Der alte Mann am Ende des Empires
Joe Bidens Aufgabe: Klarmachen, dass sich das "Amerikanische Jahrhundert" dem Ende zuneigt
Das US-amerikanische Empire zieht sich langsam zurück. Dieser Vorgang mag vielen Amerikanern schwerfallen und tatsächlich werden ihnen die nächsten Jahrzehnte emotional einiges abverlangen. Dafür braucht es Präsidenten, die in der Lage sind, zu verlieren und ihr Volk mit diesen Verlusten zu konfrontieren. Im Grunde ist Joe Biden der ideale Kandidat.
Die selbst ernannte "Dirt-Bag-Left" hat recht: Donald Trump repräsentiert die aufbäumende, wenn auch sinnlose und fehl gerichtete Wut gegen den Rückzug der US-amerikanischen Hegemonialmacht.
Dagegen ist Biden der sanfte Großvater, selbst ernannter Ire, in vieler Hinsicht der geborene Verlierer und damit vielleicht der Richtige, um den US-Bürgern langsam, aber bestimmt klarzumachen, dass sich das "Amerikanische Jahrhundert" langsam dem Ende neigt.
Biden's "Build Back Better Plan" ist stark geschrumpft und wirkt kurz vor Jahresende eher tot als lebendig, vor allem dank des anscheinend unbeugsamen Senators Joe Manchin. Dennoch hat der Präsident dieses Jahr auch Großes vollbracht oder zumindest zu Ende gebracht: den Einsatz von US-Truppen in Afghanistan.
Weder Obama noch Trump waren gewillt, als der US-Präsident in die Geschichte einzugehen, der den Afghanistankrieg verloren hat. Immerhin, Trump hatte schon während seiner Amtszeit einen Truppenabzug verhandelt, forderte aber Joe Biden auf, das von ihm zuvor festgelegte Datum für ein solches Manöver verstreichen zu lassen, um bessere Bedingungen abzuwarten, die wahrscheinlich aber nie gekommen wären, wie der schnelle Sieg der Taliban nach Abzug der US-Truppen gezeigt hat.
Aber Biden hielt am Abzugsdatum fest und war bereit, seine Umfragewerte schon während seiner ersten Amtszeit zu opfern. In seiner Rede an die Nation bezüglich des Truppenabzugs versuchte der Präsident zwar ein letztes Mal, das Ende des "längsten Krieges in der amerikanischen Geschichte" und den Rückzug als "außergewöhnlichen Erfolg" aufzuwerten, doch im Grunde war und ist ihm bewusst, dass die unschöne Erinnerung der Amerikaner an einen verlorenen Krieg für viele in der Bevölkerung von nun an für immer mit seiner Administration in Verbindung gebracht würde.
Gescheiterter Traum vom Weitertragen der liberalen Werte
Bidens Amtsvorgänger hatten die Mission in Afghanistan immer weiter beschnitten und verlängert, um die Fackel weiterreichen zu können. Schon Obama sah ein, dass der Traum der Bush Ära vom neoliberalen "Nationbuilding" gescheitert war und setzte stattdessen auf "gezielte" Einsätze durch Drohnen.
Eine Erkenntnis, die Donald Trump später für seine eigene ausgab, als er sich in seiner Rede bezüglich des Afghanistankrieges im August 2017 an die Nation wandte, um zu erklären "die USA würde nicht wieder eine Nation aufbauen, sondern Terroristen töten".
Es verwundert nicht, dass Trump im Nachhinein behauptete, der Rückzug sei ein Debakel gewesen, das er niemals zugelassen hätte. Viel aufschlussreicher war die Reaktion der "liberalen" Presse, die nicht etwa Bidens Entscheidung für den Rückzug verteidigte, sondern die "Schuld" an diesem auf Trump abwälzte.
Ob Demokraten oder Republikaner oder einfach nur zentrumsnah – weite Teile der amerikanischen Gesellschaft glauben fest daran, es sei auch künftig die US-amerikanische Mission, liberale Werte in aller Welt zu verteidigen. Auch wenn diese Grundidee dann und wann von einer mal mehr, mal weniger rassistisch formulierten "Anti-Terror-Rhetorik" überlagert wird.
Das Weiße Haus wird aller Wahrscheinlichkeit nach keines der Wahlversprechen der Demokraten halten und es wird keine große neue Sozialreform unter Biden geben. Der "Build Back Better Plan" wird entweder noch weiter beschnitten oder ganz fallengelassen werden.
Auch wird der Präsident die zutiefst gespaltene Gesellschaft nicht wieder zusammenführen, aber seine Regierung könnte die wichtige Rolle erfüllen, nach und nach alle liberale Geziertheit fallen zu lassen. Dies würde US-Bürgern auf lange Sicht erlauben, die sozialen Probleme des Landes klarer zu sehen und ihnen zu etwas entgegenzusetzen.
Corona: Klare Unterteilung in Geimpfte und Ungeimpfte
In einem Statement bezüglich der neuen Omikron-Variante des Covid-Virus unterteilt das Weiße Haus klar in Geimpfte und Ungeimpfte.
Während der Sprecher den Geimpften, meist dem demokratischen Spektrum angehörigen Bürgerinnen und Bürgern versicherte, "man würde nicht zuzulassen, dass die neue Omikron-Variante, Schule oder Arbeit für Geimpfte unterbreche", hatte man für die Ungeimpften nur harsche Worte übrig: "Wer nicht geimpft ist, muss mit einem Winter voller schwerer Krankheiten und Todesfälle rechnen – für sich selbst, für seine Familie und für die Krankenhäuser, die sie vielleicht bald überfluten werden."
Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten und so meldete sich Präsident Biden am 21. Dezember erneut selbst zu Wort, schlug einen weicheren Ton an, ließ es sich aber nicht nehmen, "Menschen, die nicht geimpft wurden, an ihre Verpflichtung gegenüber sich selbst, ihrer Familie und ihrem Land gegenüber" zu erinnern.
Feststeht: Das erste Statement beinhaltete eine ehrlichere Einschätzung der Lage. Abgesehen von einer Impfpflicht, die in den USA de facto nicht durchzusetzen wäre, hat die Regierung absolut keinen politischen oder moralischen Hebel, um der Gesellschaft zu vermitteln, dass eventuell ein Lockdown nötig wäre.
Ebenfalls ist davon auszugehen, dass die Mehrheiten der Demokraten eine solche Unterbrechung der "Arbeit" für Geimpfte, also des Wirtschaftswachstums, nicht gutheißen würde. Wer nichts ändern kann, muss eben die Verhältnisse erklären. So bleibt der Biden-Regierung nichts anderes übrig, als das altbewährte US-amerikanische calvinistische Prinzip anzuwenden und die Gesellschaft in Verdiente und Unverdiente einzuteilen. Die Republikaner neigen im Übrigen auch dazu.
Für sie ist es allerdings kein Zeichen von Erlösung, sich der Ratio eines Dr. Fauci zu unterwerfen, stattdessen heißt es, wohlhabend genug zu sein, um sich vor sowohl gesundheitlichen als auch wirtschaftlichen Covid-Folgen zu schützen.
Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist möglicherweise nicht rückgängig zu machen, aber immerhin kann die jeweilige Regierung nun offen zugeben, nur noch einen Teil des Landes zu vertreten. Große innenpolitische Reformen wird es nicht geben, dafür aber weniger Einmischungen in internationale Politik.
Biden, der Richtige?
Vielleicht ist Biden für ebendiese Phase genau der Richtige. Seine Persona, sowohl politisch also auch privat, ist jedenfalls repräsentativ für die vergangenen Jahrzehnte US-amerikanischer Politik und Geschichte. Während er selbst, das absolute zentralistische demokratische Establishment verkörpert und so ziemlich bei jeder politischen Entscheidung auf der falschen Seite der Geschichte zu landen schien, stirbt sein geliebter Sohn, der auch Soldat war, zwar nicht im Einsatz, sondern an einem Tumor.
Kurz darauf rutscht der "andere Sohn" – vielleicht aus Trauer – in die Drogenabhängigkeit ab und kostet seinen Vater mit seinen Ukraine-Verwicklungen fast die Wahl. Tote Soldaten und Drogenabhängigkeit sind repräsentativ für die US-amerikanische Kultur der vergangenen Jahrzehnte.
Biden mag weder Interesse noch die Kraft haben, die politische Landschaft der USA nachhaltig zu transformieren oder gar zusammenzuführen, aber er versteht vielleicht den Schmerz vieler, die darum trauern, zu spät in dieses große "Amerikanische Experiment" hineingeboren geworden zu sein.
Biden versprüht die Nostalgie einer Generation von Amerikanerinnen und Amerikanern, die kaum wahrhaben wollen und können, dass sie am Ende des "Amerikanischen Jahrhunderts" leben. Und so ist er der Richtige, sie ins Nächste zu begleiten. Dieser Übergang hat allerdings gerade erst begonnen.