Der göttliche Atem der Chemiker
US-Forschern ist es gelungen, künstliche Aminosäuren in traditionelle Organismen einzuschleusen
Die Chemie des Lebens lässt sich auf 20 Aminosäuren und eine Handvoll Nukleinsäuren zurückführen. Wissenschaftler des Scripps Research Institute (TSRI, dem größten privaten wissenschaftlichen Forschungszentrum in den Vereinigten Staaten, berichten in Science nun schon regelmäßig über die gezielte Veränderung des genetischen Kodes, durch den die Chemiker bisher unbekannte lebende Organismen erzeugen.
Mit dem jüngsten Schritt ist es der Arbeitsgruppe von Peter G. Schultz gelungen, eine zuvor bakteriell gebildete tyrosyl-tRNA Synthetase in die Replikationsmaschinerie von Hefezellen (Saccharomyces cerevisae) einzuschleusen und von den Hefezellen fünf neue unnatürliche Aminosäuren (L-Phenylalanin-Abkömmlinge) produzieren zu lassen.
Die Forscher legen unermüdlich Stein auf Stein: Zunächst versuchten sie unnatürliche Aminosäuren in Proteine einzubinden. Die Kunst der Chemiker scheiterte allerdings aus stochiometrischen Gründen, wenn es um die Bildung großer Eiweißkörper (über 10 kD) geht. Diese Erkenntnis führte zur Überlegung, die Natur zu Hilfe zu nehmen. Anfänglich synthetisierten sie tRNAs, um die Aminosäuren in Escherichia coli einzuschleusen und stimulierten auf diese Weise Eiweißkörper, die auf der Erde nach bisherigen Kenntnis üblicherweise nicht vorkommen (Der weltweit erste "unnatürliche Organismus").
Bei Saccharomyces cerevisae benutzen sie nun das nukleare Kraftwerk der Zelle. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass die Aminosäuresequenz eines Proteins von der Basensequenz des entsprechenden Strukturgens bestimmt wird. Da seitens der DNA nur vier verschiedene Informationseinheiten verfügbar sind, werden die Basen der 20 natürlichen Aminosäuren zu Kodewörtern (Codons) zusammengefasst. Den Genetikern ist bekannt, dass keineswegs alle 64 theoretisch möglichen Triplett-Kodes in Gebrauch sind. Einige davon, wie UAG, wirken sogar als Stop-Codons.
In Kenntnis dieser Besonderheiten bringen Peter G. Schultz und seine Gruppe eine tRNA, die UAG erkennt, mit einem Enzym zusammen, das die unnatürliche Aminosäure mit sich führt. Die tRNA/Synthetase-Kombination, als "orthogenales" Paar bezeichnet, reagiert somit nicht mit den endogenen Paaren der Hefezelle.
In praxi geht es darum, die passende orthogenale Synthesemutante zu entwickeln. Dazu erzeugen die Forscher Hefezellmutanten, die fähig sind, die orthogenale tRNA zu bilden und lassen die anderen Hefezellen absterben. Anschließend sortieren sie alle Hefezellen aus, die zwar UAG nicht mehr als Stop-Codon erkennen, dessen tRNA jedoch natürliche Aminosäuren einbringt. Das Ergebnis ist ein Ribosom, das beim Lesen der mRNA mit dem Codon UAG die unnatürliche Aminosäure bildet.
Riskante Schöpfungen
Die Versuche am TSRI sind einerseits atemberaubend, anderseits gehören sie zum täglichen Brot des Chemikers. Nylon, Glasfasern und Tausende von Arzneimitteln belegen den Erfindergeist oder auch bloße Routine in der Abwandlung des einmal gefundenen Musters. Die Fähigkeit, die "natürlichen" Verhältnisse zurecht zu schneiden, macht deshalb einen erheblichen Teil unseres modernen Lebensstils aus. Da passt es gut, dass sich der Chemiker K.C. Nicolaou, einer der Mitbegründer des TSRI, als Artist versteht:
Ein Komponist macht aus Noten eine Symphonie. Der synthetisierende Chemiker kombiniert chemische Reaktionen und macht daraus ein Molekül.
Übertragen auf biologische Lebewesen bedeutet die Abwandlung der historisch gewachsenen Zustände allerdings auch das Spiel mit dem Feuer. Der nicht nur momentane, sondern überlebens- und reproduktionsfähige Austausch hat Auswirkungen auf den genetischen Informationsspeicher. Folglich kann die Veränderung einer einzigen Aminosäure eine Generation völlig neuartiger Wesen hervorbringen.
Das Risiko besteht bereits mit Bakterien des Typs Escherichia coli. Der Stamm gehört zu den üblichen Bewohnern des menschlichen Darmes. Einige der natürlichen Untergruppen sind von Ärzten und Kranken gleichermaßen gefürchtet, weil sie zu blutigem Durchfall und Hirnhautentzündung führen und dann vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern sowie Senioren tödlich verlaufen; andere verursachen chronische Entzündungen an Harnwegen und Nieren mit tödlichem Ausgang. Niemand vermag bisher abzuschätzen, welche Auswirkungen die künstlich gebildeten Keime in freier Wildbahn haben.
Natürlich können die künstlich erzeugten Veränderungen auch schon einmal spontan abgelaufen sein. In der irdischen Entwicklung ist die Struktur genetischen Materials nicht unabänderlich. Beispielsweise fand eine französische Arbeitsgruppe heraus, wie Nahrungsmangel, gemessen am Schwefelstoffwechsel, bei Escherichia coli zu einschneidenden und sich vererbenden Veränderungen führt.
Die jetzigen Untersuchungen zeigen, dass die Forscher am Scripps Research Institute die Theorie hinter sich gelassen haben.
Die Hefezellen sind die Tür zu tierischen Zellen. Wir haben den Weg für die Veränderung höherer Organismen gebahnt. Die Möglichkeit, unnatürliche Aminosäuren in Proteine einzubringen, ist ein mächtiges Werkzeug, weil wir alle möglichen Aminosäuren mit unterschiedlichen Charakteristiken für die Chemie und Biologie benutzen können.
Peter G. Schultz
Allerdings geht über die Genugtuung, wonach der Mensch der Erde wirklich neues Leben einhauchen kann, eines verloren: die Antwort auf den ethischen Hintergrund und die Risikoeinschätzung. Weder bei den E.coli-Untersuchungen noch jetzt werden die biologischen Auswirkungen analysiert. Der Positivismus der Chemiker schafft damit eine dem frühen Klonen ähnliche Situation. Nicht, weil menschliches Erbgut verändert, sondern weil der Mensch mit Organismen konfrontiert wird, die man besser im Hochsicherheitstrakt belässt, solange ihr Schädigungspotential unbekannt ist.