Der erste Liberale
Seite 5: Von "Hosianna" zu "Kreuziget ihn!"
Was die Pilatus-Figur für uns ebenfalls interessant macht, ist, dass die Geschichte des Pilatus zugleich eine über die Schaulust und die Spektakelgesellschaft ist. Die Passionsgeschichte ist damit auch eine Geschichte der Passion des Pontius Pilatus.
Es geht darin eben nicht um billige Mitleidspädagogik, die sich auf den armen Christus bezieht, und es geht auch nicht um Belehrung und Bekehrung oder darum, wie Menschen angeblich handeln müssen. Sondern diese Geschichte zeigt das Scheitern der Vernunft an der Emotionalisierung und Hysterisierung des breiten Publikums.
Sie zeigt auch, wie man weiterleben kann, wenn die Vernunft gescheitert ist. Pontius Pilatus will den unwichtigen Sektierer Christus begnadigen - wenn auch nur aus Gleichgültigkeit. Das funktioniert aber nicht, weil die erhitzte, aufgepeitschte Masse Blut sehen will.
Die Passionsgeschichte zeigt die gefährliche Ambivalenz des "Volkes" und erzählt von der Wankelmütigkeit dieser Masse, von Menschen, die beim Einzug Jesu in Jerusalem noch begeistert in Ekstase geraten und sich die Kleider vom Leib reißen, um sie auf den Boden zu werfen und als roten Teppich für den umjubelten angeblichen Gottessohn auszubreiten. Nur fünf Tage später hat sich der Wind gedreht. Aus "Hosianna" wurde "Kreuziget ihn!"
Jesus wie Pilatus sind Opfer der Massen- und Spektakelgesellschaft. Denn eigentlich sieht Pilatus keinen Grund, Jesus zu verurteilen. Er hält ihn für einen esoterischen Spinner, aber nicht für gefährlich. Mit Aufrührern kann Rom umgehen. Barabbas hingegen ist ein Berufsverbrecher und Mörder. Aber er lieferte für die breite Masse offenbar die bessere Show.
Hätte es damals schon soziale Netzwerke gegeben, hätten sich die Leute ähnlich auf die Seite von Barabbas geschlagen, wie heute verurteilte Serienmörder oder kranke Schlächter wie Charlie Manson Liebesbriefe ins Gefängnis bekommen.
Pontius Pilatus in der Filmgeschichte
Die Kunstgeschichte bildet dies weitaus besser ab, als die Kulturgeschichte. Unvergesslich und noch immer eine der besten Quellen für alles, das mit der Christus-Geschichte zusammenhängt, also auch für die österliche Passionsgeschichte ist der bahnbrechende Film der Monty Pythons: "Das Leben des Brian".
Unrettbar modern formuliert er alles, was an Religiosität und fundamentalistischen Überzeugungen für einen liberalen Geist grotesk, bizarr, lächerlich und gefährlich erscheinen muss.
Wobei die Darstellung des Pontius Pilatus hier weitaus unterkomplexer ist (und sich auf Spötteleien über die Sprachbehinderung der Figur beschränkt) als der grundsätzliche Kommentar zum Relais zur Religion in diesem Film, die Darstellung sektiererische Umtriebe und des mörderischen Wahns der alten Religionen innewohnt.
Eine klassischere, aber mephistophelisch überhöhte Darstellung des Pontius Pilatus findet sich indem Hippie-Musical Jesus Christ Superstar (1970).
Die tollste und ausführlichste Darstellung des Pontius Pilatus stammt aus dem Jahr 1962, aus einem Französisch italienischen Sandalenfilm, der in Deutschland unter dem angemessen reißerischen Titel "Pontius Pilatus - Statthalter des Grauens" herausgebracht wurde.
Die Titelrolle übernimmt kein Geringerer als der französische Star – "Die Schöne und das Biest", "Fantomas" – und Cocteau-Muse Jean Marais. Glücklicherweise ist der Film zurzeit mit deutscher Synchronisation komplett auf YouTube verfügbar.
Im Rückblick berichtet Pilatus dort vor dem Kaiser Tiberius über die Ereignisse seines Lebens. So erhält man historische Versatzstücke, Legenden und mögliche Ereignisse schön zusammengeordnet. Pilatus ist ein ehrgeiziger Beamter, der aus der Provinz Hispania zum Präfekten von Judäa befördert wird, der lästigsten und widerspenstigsten der römischen Provinzen.
Er festigt Roms Macht, muss mit Unruhen umgehen, stellt die Trinkwasserversorgung der Massen sicher. Doch hier zum Beispiel ist das tumbe Volk undankbar und rebelliert, weil der Verlauf des Aquädukts gegen eines seiner unsinnigen Stammesgesetze verstößt. Pilatus muss sie beschwichtigen, Eiferer versuchen, ihn zu ermorden, nichts klappt, bis auf die sichere Ankunft seiner Frau und seines Sohnes.
Schließlich liefert man ihm einen "Gotteslästerer" aus. Pilatus wittert eine Falle, sieht kein Unrecht in dem Mann. Alles in allem ein sehr interessanter Film.