Der Yuppie-Hacker - eine neue Chimäre im Cyberspace

Bemerkungen zu Shimamuras Buch "Data Zone" und seinen Protagonisten

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Der kalifornische Wunderprogrammierer und Sicherheitsberater Tsotumo Shimamura ist mobil, bürokratiefeindlich, individualistisch, neokonservativ, umwelt- und gesundheitsbewußt - ein Prototyp der Telearbeits-Gesellschaft.

Tsutomu Shinomura: Data Zone. Die Hackerjagd im Internet, München [dtv] 1996.

Schweren Diebstahl hatte man sich vor geraumer Zeit als Entwendung einer Kostbarkeit vorzustellen, über die der Besitzer nicht mehr verfügt, da der Dieb sie entwendet hat. Die Juwelen sind nicht mehr im Tresor, sondern beim Hehler. Heute, in der digitalen "Data Zone", verhält es sich anders. Im Cyberspace kann man teure Software stehlen, indem man sie so kopiert, dass der Besitzer den Diebstahl nicht einmal bemerkt, da ihm eigentlich nichts fehlt.

"Data Zone" berichtet von so einem Diebstahl, der sich im Internet ereignet hat. Ein PC-Freak hat private und Firmengeheimnisse belauscht und Daten im Millionenwert erbeutet. Ein kapitales Verbechen ist begangen worden, das man mit dem Einbruch in den Safe einer High-Tech-Firma vergleichen könnte, die dort Blaupausen von Prototypen lagert. Doch die "Hackerjagd im Internet", die Tsutomu Shimomura als Doku-Thriller mit stilistischer Unterstützung von John Markoff von der New York Times schreibt, führt nicht durch unsere reale Welt, sondern durch das globale Netz der Computer, Datenbänke und Telekommunikationseinrichtungen.

Shimomura ist ein Einbruchsopfer, das selbst die Jagd aufnimmt. Als der PC-Experte entdeckt, daß seine Netzwerke gekapert worden sind, nimmt er mit Elan die Verfolgung einer winzigen elektronischen Fährte auf, die schließlich zu Kevin Mitnick führen wird, dessen Konterfei schon mit der Unterschrift "most wanted" die Titelseite der New York Times geziert hat. Die private Initiative des asian american und seiner Freunde führt in wenigen Wochen zu Erfolgen, welche die involvierten Bundesbehörden in Jahren nicht erzielen konnten. Der Hacker schützt das Recht. Die Verfolgergruppe zieht wie in einem Western aus, um das gestohlene Eigentum zurückzuerobern - während die durchweg als unfähig, langsam, begriffsstutzig und paranoid geschilderten FBI-Agenten und Experten der NSA (National Security Agency) bestenfalls im Dunkeln tappen, wenn sie nicht dilettantisch dazwischenfunken.

Shimomura ist Jahrgang 1964. Als Wunderknabe übersprang er ein paar Klassen, programmierte mit 14 Unix für Projekte der Princeton-Universität, erhält mit 20 ein Habilitationsstipendium, "obwohl ich weder einen High-School- noch einen College-Abschluß hatte", und wird 1989 Senior Fellow am San Diego Supercomputer Center. Es ist eine Silicon-Valley-Story: eine rasante Karriere im explosionsartig expandierendem Bereich der Hard- und Softwareentwicklung. 30jährig gilt Shimomura als führender Experte für Computersicherheit. Ausgerechnet in das Netzwerk dieses Top-Sicherheits-Experten, der für Regierungsstellen kryptographische Programme schreibt und von der NSA gesponsert wird, bricht ein "cyberthief" ein und wirft dem "japboy" den Fehdehandschuh ins Gesicht.

Shimomura nimmt die Verfolgung auf und erlebt Interessantes, während Markoff schreiben kann. Soweit man einen reality thriller über das Internet lesen will, wird man also gut bedient. Obschon die Hacker- und Internet-Szene (etwa in Hacktick.nl und Hotwired.com) den Fall nur unter Gesichtspunkten der Datensicherung und der Netikette diskutiert, lädt ein zweiter Blick auf das Buch ein zu einer ganz anders gelagerten, nämlich kulturkritischen Betrachtung.

Computer security programs are like a locksmith's picks, easily turned into burglary tools. Tsutomu Shimomura should never have left such a honey pot of information unguarded on his home computer. [...] If Shimomura had stored his security tools encrypted with a program like PGP, then it wouldn't have mattered if his machine had been under attack by a thousand hackers of Mitnick's stature.

Hotwired

Shinomuras Freundin Julia hat für Apple gearbeitet, ist "eine gute Yogalehrerin" und Naturfreundin. In Deutschland würde sie wohl die Grünen wählen. "Julia liebt Berge", erfahren wir weiter, "besonders wenn sie über 6000 Meter hoch sind. Folglich war sie im Herbst 1994 zum Himalaya aufgebrochen". So kann eigentlich nur ein Yuppie schreiben. Das Paar, dessen lang(weilig)er Weg in die Zweisamkeit auch erzählt wird, stellt einen Zwitter dar aus Hippie-Revival und Melrose Place-Lebensstil: es ernährt sich gesund und meistens vegetarisch (Mitnick wirkt unsportlich und ist krank), läßt sich aber das Essen ins Haus kommen.

Die Naturliebhaber legen in einer Saison "30.000 Kilometer zwischen dem Süden und dem Norden Kaliforniens" allein im Flugzeug zurück, um Skilaufen zu können. Man wohnt in "Haight-Ashbury", der Wiege der Hippie-Kultur, meditiert im "Tengboche-Kloster" mit dem tibetanischen Lama und trägt Birkenstock-Sandalen. Zwischen dem Vollwertrestaurant und dem Arbeitsplatz pendelt man im japanischen Mietwagen hin und her. Wenn keine Zeit zum Skilaufen ist, nimmt man die Rollerblades oder entspannt sich im Jacuzzi. Jeder Protagonist des Reports verfügt über Dutzende von state-of-the-art Rechnern, Laptops, Handys, Palmtops, Pagern und Prototypen. Es wird ständig telephoniert, gesendet und gemailt, niemand kann hier nicht kommunizieren. Geschlafen wird am Arbeitsplatz, und das oft erst nach 39 Stunden Dauereinsatz. Geld spielt keine Rolle, alles wird aufs Spesenkonto gesetzt, das von Firmen, Forschungslaboratorien, Universitäten und Behörden stets randvoll aufgefüllt wird.

Dieses Leben hat den "echten Hackern", die mit Leihgeräten arbeiten, Leihwagen fahren und mit Corporate-Credit-Cards bezahlen, eine Ideologie beschert, die ihrem Selbstverständnis zutiefst widerspricht und daher von all den Insignien der Hippie- und Surfer-Kultur desto entschiedener zugedeckt werden muß. Diese Ideologie wird in den hippen Online-Zeitschriften der West Coast nicht reflektiert. Hinter der Fassade des Hackers, der lange Haare, Shorts, T-Shirt mit technischem Emblem, Goretext-Jacke und Sandalen ohne Socken trägt, lauert der Yuppie, zu dem Shinomura zwar der Anzug fehlt, nicht aber die Gesinnung.

"Die sind einfach unfähig, wie überall im Staatsapparat." Shimomuras schlichte Auskunft über staatliche Einrichtungen wird unablässig wiederholt. "Überall" greifen überflüssige Behörden mit unsinnigen Vorschriften in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen und die man besser der privaten Initiative der Jungen und Cleveren überläßt. Steuern werden unmittelbar in Hindernisse transformiert, die wegzuräumen eines Samurais würdig wäre. NSA, FBI, CERT, Justizministerium, Bundes-Marshalls sind langsam und unnütz, wenn nicht teuer und schädlich. Neben diese neo-konservative Vorstellung des Staates als jede Eigeninitiative erdrückende Riesenkrake tritt die Überzeugung, der Staat habe nur eine wirkliche Aufgabe, nämlich das Privateigentum seiner Bürger zu schützen. Heilig sind Shimomura das Urheberrecht, der Firmen- und Privatbesitz. Wenn jemand diese Rechte schändet, dann ist eine starke Exekutive gefragt, die durchgreift. Daß aber der effizienten Verfolgung digitaler Diebe zahlreiche Vorschriften und Datenschutzgesetze im Wege stehen, bestätigt einmal mehr die Ansicht, daß der Staat an seinen ureigensten Aufgaben scheitert. Im Wilden Westen der last frontier muß ein Sheriff auch einmal hart zupacken dürfen, wenn die Outlaws zu frech werden. Hier kommt verblüffender Weise die Weltsicht der neo-hippieesken Hacker zur Deckung mit den bodenständigen Einsichten der National Rifle Association.

Der Hacker-Yuppie verbindet nicht nur das Ressentiment der 60er gegen den Staat mit den Newt Gingrich-Tiraden der 90er, er kombiniert auch den Zug aufs Land der Blumenkinder mit den Arbeitsbedingungen des Telecommuting. "Meine Arbeit kann ich von jedem beliebigen Ort tun." Shimomura siedelt mit "ein paar Unix-Workstations" für 4 Monate in die Berge, wo er "über einen schnellen digitalen Telefonanschluß mit der Außenwelt" Kontakt hält. Diese Ortlosigkeit des Arbeitsplatzes korrespondiert mit dem neuen Typ des Ein-Mann-Unternehmers, der seine Arbeitskraft als "Auftragnehmer und Unternehmer" verkauft und sich gleichsam selbst ausbeutet. Grundsätzlich ist jede Putzfrau selbständig, wenn sie nicht mehr nach Stunden bezahlt wird, sondern - sofern sie sich am Markt durchsetzt - einen Auftrag erhält, dies oder das sauber zu halten. Dafür braucht sie 4, 8 oder 16 Stunden, der Verdienst wird der gleiche sein. Wenn es sich lohnt, betreut sie andere mit ihren Aufgaben und wird so zum Subunternehmer.

Was die Telearbeiter der Putzfrau voraushaben, ist ihre globale Einsatzfähigkeit. Der Programmentwickler in seiner Holzhütte ist ein global player, der auf dem Weltmarkt mit jedem anderen Hacker mit Modem um Aufträge konkurriert. Da man in dieser neuen Organisationsform das Gefühl hat, nur für sich selbst zu arbeiten, ist die Arbeitsbereitsschaft enorm hoch. Shimomuras 39-Stunden non stop-Einsatz zeigt, was für Potentiale hier zu erschließen sind, ohne daß die Auftraggeber sich um Folge- oder Nebenkosten zu scheren hätten.

Der östereichische Bundesminister Scholten erhofft sich von der Telearbeit eine Reintegration von Familie und Beruf. Shimomura und Julia leben vor, in welcher Form dies gelingen könnte: nicht das "Heim" modifiziert die Arbeit, sondern umgekehrt. Das dank omnipräsenter Telekommunikationsanlagen stets erreichbare Paar verfügt nur noch über Schwundstufen von privatem Raum und privater Zeit - jederzeit und überall ist die Einsatzbereitschaft der Telearbeiter gefragt. Shimomura arbeitet am Handy selbst dann noch, wenn er Rollschuh läuft. In den Wohnungen der Cyber-Hippies steht in jedem Raum ein Terminal, selbst in der Garderobe. Diese permanente Einsatzfähigkeit macht den Yuppie-Hacker in Verbindung mit seinem Gesundheitsbewußtsein und Fitnesswahn zum idealen Arbeiter des nächsten Jahrtausends, ohne daß man es noch mit lästigen Tarifverträgen, Lohnnebenkosten oder gar Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zu tun hätte. Man braucht nur noch einen Auftrag zu erteilen. Während manche Kulturkritiker diese neue Telearbeits-Gesellschaft erst für die Zukunft erwarten, hat Shimonura bereits einen Prototypen realisiert. "Data Zone" ist eine Chiffre für die kommende Epoche.

Die Story und ihre Protagonisten: Relevante Seiten im Internet

Über Mitnicks Konflikte mit den Behörden: Portrait of a rogue hacker

Mitnicks Kurzbiographie mit Bild

Shimomuras Biodaten mit Bild

Netzkritik des gesamten Vorfalles von Simson Garfinkel in "Hotwired": Learning Mitnick's Lesson