Der größte Militärauftrag aller Zeiten

SGI kämpft mit Cyberwaffen ums Überleben

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An SGI (ehemals Silicon Graphics) ging der Dotcom-Boom vorbei: Von knapp $16 in der Mitte der 1990er Jahre ging der Kurs auf 32 Cent im letzten Monat zurück. Doch mittlerweile hat er sich versechsfacht, auf $1.81: Investoren vertrauen darauf, dass SGI mehr Umsätze mit dem Militär machen wird.

Früher gab es eine saubere Trennung von Supercomputer und Persönlichem Computer, und in dieser Zeit konnten Firmen wie Silicon Graphics oder Cray florieren. Doch als man anfing, Supercomputer als Intel-Cluster zu bauen, gerieten die Hersteller von Nur-Supercomputern in große Schwierigkeiten. Viele Rendering-Aufgaben, für die man vor einigen Jahren eine unbezahlbare SGI-Workstation gebraucht hätte, können heute schon vom Aldi-PC erledigt werden, zumal wenn er mit einer geeigneten Videoschnitt-Karte nachgerüstet wird.

Schon seit langer Zeit ist das amerikanische Militär ein wichtiger Kunde von SGI. So wurde im Frühsommer, also Monate vor den 911-Attacken, der SGI Defense Summit für den 30. Oktober anberaumt, auf dem nun Rüstungsfirmen (Lockheedmartin, Raytheon, Harris, Northrop Grumman, Anteon, Spaceimaging) zusammen mit Vertretern von Regierung und Militär über die "wichtiger gewordene Rolle von Visualisierung und Grafik-Technologien auf dem digitalen Schlachtfeld" sprachen.

Am 26. Oktober erhielt der Flugzeugbauer Lockheed Martin den Zuschlag für den größten Militärauftrag aller Zeiten (200 Milliarden Dollar): der Bau des JSF (Joint Strike Fighter). Die Pressemitteilung, dass Lockheed Martin den JSF mit SGI-Maschinen konstruiert hatte, hatte ausgesprochen positive Auswirkungen auf den SGI-Kurs, genauso wie die Meldung, dass SGI Federal einen Forschungsauftrag von der Air Force erhalten hat, um mithilfe von Visualisierungsgeräten Weltraumanlagen für die Luftkriegsführung nutzbar zu machen. Gebietskommandeure sollen aufgrund von Satellitenbildern, die in Echtzeit verarbeitet werden, schneller Entscheidungen treffen können.

Die militärische Verarbeitung von Satellitenbildern (wenn auch nicht in Echtzeit) leisten SGI-Rechner schon länger. TOPSCENE (Tactical Operational Scene) erlaubt, grob gesprochen, die Erstellung eines 3D-Modells einer Landschaft auf der Grundlage von Satellitenaufnahmen. Kampfpiloten sollen damit die Möglichkeit haben, das Einsatzgebiet erst einmal virtuell zu durchfliegen, ehe sie in den Jet steigen. TOPSCENE wurde von Lockheed Martin entwickelt, arbeitet aber mit SGI-Computern.

Eine weitere Anwendung von Satelliten und SGI-Rechenpower betreibt Space Imaging, eine Firma mit einem eigenen Satelliten namens IKONOS, die für die besten kommerziellen Satellitenbilder bekannt ist. Berühmt wurde das Foto der Rauchsäule, die den Ort markierte, an dem sich tags zuvor noch die Zwillingstürme erhoben hatten.

Die Investorenliste (Lockheed Martin, Raytheon ...) deutet allerdings an, dass es bei Space Imaging nur um die Herstellung von Titelfotos und schnieker Poster geht. In der Pressemitteilung zum SGI Defense Summit verweist SGI dann auch darauf, dass man dank IKONOS aus 400 Meilen Entfernung "einzelne Bäume, Boote, Autos, Straßen und sogar Menschen" erkennen kann.

Noch mehr ins Detail geht RealSite von Harris. RealSite erstellt detaillierte 3D-Modelle von Großstädten, um so die Planung der urbanen Verteidigung zu erleichtern. Beim Amerikagipfel im April 2001 kam RealSite in Québec-Stadt zum Einsatz. Genauere Informationen liegen nicht vor. Mit RealSite könnte man theoretisch durchmessen, von wo freies Schussfeld auf Hoteleingänge oder andere sensible Zonen besteht und dann diese gefährdeten Gebiete dementsprechend mit Scharfschützen sichern. Harris hat bereits Datenbanken "von vielen der größeren städtischen Ballungsräume der USA" angelegt.

Ein weiteres Einsatzgebiet von SGI-Hardware sind F-16-Flugsimulatoren. Im Januar bestellte Lockheed Martin, von der Regierung beauftragt mit der Modernisierung von Kampfjet-Simulatoren, zu diesem Zweck SGI Onyx2-Computer.

Aufgrund der gegenwärtigen Krisenstimmung, von der kaum andere Werte als Militärausrüster an den Börsen profitieren, und dem Ausschreibungserfolg von SGI-Partner Lockheed Martin könnte es kurzfristig mit dem alten Supercomputer-Titel wieder aufwärts gehen. Ob die Nische Militärindustrie langfristig zum Überleben reicht, muss die Zukunft weisen. Auch dieser Bereich wird über kurz oder lang von dem Phänomen betroffen sein, dass Standard-PC-Hardware schnell genug sein wird, um auch komplizierteste Berechnungen in Echtzeit zu leisten. Auf der anderen Seite steht im militärischen Bereich zu viel auf dem Spiel, als dass man sich Aussetzer leisten könnte. Dies ist ein gewichtiges Argument für proprietäre SGI-Hardware.