Der "Spiegel" unter Beschuss: Sind anonyme Quellen der neue journalistische Standard?
Der "Spiegel" steht in der Kritik. Die "Berliner Zeitung" wirft ihm unprofessionelle Berichterstattung vor. Was motiviert das Nachrichtenmagazin? Eine Analyse.
Zwischen der Berliner Zeitung und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel ist es zu einem offenen Schlagabtausch gekommen. Dabei geht es um mehr als nur um unterschiedliche journalistische Auffassungen. Die Chefredaktion und Herausgeber der Berliner Zeitung haben in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen den Spiegel erhoben. Der Disput betrifft sowohl die journalistische Branche in Deutschland als auch die politische Debatte im Allgemeinen.
Kritik am Umgang mit Andersdenkenden
Die Berliner Zeitung wirft dem Spiegel vor, in einem Artikel über den Verleger Holger Friedrich und den Berliner Verlag unter dem Titel "Die Alternativmedienmacher" unprofessionell und tendenziös berichtet zu haben. So wird kritisiert, dass der Spiegel frühere Mitarbeiter anonym zu Wort kommen ließ, die sich negativ äußerten, während Zitate von aktuellen Mitarbeitern, die nicht ins Bild passten, ignoriert wurden. Die Berliner Zeitung deutet dies als Diffamierung und sieht darin eine Verzerrung der Wahrheit.
Eine solche tendenziöse Berichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren in den etablierten Medien zunehmend verfestigt. Prominente Beispiele sind die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung, des Spiegels sowie öffentlich-rechtlicher Medien wie des NDR gegen den Frontmann der Band Rammstein, Till Lindemann.
Auch die Berichterstattung über ein nazistisches Flugblatt, das der Vorsitzende der Freien Wähler Bayern, Hubert Aiwanger, vor Jahrzehnten (!) in seinem Schulranzen mit sich geführt haben soll, sorgte für entsprechende Kritik.
In einigen dieser Fälle unterlagen die verantwortlichen Medien in folgenden Rechtsstreitigkeiten mit den diffamierten Personen des öffentlichen Interesses.
Eingeforderte Fairness und Transparenz
Der offene Brief der Berliner Zeitung nun betont, dass die Berliner Zeitung wiederholt auf den Spiegel zugegangen sei, um sachlich und umfassend zu informieren. Dieses Angebot sei vom Spiegel nicht angenommen worden.
Die Chefredaktion und Herausgeberschaft der Berliner Zeitung bemängeln, dass eine ehrliche Auseinandersetzung und transparente Berichterstattung nicht stattgefunden habe.
Vergangene Erfahrungen und Beschuldigungen
Die Auseinandersetzung scheint vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen der Berliner Zeitung mit der Berichterstattung des Spiegels zu stehen. Insbesondere wird auf die Berichterstattung über den Verleger und frühere Artikel hingewiesen, die als ungenau und persönlich diffamierend empfunden wurden.
Teil des Gegenschlags: Die Autoren des offenen Briefes werfen die Frage auf, ob die Affäre Claas Relotius oder die fehlerhafte Berichterstattung über Till Lindemann nicht womöglich Symptome eines strukturellen Defizits beim Spiegel seien.
Analyse des Spiegel-Berichtes
Auch Telepolis hat den Text des Spiegels einer kritischen Analyse unterzogen und mit geltenden journalistischen Standards abgeglichen. Das Ergebnis:
Die journalistische Aufarbeitung der Entwicklungen bei der Berliner Zeitung durch den Spiegel zeigt zwar eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik, lässt jedoch einige journalistische Standards vermissen. Vornehmlich ist die direkte Einbindung der Hauptakteure in dieser Analyse fragwürdig.
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Zwar werden die Verleger Holger und Silke Friedrich sowie Herausgeber Michael Maier thematisiert, jedoch fehlen direkte Zitate oder Interviews, die ihre persönlichen Perspektiven und Stellungnahmen unmittelbar wiedergeben. Stattdessen stützt sich der Artikel auf indirekte Zitate und öffentliche Äußerungen, was eine Distanz zwischen den Lesern und den Protagonisten schafft.
Die Quellen des Spiegels: anonym und aggressiv
Ein weiterer Kritikpunkt ist die starke Abhängigkeit des Artikels von anonymen Quellen. Zwar ist die Nutzung anonymer Zeugen in Fällen, in denen Personen Repressalien fürchten müssen, legitim und manchmal notwendig, sie kann jedoch die Objektivität und Ausgewogenheit der Berichterstattung einschränken.
Die Leserschaft muss sich hier auf die journalistische Sorgfalt verlassen, dass diese Quellen verlässlich und repräsentativ für das Geschehen sind. Das muss schon angesichts der Konkurrenzsituation der Medien infrage gestellt werden. Fraglich ist daher auch die journalistische Integrität des Autors Stefan Kuzmany.
Am Ende überwiegen die Defizite
Zugegeben, die die Darstellung im Spiegel-Artikel bietet zwar auch positive Stimmen Raum, jedoch überwiegt die kritische Betrachtung. Dies kann den Eindruck einer gewissen Einseitigkeit vermitteln. Zwar ist kritische Berichterstattung ein Kernstück des Journalismus, dennoch ist aus Gründen der Fairness eine gleichgewichtige Darstellung beider Seiten anzustreben.
Die Dokumentation von Fakten und die Transparenz, mit der diese präsentiert werden, sind im Artikel gut umgesetzt. Das trägt zwar zur Glaubwürdigkeit bei, gehört aber auch zum Standardrepertoire eines jeden Journalisten. Die Defizite des Textes – vor allem die fehlende direkte Kommunikation mit den Hauptakteuren – wird so nicht wettgemacht.