Der Sieg der Vulgarität
Seite 2: Kampf-Sport in der Konsensfabrik
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Was Sorrentino nie gelingt, ist eine tiefergehende Analyse seines Sujets. Es war schon immer der Fehler aller Berlusconi-Analysen - so wie jetzt im Umgang mit Trump -, dass alles an der Oberfläche verharrt. Ja, Berlusconi ist geschmacklos. Aber man kann den Erfolg des Politikers nicht damit erklären. Berlusconi wie Trump sind mehr Symptom tiefgreifender Veränderungen. Das ist der Clou des Titels.
In der postdemokratischen "Demokratie", der "demokratischen Fürstenherrschaft" (Danilo Zolo), die sich seit den 1980er Jahren zunehmend etablierte, wird Demokratie mehr simuliert, als praktiziert. Die Politiker sind von handelnden, also auch riskierenden Akteuren zu Performern, also Demokratieshowmastern degeneriert.
Sie agieren als Unternehmer, die Marken schaffen und Waren verkaufen - und so ist am besten erklärlich, dass es oft genug Unternehmer sind, die in höherem Alter - oder bei geschäftlichen Misserfolg um dessen Folgen aufzufangen - zu Politikern mutieren. Sie kapern eine darniederliegende Partei - wie Trump - oder gründen eine neue, die analog zu Unternehmen organisiert ist.
Der Bürger hat sich, keineswegs ohne eigenes Zutun, sondern in stillschweigender Billigung, aber auch ohnmächtig im Angesicht von Institutionen, die den (Schein-)Zwängen der sich ausbreitenden Marktlogik folgen, in einen Konsumenten verwandelt, der politische Kommunikation in den Medien nur noch apathisch rezipiert und als Unterhaltungsprogramm genießt. Als Kampfsport und Alternative zum Fußball.
Die Medien, die in der modernen Mediendemokratie als Arena dieses Programms agieren, fungieren als "Konsensfabrik" (Noam Chomsky), die diese Kommunikation filtert und in Kanäle gießt, an denen man konformistisch teilhaben kann und anderenfalls ausgeschlossen wird. Medien sind keineswegs "vierte Gewalt", sie haben vielmehr staatstheoretisch die institutionelle Funktion der Systemstabilisierung durch Teilhabe-Simulation.
Demokratie ist dann nur noch das erbauliche Spiel für die Bühne. Aber weder die wesentlichen Debatten, also das Denkzentrums des Gemeinwesens, noch dessen Willenszentrum, also die zentralen Entscheidungen, sind demokratisch motiviert. Mit Willensbildung der Bevölkerung hat das alles kaum etwas zu tun.
Eher gleichen die Polit-Konsumenten Kindern, die mal gutwillig-heiter, mal störrisch-quengelnd von den medialen Kindergärtnern in die jeweiligen Spielzimmer geführt werden. Infantilismus und Regression sind die passenden Begriffe, um ihr Verhalten und ihre Gewinnung, ihren Geisteszustand zu benennen.
Diese kleinen ängstlichen Kinder wählen andere Kinder, Maulhelden und Schulhof-Anführer, die klassischen Gescheiterten des Lebens und "destruktiven Charakter", um sich von ihnen regieren zu lassen. "Die allerdümmsten Kälber, wählen ihre Metzger selber."
Orgien & Kokain
Filmisch wirkt "Loro" etwas unausgewogen, ohne große Höhepunkte, eher wie eine Nummernrevue, die auch in der Redundanz, der Wiederholung des Immergleichen bestechen will. Auch das ist Marktlogik. Die Alternativlosigkeit auf ästhetische Form gebracht.
Es mag auch daran liegen, dass der Film in Italien in zwei Teilen von insgesamt fast vier Stunden Länge ins Kino kam, und man der auf zweieinhalb Stunden gekürzten internationalen Version mitunter eine gewisse Straffung und Kurzatmigkeit anmerkt. Zugleich gibt es minutenlange Passagen über die Zusammensetzung und Eigenschaften von MDMA, Orgien am Pool, kokainschnupfende Alte.
In Italien wurde der Film auch von Berlusconi-kritischer Seite nicht immer gemocht. Einen "Polit-Porno" nannte ihn ein Magazin. Das liegt daran, dass Sorrentinos Film vom Sieg und der Apotheose der Vulgarität handelt,und davon, dass Sex und Macht zumindest für einen bestimmten Typus alter Männer nicht mehr zu unterscheiden sind, sondern als ein Aphrodisiakum wirken. Noch viel besser als Viagra.
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