Der beste US-Kinofilm des Jahres: Ferrari

Seite 2: Michael Mann filmt Autorennen mit der gleichen Intensität wie einst die Banküberfälle in "Heat"

Michael Mann wiederum nutzt heute seine bekannten Mittel: Tempiverlagerung, pulsierende Musik zu ständig bewegter Kamera, die ständig in die Subjektive wechselt, etwa die eines fahrenden Autos. Mann filmt die Autorennen im Zentrum des Films mit der gleichen Rasanz und Intensität wie einst die Banküberfälle in "Heat".

Das wird schon früh deutlich. Da kommt einer von Ferraris Fahrern bei einer Testfahrt zu Tode. Es ist ein spektakulärer Unfall im Kino, man spürt das Metall, hört das Krachen und Bersten der Bestandteile.

Ferrari selbst zuckt kaum mit einer Miene seines Gesichts. Seine Reaktion: Er dreht sich zu Alfonso de Portago um, der ihn kurz zuvor noch vergeblich um eine Position als Fahrer angesprochen hatte, und sagt ihm: "Kommen Sie am Montag in mein Büro."

Die Gefahr ist immer präsent. Der Boulevard-Mob listet die Namen der Gefallenen auf: Castellotti, Turnaccio ... Sie nennen ihn den "Saturn der Industrie, der seine Kinder frisst."

Bild: © STX Entertainment

Der Shogun und seine Samurai: "Bremsen sie später! Nehmen Sie in die Ideallinie"

Mann zeigt Enzo Ferrari als den Shogun der heroischen Epoche des Rennsports, in der die Fahrer wie seine glamourösen Samurai sind, die entsprechend für das Ganze zu sterben haben und sterben wie die Fliegen.

Das beweist – eine zweite Glanzleistung des Regisseurs – die Rede, die Enzo nach einem verlorenen Rennen seinen Fahrern hält:

Ihnen fehlt es an Hingabe. Commitment!
Das Aufgebot von Maserati: Fangio, Behra, Sterling Moss. Männer mit ungezügeltem Siegeswillen. Mit einer grausamen Leere in ihren Mägen. Eiskalte Männer. Ihre Loyalität gilt nicht der Truppe, sondern nur ihrer Gier zu gewinnen. Es regnet, die Strecke ist schmierig von Öl, ein störrischer Wagen, werden sie zögern? Nein! Mein Aufgebot: beherzt, talentiert, sicher! Aristokraten und Gentlemansportler – wie imposant!
Bitte nicht falsch verstehen: Wir sind alle sicher, wir kommen nie zu Tode. Aber unsere Leidenschaft ist todbringend. Eine schreckliche Freude. Aber wenn Sie in einem meiner Autos starten – und niemand nötigt Sie, sich da rein zu setzen –, dann, um zu gewinnen. Bremsen sie später! Nehmen Sie in die Ideallinie.

Rennen fahren heißt Sterben lernen

Es geht dem Regisseur darum, zu zeigen, ob und wann man sein Leben riskieren sollte. Es geht darum, das Sterben zu lernen.

Die besten Momente des Films, die am deutlichsten auf dieses Thema sind die ruhigen, ernsten, wie der in dem die Fahrer nachts im Hotel für den nächsten Renntag Ruhe tanken und vorm Insbettgehen noch ihre Abschiedsbriefe schreiben: "Im Falle meines Todes zu öffnen..."

Mann schneidet diese Szenen parallel zueinander. Einen der Fahrer wird es tatsächlich am nächsten Tag erwischen, und wer sich im Rennsport auskennt, weiß, dass vier der acht Fahrer, die man hier näher kennenlernt, ihre Karriere nicht überlebten.

Kein Macho-Schinken

Trotzdem ist dies kein Macho-Schinken – wie immer bei Michael Mann sind die Frauen den Männern ebenbürtig, auch in Härte und Realismus. Laura will ihren Mann zwingen, eine Entscheidung zu treffen, die auch eine zwischen den beiden Söhnen wäre, zwischen dem toten und dem lebenden. Aber sie weiß, dass ihr Mann sich im Zweifel für die Firma entscheiden würde, also für den lebenden Sohn.

Dass aber Enzo Ferrari sich nicht zwischen den beiden Frauen entscheidet, sondern beiden gegenüber loyal bleibt, macht diese Figur modern.

Pasta, Rotwein und Musik

Daneben findet man auch hier eine große Kino-Italienhymne voller Sinnlichkeit, mit der sich Mann als Italophiler outet: Höhepunkte sind ein großes Mittagessen mit Pasta, Rotwein und Musik, ein gemeinsamer Opernbesuch, bei dem jeder seine eigenen Gedanken zur Musik entwickelt und dann im letzten Drittel die "Mille Miglia", das Zweitagerennen durch Nordostitalien, das die Pracht des Landes auf die Leinwand wirft.

Ein Augenblick des Innehaltens

Insgesamt ist "Ferrari" ein phänomenaler Film von geschmeidiger Eleganz, Kino von zwingender Intensität, flirrender Kinetik und existentieller Gravitas. Die Feier reiner Schönheit.

Eine italienische Nachkriegsgeschichte, die auch eine Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern des Nachkriegs ist, zugleich eine der Erlösung: Am Ende nimmt Enzo die Hand seines Sohnes Piero und geht mit ihm auf dem Friedhof von Modena zum Mausoleum, in dem sein Sohn Dino Ferrari (1932-1956) begraben liegt, und wo er schon am Anfang des Films Blumen niederlegte. "Komm' Piero, ich stelle Dir Deinen Bruder vor."

Enzo verweigert auch die Entscheidung zwischen seinen beiden Söhnen. Ein Augenblick des Innehaltens. Vor der nächsten Bewegung.

Vrooaamm!