Der angebliche Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften
Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Goldin wurde ausgezeichnet. Genau genommen gibt es aber keinen Wirtschaftsnobelpreis, was viele Medien nicht erwähnen.
Als am 9. Oktober die Harvard-Professorin Claudia Goldin den wichtigsten Preis der Wirtschaftswissenschaften erhielt, verwendeten im Prinzip alle Medien den Begriff "Wirtschaftsnobelpreis", häufig ohne zu erwähnen, dass dieser Preis gar nicht im Testament von Alfred Nobel vorgesehen war und dass die Bezeichnung sich zwar eingebürgert, aber dennoch als umstritten gilt. (zum Beispiel: Tagesschau, Frankfurter Rundschau, Deutschlandfunk, Westdeutscher Rundfunk).
"Die Welt" betont sogar die Gleichwertigkeit mit allen anderen Nobelpreiskategorien, wenn sie schreibt: "In keiner anderen Nobelpreis-Kategorie gibt es so wenige Preisträgerinnen wie in den Wirtschaftswissenschaften."
Im Schlussabsatz
Auch wenn grundsätzlich in der Überschrift und im Artikeleinstieg von "Wirtschaftsnobelpreis" gesprochen wird, präzisieren viele Medienbeiträge dann am Ende des jeweiligen Beitrages, dass es sich bei diesem Preis um eine besondere Kategorie handelt. Beispielsweise erwähnt die Webseite der Heute-Sendung des ZDF:
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht. Er wird seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit streng genommen nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Trotzdem wird er gemeinsam mit den weiteren Nobelpreisen an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, feierlich überreicht.
Im Sendebeitrag wird jedoch einzig von "Wirtschaftsnobelpreis" gesprochen. (Weitere Beispiele anderer Medien, die am Artikelende darauf hinweisen, dass die Verwendung des Begriffs "Wirtschaftsnobelpreis" eigentlich nicht korrekt ist: Tagesschau, Bayerischer Rundfunk, FAZ, Zeit, Neue Zürcher Zeitung, Handelsblatt, Capital, Stern.)
Der Wille von Alfred Nobel
In seinem letzten Willen hatte Alfred Nobel festgelegt, dass sein Vermögen benutzt werden soll, um Preise in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Friedensbemühungen zu vergeben, die "denen zugeteilt werden, die (…) der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben". Eine Preiskategorie für Wirtschaftswissenschaften sucht man aber vergebens.
Erst im Jahr 1968 beschloss die Schwedische Nationalbank anlässlich ihres 300-jährigen Bestehens einen Preis für Wirtschaftswissenschaften zu vergeben, der erstmals im Folgejahr dann seine ersten beiden Preisträger fand. Seit 1969 hat die Nobel-Stiftung den schwedischen Namen des Preises übrigens elfmal unterschiedlich ins Englische übersetzt.
Sucht man im Werk von Alfred Nobel, dessen Namen nun der Preis für Wirtschaftswissenschaft "ausgeborgt" hat und der offensichtlich keine Preiskategorie hierfür vorgesehen hatte, nach dessen Einschätzung dieses Faches, so stößt man auf die wenig wohlgesonnene Äußerung: "Es gibt nicht den geringsten Grund, warum ich, der ich für das Kaufmännische nicht ausgebildet bin und es von Herzen hasse, damit fortfahren sollte."
Die Familie von Alfred Nobel wurde im Jahr 1968 erst fünf Tage vor der 300-Jahresfeier der Reichsbank konsultiert, genauer gesagt, nur das älteste Mitglied. Marta, damals 87 Jahre alt, hatte das Gefühl, Widerstand sei zwecklos, bestand aber auf einen anderen Namen für den Preis, sodass sich auf "Preis für Wirtschaftswissenschaft im Gedächtnis an Alfred Nobel" geeinigt wurde.
Bis heute regt sich in der Familie Nobel Widerstand gegen diesen Wirtschaftspreis. Peter Nobel, Urgroßneffe, betonte im Jahr 2005 ausdrücklich, sein Vorfahre habe diesen Preis nicht gewollt. Peter Nobel bezeichnete die Auszeichnung als "Kuckucksei im Nobel-Nest" und als "PR-Coup von Ökonomen, um ihren Ruf zu verbessern".
Verzerrte Wahrnehmung
Ein Hauptkritikpunkt an der Auszeichnung ist auch die Vergabeprozedur und Verleihungszeremonie, die dafür sorgt, dass der Preis in der Öffentlichkeit als "normaler" Nobelpreis wahrgenommen wird.
Denn das Nominierungsverfahren, die Auswahlkriterien und die Preisverleihung des Preises für Wirtschaftswissenschaften werden in ähnlicher Weise wie bei den ursprünglichen Nobelpreisen durchgeführt. Des Weiteren werden die Preisträger zusammen mit den Nobelpreisträgern bekannt gegeben und erhalten die Auszeichnung bei der gleichen Zeremonie.
Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Hermann kommentiert:
Die Absicht dieser Inszenierung ist offensichtlich: Die Ökonomie soll zu einer Art Physik-Variante geadelt werden, in der ebenfalls quasi Naturgesetze gelten. Es soll der Eindruck entstehen, dass die Volkswirte Wahrheiten verkünden, die fern aller Politik und Ideologie sind.
Interessanterweise erklärte der Preisträger Milton Friedman, dass seine Dankesrede "primär das Ziel verfolgte, das Argument zu bringen, dass die Ökonomie eine positive Wissenschaft wie die Physik oder die Chemie war oder sein könnte." In dieses Bild passt auch, dass eine deutliche Mehrheit der Preisträger aus den USA stammt. Hauptsächlich von der Universität Chicago.
Der Publizist Christian Felber, der sich in seinem Buch "This is not economy" in einem Kapitel mit dem Thema beschäftigt, resümiert: "Eine (…) unschöne Facette der Gesamtanamnese der Wirtschaftswissenschaft ist der Umstand, dass es den vielbeachteten "Wirtschaftsnobelpreis" gar nicht gibt – und es ihn nie gegeben hat. Die Disziplin bezieht vom Schein eines "Nobelpreises" symbolisches Kapital – illegitimerweise."
Die Frage bleibt, warum machen alle Medien bei dieser teuren PR-Kampagne mit? Eine saubere Klarstellung würde die Leistungen der Preisträgerinnen keineswegs schmälern, aber dem Wunsch Alfred Nobels gerechter werden.
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