Der digitale Seelsorger: Ersetzt KI bald auch den Pfarrer?
Künstliche Intelligenz erobert die Arbeitswelt – selbst vor der Kirche macht sie nicht halt. Bibel-KIs geben bereits Antworten auf Glaubensfragen. Aber kann Technik auch Seelsorge?
Neue Technik verändert die Arbeitswelt. Tätigkeiten wandeln sich, neue Berufsbilder entstehen. Laut LinkedIn-Studie arbeiten heute rund zehn Prozent der Beschäftigten in Berufen, die es vor 20 Jahren schlichtweg nicht gab. In den USA ist es sogar jeder Fünfte.
Der Arbeitsmarkt transformiert sich stetig. Und während viele klassische Jobs verschwinden oder sich zumindest verändern, entstehen gleichzeitig neue – oft an der Schnittstelle zwischen Technologie, Kommunikation und Strategie.
Fred Eichwald, Arbeits-ABC
Coaching-Bots im Vormarsch: Kann KI den menschlichen Coach ersetzen?
Die Entstehung völlig neuer Jobprofile erfordert Flexibilität von den Beschäftigten. Der Vorteil:
Viele dieser Berufe und Tätigkeiten sind erlernbar – und nicht auf eine bestimmte Ausbildung beschränkt. Wer sich etwa als Projektmanager heute in Data Literacy oder Low-Code-Tools einarbeitet, öffnet sich Türen in Richtungen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren.
Fred Eichwald
Veränderungen betreffen auch Berufe, die bisher als klassische Aufgabe eines Menschen gesehen werden – etwa das Coaching. Der Coaching-Bot "Aimy" könne einen menschlichen Coach ersetzen, erklärt Matti Niebelschütz von der Firma Coach-Hub. Der Bot kann in Gestalt eines Avatars mit Berufstätigen ein Coaching-Gespräch führen, ohne dass ein menschlicher Unterstützer anwesend sei.
Bei dieser "Stand-alone-Lösung" bestimmt der zu beratende Angestellte Geschlecht, Aussehen und Stimme des Avatars. Selbst beim Coaching-Stil gibt es Wahlmöglichkeiten, "zum Beispiel eher sachlich oder eher emotional". Aimy könne auf mehr als 20.000 Coaching-Interaktionen mit Berufstätigen zurückblicken, die das Gespräch als "persönlich und beruflich relevant" empfunden haben, berichtet Martin Pichler bei haufe.de.
Gemeinsam mit Microsoft wurde der Online-Coach mit KI aufgerüstet. "Unsere Entwicklerteams arbeiteten Hand in Hand", so Niebelschütz. Skepsis ist aber angebracht:
So werde das Coaching von Topmanagern und -managerinnen, die von inneren Konflikten zerrissen seien, derzeit noch keiner KI anvertraut.
Martin Pichler
Blended KI Coaching: Die Zukunft der Mitarbeiterberatung?
KI solle aber nicht verdammt werden, empfiehlt Anke Paulick, langjährige Coaching-Expertin der International Coaching Federation (ICF). Empfohlen wird Blended KI Coaching: Dabei kommt es bei der Beratung zu einer Kombination aus KI-gestütztem und menschlichem Coaching.
Vor KI bei Personalauswahl warnt Reza Ghaboli-Rashti. Der Technologieberater berichtet von einem Experiment zu E-Recruiting. Eine Software sollte die Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern kategorisieren und etwa Offenheit oder Gewissenhaftigkeit oder Verträglichkeit bewerten, um die Personalentscheidung objektiver zu machen.
Eine Schauspielerin schilderte im Test der KI ihre Stationen im Arbeitsleben und die beruflichen Ziele. "Dann ändert sie ihr Aussehen, trägt mal Perücke, mal Tuch, Pony-Frisur, Brille, wechselt von Bluse und Blazer zu einem T-Shirt. Den immer gleichen Text spricht die Testbewerberin mit gleicher Mimik", so Ghaboli-Rashti, tätig als Berater bei der gewerkschaftlichen Technologieberatung BTQ Kassel.
Das Ergebnis überrascht: Die KI-Bewertung der Person war plötzlich eine andere:
Die künstliche Intelligenz lässt sich von Äußerlichkeiten beeinflussen. […] Die Analyse universeller Emotionsausdrücke anhand eines kategorialen Modells geht zurück auf den US-amerikanischen Psychologen Paul Ekman, der Ende der 1960er-Jahre emotionale Gesichtsausdrücke klassifizierte. Nach seinen Angaben ließen sich sieben Basisemotionen unterscheiden: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Diese – angeblich genetisch bedingten – Gesichtsausdrücke drückten Menschen nach Ansicht Ekmans über alle Kontinente und Kulturen hinweg gleich aus.
Reza Ghaboli-Rashti
Bei diesen Techniken fehlt es an wissenschaftlicher Grundlage. "Sie bergen – besonders im Bereich von Sicherheits- und Überwachungstechnologien – zahlreiche Risiken" und seien fehleranfällig, warnt Ghaboli-Rashti.
Bibel-KI: Wenn künstliche Intelligenz theologische Fragen beantwortet
Aber auch außerhalb der Betriebe geht die Digitalisierung voran. Inzwischen stellt sich KI auch theologischen Fragestellungen. Bibel-KIs, zum Beispiel "ChatGPT – Die Bibel antwortet", setzen in den Antworten auch Verweise auf konkrete Bibelverse ein, berichtet Alttestamentlerin Juliane Eckstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Die Technik sollte jedoch gut gewählt sein. Denn die Auslegung bestimmter Bibelstellen lässt Rückschlüsse auf die Quellen der KI zu.
Häufig schimmert da ein evangelikaler Einschlag durch, weil es derzeit eben vor allem diese Quellen sind, die in großer Menge frei verfügbar sind.
Juliane Eckstein
Die Kirche solle eine eigene Bibel-KI-Anwendung entwickeln, "die sie selbst trainiert und deren Quellen sie selbst festgelegt. Das sollte sie keinesfalls nur anderen überlassen", empfiehlt die Wissenschaftlerin.
Eine komplette Predigt per Technik sollte jedoch nicht dazu gehören:
Eine gute Predigt ist ja maßgeschneidert auf eine bestimmte Gemeinde und das kann die KI (noch) nicht bieten. Aber man kann durchaus die Bibelstelle des Tages eingeben und schauen, ob die Antwort inspiriert und neue Ideen liefert.