Der demokratische Triumph des Willens

Der Narziss von Bagdad wird mit 100 % der Stimmen wieder gewählt

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Davon können Bundeskanzler Schröder oder US-Präsident Bush, der Wackelwahlgewinner der amerikanischen Präsidentschaftswahlen, nur träumen: Bei den diesjährigen Wahlen der etwas anderen Demokratie erzielte Saddam Hussein 100% der Stimmen seines Volkes - bei 100% Wahlbeteiligung! Saddam Hussein ist damit als der unumstrittene und ausnahmslos heiß geliebte Oberdemokrator seines Volkes bestätigt.

Mit dem Wahlergebnis konnte Saddam selbst seine persönliche Bestmarke im letzten Referendum von 1995, das ihm lediglich 99,96 Prozent der Wahlstimmen bescherte, noch toppen! Summa summarum: 11.445.638 durch und durch überzeugte Saddamisten. Ein Volk, eine Demokratie, ein Saddam. Selbst die großen realsozialistischen Führer, wenn es sie noch gäbe, müssten darüber neidisch werden.

Übrigens gab es nur einen Kandidaten, vermutlich weil potenzielle Herausforderer keinen Keil in die bedingungslose Liebe des Volkes zu seinem Führer und umgekehrt treiben wollten. Was auch nach menschlichem Ermessen unmöglich wäre! Das 100 % Ergebnis passt jedenfalls gut zur narzisstischen Totalisierung des Irak mit den allgegenwärtigen Abbildern des entschlossenen Herrn von Bagdad. Saddams Selbsterhöhung erstreckt sich inzwischen von unzähligen Denkmälern bis hin zur ikonografischen Ansteckung von wehrlosen Alltagsgegenständen mit seinem Konterfei (Der Baulöwe von Bagdad).

Doch Häme über die in westlichen Augen so törichte Zwangskopulation des Herrschers mit seinem Volk ist völlig fehl am Platze. Für Izzat Ibrahim, den Vizepräsidenten des revolutionären Kommandorats, steht nämlich fest: "Das ist eine einzigartige Manifestation der Demokratie, die allen anderen Demokratien überlegen ist, auch denen, die den Irak belagern und zu ersticken versuchen." Ari Fleischer, Sprecher des US-Präsidenten, mäkelte indes an dieser revolutionären Galavorstellung des demokratischen Potentaten und hielt so viel Akzeptanz gar für unglaubwürdig.

Die regierungstreue irakische Presse sieht das freilich anders, sei das Referendum doch in einer demokratisch freien und patriotischen Atmosphäre erfolgt. Der Wahltag wurde zum Festtag erklärt, nur mit dem kleinen demokratielogischen Mangel behaftet, dass das bereits vor Bekanntgabe des so erstaunlichen wie nicht erstaunlichen Ergebnisses geschah. Auch bei der Wahl ging es schon recht fröhlich zu. Einige Wähler sollen ganze Packungen von Stimmzetteln, eben die ihrer gesamten Sippschaft, in die geduldigen Wahlurnen gestopft haben. Kaum einer, der unter den aufmerksamen Augen der Baath-Partei-Funktionäre hinter den Vorhang trat, um heimlich seine demokratische Notdurft zu verrichten.

Izzat Ibrahim ließ sich von den profanen Fragen nach der totalen Absurdität der demokratischen Inthronisation nicht irritieren. Im Irak gäbe es halt keine Opposition, alle ständen dicht hinter dem Präsidenten. Und darauf kommt es wohl auch in den nächsten Monaten bitter nötig an, wenn der andere, nicht ganz so heiß geliebte Wahlsieger aus Amerika Saddams souveräne Stellung nachjustieren sollte.

So ist Saddam Hussein zwar für weitere sieben Jahre im Amt bestätigt, aber das könnte unter gegenwärtigen Auspizien großzügig bemessen sein. Vielleicht muss man indes sogar ein wenig Mitgefühl mit Saddam haben. Die zwanghafte Inszenierung seines Psychodramas vom ehedem ungeliebten Stiefsohn ungeklärter Herkunft zum Darling der Nation ist eine Clownerie, die ihn persönlich noch unglaubwürdiger macht, als es die brutale Unterdrückung der Opposition schon hinlänglich genug belegt hat. Amerikas lockerer Umgang mit fremder Souveränität würde noch mehr Kritik provozieren, wenn die Achse des Bösen nicht von einem Potentaten angeführt würde, der so bereitwillig wie energisch an seiner Selbstkarikierung arbeitet.