"Der Waffenstillstand muss überwacht werden"

Der FDP-Politiker und ehemalige Innenminister Gerhart Baum über seine Arbeit als UN-Sonderbeauftragter für den Sudan und die Perspektive des Bürgerkriegslandes, das derzeit nach der UN unter von einer der "schwersten humanitären Katastrophen der Welt" leidet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon seit einem Jahr kämpft die sudanesische Regierung gegen die Rebellegngruppen der Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) und des Justice and Equality Movement (JEM) in der Darfur-Region im westlichen Sudan ("Mit Ruanda zu vergleichen"). Viele der Menschen in der Region sind arm und leiden an Hunger. Die UN-Hilfsorganisationen können sie nicht mehr versorgen. Im Verlauf der Kämpfe wurden Tausende von Menschen getötet und über eine Million Menschen vertreiben. Über 100.000 Menschen sind bereits in den Tschad geflohen.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte warnte vor einem neuen Völkermord. Arabische Milizen der Janjawid-Gruppe sollen unter Deckung des Militärs ethnische Säuberungen durchführen, deren Opfer die schwarze Bevölkerung ist. Das UN World Food Programme (WFP) sprach am Dienstag nach der Rückkehr einer Expertengruppe, die die Situation vor Ort untersucht hat, von einer der "schwersten humanitären Katastrophen der Welt", unter der besonders Mädchen und Frauen leiden müssten. Pamela Delargy, Leiterin des Bevölkerungsfonds (UNFPA), sagt, dass auch hier wieder Vergewaltigung zu einer "Kriegswaffe" mit verheerenden Folgen für die Opfer geworden sei.

In die UN-Menschenrechtskommission wurde gerade trotz Protest der US-Regierung nach dreimaligen Anlauf der Sudan von der afrikanischen Gruppe gewählt. Der US-Delegierte Sichan Siv hatte die Kandidatur eines Landes kritisiert, das Menschen hinschlachte und in dem humanitäre Krise gewaltig sei. Das würde auch dem Ansehen der Kommission noch weiter schaden. Der sudanische Delegierte Omar Bashir Mohamed Manis entgegnet, dass die Regierung das humanitäre Problem erkannt und die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten habe. Er warf der US-Regierung vor, dass sie über Darfur "Krokodilstränen" vergieße, aber die Augen vor den Gräueltaten der eigenen Trupen im Irak verschließe.

Herr Baum, Sie waren von 2001 bis zum vergangenen Jahr Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (UN) für den Sudan. Spricht der Umstand, dass das Mandat nicht verlängert wurde nicht für eine Unterbewertung des sudanesischen Bürgerkrieges innerhalb der UN?

Gerhart Baum: In so absoluter Form kann man das nicht sagen. In der UN-Menschenrechtskommission hat eine Mehrheit gegen die Verlängerung des Mandats gestimmt - es war aber eine knappe Mehrheit. Der Sudan hat sich gegen meine Feststellungen gewehrt und behauptet, die Menschenrechtslage habe sich verbessert. Aus diesem Grunde ist das Mandat nicht fortgesetzt worden. Die Lage hat sich durch die Krise in Darfur in diesem Jahr deutlich verschärft und innerhalb der UN ist die Kritik am Sudan daraufhin deutlicher geworden. Das hat sich dann ja auch unlängst in dem Beschluss gezeigt, der von der Menschenrechtskommission gefasst wurde. Immerhin wird wieder eine Beobachtung der Ereignisse im Sudan empfohlen.

Welche Bilanz ziehen Sie denn aus den drei Jahren Ihrer Arbeit in den UN als Sonderberichterstatter?

Gerhart Baum: In dem Konflikt zwischen der Zentralregierung im Norden und den Rebellen im Süden des Landes sind erst unter dem massiven internationalen Druck Fortschritte gemacht worden. Seit 2002 besteht mit einem Waffenstillstandsabkommen zumindest die Aussicht auf den Abschluss eines formellen Friedensabkommens zwischen diesen beiden Lagern.

Die aktuellen Meldungen aus dem Sudan hören sich weniger optimistisch an.

Gerhart Baum: Das Problem ist derzeit, dass sich in der nordwestsudanesischen Provinz Darfur ein neuer Konflikt entwickelt hat.

Wie kann es sein, dass im Schatten von Friedensverhandlungen ein neuer Konflikt entsteht?

Gerhart Baum: Die Konfliktparteien haben zu wenig Aufmerksamkeit darauf verwandt, alle Regionen des Landes in den Friedensprozess einzubeziehen. Es fehlt das Verständnis dafür, dass dauerhafter Frieden nur möglich ist, wenn regionale Autonomie gewährt wird, Minderheitenrechte gewahrt werden und der Aufbau einer Zivilgesellschaft in Angriff genommen wird. Diese Aspekte sind bei den Friedensverhandlungen zu kurz gekommen, sie haben sich bisher vor allem auf einen Interessenausgleich zwischen Regierung im Norden und Rebellen im Süden beschränkt.

Sie haben die UN-Menschenrechtskommission in Genf angesprochen. In diesem Gremium herrschte tatsächlich einhellige Sorge über die Eskalation und die Flüchtlingsbewegungen in der Provinz Darfur. Trotzdem ist keine Resolution verabschiedet worden, sondern nur ein "Beschluss des Vorsitzenden". Wo liegt die Blockade?

Gerhart Baum: Es ist natürlich bedauerlich, dass keine schärfere Form der Verurteilung von Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen gefunden wurde. Aber dafür gab es keine Mehrheit. Das Resultat ist der kleinere Nenner, aber immerhin doch etwas mehr als nichts.

Wie kann es denn sein, dass Menschenrechtsbeauftragte der USA und der EU die Gewaltentwicklung beklagen, aber keine Resolution verabschiedet wird?

Gerhart Baum: Die Mehrheit war eben anderer Meinung. Dies ist Ergebnis einer fortschreitenden Schwächung der UN-Menschenrechtskommission. Generalsekretär Kofi Annan hatte diese Entwicklung schon im vergangenen Jahr beklagt. Er hat die Kommission ermahnt, ihre Aufgaben wahrzunehmen, nämlich die Opfer zu schützen.

Welche Gründe sehen Sie für die Schwächung?

Gerhart Baum: In der organisierten Gegenwehr der Staaten, die sich selbst vor der Kritik fürchten. Eine internationale Nichtregierungsorganisation ist in ihrem Urteil sogar soweit gegangen zu sagen, dass sich in Genf inzwischen die Täter gegenseitig vor der Kritik der Opfer schützen. Da ist leider etwas dran.

In den USA und in Europa wird derweil eine sogenannte humanitäre Intervention diskutiert. Wäre eine Besetzung der Provinz Darfur unter internationaler Regie aber eine Lösung?

Gerhart Baum: Nein, von Besetzung kann man gar nicht reden, das ist gar nicht zu leisten. Es muss allein die Überwachung des Waffenstillstandes gewährleistet werden, weil er bis heute nicht vollständig eingehalten wird. Dazu braucht man das Land nicht zu besetzen. Nötig sind vielmehr Beobachtermissionen. Deswegen ist das Angebot von Kofi Annan, Blauhelme in die Region zu entsenden, nicht abwegig. Der Waffenstillstand muss kontrolliert und die humanitäre Hilfe muss koordiniert werden. Das Ziel kann nur sein, den inzwischen eine Million Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Dörfer zu ermöglichen. Mittel dazu kann nur ein nachhaltiger Interessenausgleich zwischen allen Parteien sein, also auch Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Rebellen in Darfur.

Anfang des Jahres haben Sie sich gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an einer internationalen Mission ausgesprochen. Haben Sie Ihre Meinung dazu inzwischen also geändert?

Gerhart Baum: Ich habe Zweifel, ob eine militärische Intervention zum, Erfolg führen würde. Wichtig ist der Druck auf die Verhandlungsparteien und die Überwachung ihrer Vereinbarungen.

Der Konflikt wird gemeinhin als religiös motiviert dargestellt. Trifft das zu?

Gerhart Baum: Nein, eine solche religiöse Motivation spielt in Darfur in keiner Weise eine Rolle. In Darfur werden wir gerade Zeugen von ethnischen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Afrikanern und muslimischen Arabern. Mit Religion hat das nichts zu tun.

Vor der UN-Menschenrechtsorganisation hat auch der US-Vertreter "ethnische Säuberungen" beklagt. Es wird die Religion ins Feld geführt, oder die ethnischen Unterschiede. Die Erdölressourcen als Konfliktursache anzusprechen scheint ja geradezu ein Tabu zu sein.

Gerhart Baum: Dieser Ölreichtum spielt natürlich eine Rolle, das Öl ist aber nicht die Ursache des Konflikts. Es hat den Konflikt angeheizt und verschärft. Während der Nord-Süd-Verhandlungen zwischen Rebellen und Regierung hat aber auch diese Verteilungsfrage eine Rolle gespielt. Auch hier wurde die Region Darfur ausgegrenzt.

Würden Sie das Amt des VN-Sonderberichterstatters für Sudan noch einmal ausüben?

Gerhart Baum: Das würde ich nicht ausschließen, hängt von den Umständen ab.