Der ewige Traum von "sauberen Atomwaffen"
Mit einer aktuellen Studie wirbt das Pentagon für eine neue Generation von erdeindringenden Nuklearwaffen.
Der Gedanke einer friedlichen oder wenigstens nicht die Umwelt verstrahlenden Anwendung der Atombombe ist so alt wie dieselbe und trotz vieler missglückter Versuche wie "Operation Plowshare" (Kanalbuddeln per Atombombenkrater) oder "Gasbuggy" (Gasvorkommen mittels Atombomben freisprengen) wollen die Atomwissenschaftler nicht aufgeben, um ihrem tödlichen Spielzeug wenigstens irgendeinen praktischen Nutzen zu verschaffen
Dem Pentagon reicht die Bandbreite seines Atomwaffenarsenals nicht mehr aus. (US-Kongress bewilligt Gelder für die Entwicklung taktischer Atomwaffen). Neue Waffen müssen her, am liebsten taktische Atomwaffen, die auch in einem konventionellen Krieg gegen bestimmte Ziele wie tief unter der Erde liegende Einrichtungen eingesetzt werden können. Da unterirdisch eingeschlossene Explosionen eine größere Schockwelle erzeugen, versprechen sich die Militärs von so genannten Erdpenetratoren (erdeindringenden Waffen) oder Bunker Busters (Bunkerbrecher) eine erhöhte zerstörerische Wirkung auf ein Ziel. Eine neue Studie des Defense Science Board (DSB) des US-Verteidigungsministeriums beschreibt ein weiteres Mal die Vorzüge dieser Waffenart und soll offenbar Überzeugungsarbeit in Richtung Kongress leisten. Der US-Forscher Michael A. Levi von der renommierten Denkfabrik Brookings Institution in Washington D.C. hat das Papier für Nature kommentiert.
Erdpenetratoren sind Waffen, die eingegrabene Ziele mit einer viel geringeren Sprengkraft zerstören können, als für eine Oberflächenexplosion benötigt würde. Sind sie nuklear bestückt, ist eine noch geringere Sprengkraft nötig, um ein gleiches Maß an Zerstörung zu erreichen. Als Vorzug gegenüber konventionellen Waffen wird gern herausgestellt, dass ein mit geringer Sprengkraft bestückter Atom-Bunkerbrecher mit geringen Kollateralschäden einsetzbar wäre und dabei nur minimal radioaktiven Fallout freisetzen würde. Auch der DSB-Bericht zieht diese Karte und rechnet vor, dass eine Bombe mit 0,1 Kilotonnen Sprengstoff, die vor der Explosion 30 bis 50 Meter tief in die Erde eindringt, keinen nuklearen Fallout mehr freisetzt. Das gleiche gelte für eine 0,4-Kilotonnen-Bombe mit einer Reichweite von 50 bis 55 Metern oder einer 3-Kilotonnen-Bombe mit 100 Meter Reichweite. In allen Fällen würden dabei Ziele zerstört, die ungefähr doppelt so tief in der Erde lägen.
Wie kommt die Bombe so tief in die Erde?
Das klingt wunderbar, das Problem ist nur, dass es bislang kein Waffensystem gibt, das diese Tiefe erreicht. Die nuklearen Erdpenetratoren vom Typ B61-11, von denen die USA zirka 50 Stück besitzt, dringen gerade mal sechs Meter tief in die Erde ein. Und als Faustregel gilt, dass eine 1-Kilotonnen-Bombe mindestens 100 Meter in die Erde muss, um die Radioaktivität im Untergrund eingeschlossen zu halten. Es ist auch fraglich, ob solche Eindringtiefen realisierbar sind, da die Bomben bei höherer Anfluggeschwindigkeit zwar tiefer eindringen, irgendwann aber schlichtweg vom Aufprall zertrümmert werden.
Doch Levi entdeckt noch weitere Schwächen: Offenbar operiert die Studie bei ihren Szenarien mit Material aus der Zeit des Kalten Krieges, mit Daten von frühen unterirdischen Nukleartests in Nevada. Wie der US-Wissenschaftler bemerkt, gab es damals kein Fallout-Problem, weil der Boden über der Bombe sorgfältig versiegelt worden war. Erdpenetratoren jedoch schafften beim Eindringen in die Erde einen riesigen Krater, Fallout zu verhindern sei daher schwer bis unmöglich. Und noch einen weiteren wichtigen Faktor lässt der DSB-Report seiner Meinung zu Unrecht außer Acht: die Bodenbeschaffenheit. Sie spielt immer eine entscheidende Rolle für die Reichweite der Waffe und die Verhinderung von Fallout: Je weicher, also je wasserhaltiger der Boden, desto tiefer muss die Bombe ins Erdreich, um die oberirdische Umgebung nicht zu verseuchen.
Illusion: Die sanfte Atombombe
Und ein dicker Widerspruch stört Levi: Konventionelle Waffen werden abgelehnt, weil sie im Gegensatz zu Nuklearwaffen nicht zerstörerisch genug seien, doch gerade Zerstörung scheint gar nicht das Ziel. Der Vorzug der neuen Atom-Bunker-Busters liegt ja gerade darin, dass sie bei der Explosion feindliche Einrichtungen ausschalten im Sinne von funktionsunfähig machen, sie aber nicht zerstören. Levi stellt daher die Frage, ob es unter diesen Gegebenheiten nicht sinnvoller wäre, neue konventionelle Waffen zu entwickeln, die tiefer in die Erde eindringen? Insbesondere, da die Studie viele neue Methoden beschreibt, wie sich die Reichweite von Waffen vergrößern ließe, provoziert sie seines Erachtens die Frage, warum man nicht gleich bei den konventionellen Waffen ansetzt, bei denen wenigstens das Strahlungsproblem nicht existiert.
Für Michael Levi liegt in diesem Widerspruch das Kernproblem der gesamten Diskussion: "Seit Jahren verwenden Atomwaffenspezialisten enorme Kreativität darauf, Erdeindringungs-Szenarien zu entwickeln, um nukleare Waffen effektiv und gleichzeitig völlig sauber zu machen. Die meisten dieser Ideen jedoch werden niemals funktionieren, trotzdem werden sie gehört. Die Designer von konventionellen Waffen hingegen unterliegen einem ungeheuren Wettbewerb und strenger Überprüfung. Es ist nicht überraschend, dass Atomwaffen manchmal ein scheinbar unbegrenztes Potenzial zu besitzen scheinen. Wenn man sie jedoch an denselben Standards misst, wie sie für andere Waffen gelten, gibt es immer weniger, das für sie spricht."