung nicht standhalten.“ Alles spricht indes dafür, dass die Streichung der Professur weniger aus kapazitären Gründen erfolgte als aus inhaltlichen. Der Wirtschaftswissenschaftler Nienhaus möchte sich keinesfalls mit linken Federn schmücken, selbst wenn es die eigenen sind; er will sie loswerden.

Dass der Marburger Universitätspräsident in der kritischen Tradition, in der sein Institut für Politikwissenschaft seit Wolfgang Abendroth steht, kein Potential für eine offensive Profilbildung im internationalen Ideenwettbewerb sieht, sondern eher ein Makel im Wettlauf um Forschungsgelder und Renome, stellt sich für Prof. Deppe als allgemeiner Trend in der Geistes- und Sozialwissenschaft dar. Dieser Rollback sei auch als späte Rache für '68 zu verstehen, als mit der Öffnung der Universitäten und dem Neugründungsboom der Ära Brandt für eine kurze Zeitspanne immer mehr kritische Köpfe auf die deutschen Lehrstühle gelangten.

Dazu hat ohne Zweifel beigetragen, dass die Einflussnahme der Studierenden und Assistenten auf die Berufungsverfahren und -entscheidungen im Zuge der Hochschulrevolte stetig stieg, was das Bundesverfassungsgericht 1973 in einer Grundsatzentscheidung [28] dazu veranlasste, für alle Berufungsfragen eine besondere Mehrheit unter den Hochschullehrern vorzuschreiben. Auf diese Weise können die Professoren von den anderen Universitätsmitgliedern nicht mehr überstimmt werden.

Freiheit der Wissenschaft und politische Steuerung

Angesichts solcher Beispiele erscheint die Forderung der Hochschulpräsidenten nach dem Berufungsrecht kaum als Fortschritt für die Hochschulautonomie, noch weniger für eine autonome Wissenschaft. Einige Bundesländer haben diesem Verlangen auch schon stattgegeben. Keinesfalls sind die Landesministerien frei von politischer Einflussnahme. Im Gegenteil, die Auseinandersetzungen in Berufungsfragen zwischen den Berliner Universitäten und den Wissenschaftssenatoren Manfred Erhardt und Peter Radunski in der Nachwendezeit sind legendär.

Allerdings passt sich die Forderung der Hochschulpräsidenten in einen Prozess umfassender Hochschulumstrukturierung ein, in dem die deutliche Tendenz besteht, die aufwändigen demokratischen Institutionen der akademischen Selbstverwaltung zugunsten von autoritären, marktorientierten Managementmodellen aufzugeben, die den Universitätspräsidien umfassende Handlungsspielräume selbst bei der Definition dessen einräumen, was in Zeiten knapper Kassen auch zukünftig als Wissenschaft förderungs- und damit überlebenswert gilt. Die Betroffenen werden dadurch von der Wahrnehmung ihrer Interessen ausgeschlossen.

Zwar erscheint der Verzicht der Wissenschaftsministerien auf eine Einmischung in die Berufungspolitik der Hochschulen zunächst als ein Gewinn an Hochschulautonomie. Diese ist aber nicht als Wert für sich zu verstehen, sondern steht im Dienste der Wissenschaftsfreiheit, die nicht nur die Institution Universität als Ganzes schützt, sondern vor allem die Tätigkeit ihrer Mitglieder. In Berufungsfragen können sich daher auch weniger die Hochschulpräsidenten auf die Wissenschaftsfreiheit berufen, als die Fachbereiche und Institute, deren Arbeit und Überleben von der Wiederbesetzung ihrer Stellen abhängt. Daher genießt auch deren Entscheidung, wer worüber wo forschen können soll, einen höheren Grundrechtsschutz.

Ein Eingriff in diese Freiheiten, wie es die Beanstandung oder Korrektur einer Berufungsliste darstellt, bedarf daher besonderer Legitimation und muss einem vorrangigen öffentlichen Zweck entsprechen. Eine Berechtigung des Staates und der für ihn handelnden Ministerien ergibt sich bereits daraus, dass dieser die meisten Professuren finanziert. Zudem sind auch die Hochschulen gesellschaftlichen Bindungen unterworfen. Daher kann man zwar an der politischen Einflussnahme durch die Ministerien berechtigte Kritik erheben, demokratietheoretisch sind diese dazu aber sehr viel eher dazu legitimiert als irgendein Universitätspräsident.

So geht denn auch das Bundesverfassungsgericht BVerfGE 15, 256, 264 f. [29] davon aus, dass aufgrund der Verfassung „bei der Besetzung von Lehrstühlen das Vorschlagsrecht der Fakultäten und das staatliche Berufungsrecht miteinander verbunden sind.“

Der entscheidende Grundgedanke ist dabei, dass zwei Willensfaktoren bei einem Akt beteiligt sind, um in wechselseitiger Korrektur dessen größtmögliche Sachrichtigkeit zu erzielen. Dass das Grundgesetz hieran etwas hat ändern wollen, ist schon im objektiven Interesse der Forschung und Lehre selbst, aber auch der unverändert fortbestehenden Verantwortung des Staates für die Förderung der Wissenschaft, die Erziehung und auf dem Gebiet der Finanzen nicht anzunehmen.

BVerfGE 15, 256, 264 f. [30]

Daraus ergibt sich, dass zwar den Fakultäten bzw. Fachbereichen kein unbeschränktes Berufungsrecht zusteht, andererseits aber auch der Staat bei der Berufung von Hochschullehrern keineswegs frei ist. Vielmehr stellt der Berufungsvorschlag der Hochschule einen maßgeblichen Willensakt dar, von dem nach der Rechtsprechung (z.B. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.08.1982, Az.: 2A 181/76) nur aus schwerwiegenden Gründen abgewichen werden darf.

Zum anderen aber ist den Universitätspräsidien über eine Mitwirkung bei der Entscheidung über die Verwendung frei werdender Stellen hinaus auch verfassungsrechtlich kein eigenständiger Entscheidungsspielraum eingeräumt. Solange also die Präsidenten der Hochschulen nicht durch die Bevölkerung gewählt werden, stellt die Übertragung des Berufungsrechts auf diese eine unzulässige Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit der Fachbereiche dar und würde sich der Staat auf verfassungswidrige Weise wesentlicher Kernaufgaben entledigen.

Von den USA lernen

Schlechte Aussichten also für die Schnell- und Alleinentscheider in den deutschen Hochschulpräsidien, die ihre Einflussnahme nicht selten damit begründen, dass Personalentscheidungen über Professuren immer auch die Außendarstellung der Hochschule und damit ihren Verantwortungsbereich beträfen. Auch wenn es dabei meist ganz und gar nicht um große Personalpolitik geht, sondern um reine Gefälligkeiten. So mancher Mitarbeiter am Winckelmann-Institut der HU mag da an das ungewöhnlich starke Engagement seines Präsidenten denken, eine ganz bestimmte Frau auf einen Spitzenplatz der Berufungsliste zu setzen. Und wenn man den Flurgesprächen glauben darf, handelt es sich bei dieser nicht ganz zufällig um die Assistentin eines sehr guten Präsidentenfreundes. Wie schön, dass nicht jeder Skandal politisch motiviert ist.

Geschichten wie diese hört man hinter vorgehaltener Hand landauf, landab. Die Kette der Beispiele könnte fortgesetzt werden. Die meisten der hier beschriebenen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Die Hochschulleitungen können sich eines Besseren besinnen. Die Scientific community sollte dies einfordern und tut dies gelegentlich auch. Oftmals aber ist sie im Elfenbeinturm viel zu weit entfernt vom Leben der anderen. Gute Bedingungen für autoritäre Personalpolitik.

Es wäre wirklich notwendig, etwas mehr Rationalität in die Nachwuchsrekrutierung an deuschen Universitäten zu bringen. So vieles wird aus den USA übernommen, leider nicht das dortige Muster der Nachwuchsgewinnung. Dies öffnet mittlerweile einer ideologischen Machtpolitik Tür und Tor, die oftmals wissenschaftsferner nicht mehr sein kann. Aber wahrscheinlich gilt dies auch für andere gesellschaftliche Bereiche.

Alex Demirovic

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