Der seltsame Senator

Orrin G. Hatch: Republikaner, Mormone, Napster-Fan

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Der republikanische Senator Orrin G. Hatch ist ein Exote in der Debatte um Musik im Internet. Auf der Future of Music Conference nutzte er seinen Auftritt, um der Musikindustrie eindringlich ins Gewissen zu reden. Sie solle sich endlich bewegen, kreative Lösungen finden und Mitbewerbern nicht den Zugang zu den Netzen versperren.

Normalerweise sind die Rollen im Wettstreit um Musik im Netz klar verteilt. Auf der einen Seite die Programmierer - klischeehaft meist grad erst 18 geworden, Nerds bis zu den Fußspitzen, ausgestattet mit einem diffus-libertären Weltbild und genug Intelligenz und Freizeit, um in ein paar durchgemachten Nächten eine Killer-Application wie Napster zu schaffen. Auf der anderen Seite Plattenbosse wie Universal-Chef Edgar Bronfman, die im MP3-Format den Untergang des Abendlandes wittern. Als dritte Kraft haben sich schließlich Startup-CEOs wie MP3.COMs Michael Robertson etabliert, die ihr Fähnchen gern und schnell im Wind drehen. Mal Revoluzzer, mal Retter der Labelwelt - ganz wie es der Börsenkurs verlangt.

Und dann gibt es da noch diesen seltsamen Senator, der so gar nicht ins Raster passen will: Orrin G. Hatch, gewählter Senator von Utah, Republikaner, Mormone. Eigentlich ein Konservativer, wie er im Buche steht. In der Netzgemeinde hat er sich durch Forderungen nach Content-Filtern für Kinderpornos und Neonazi-Seiten (siehe auch: Neue Großoffensive gegen den "Hass" im Netz) nicht gerade beliebt gemacht hat. Doch spricht man jemanden aus der Netaudio-Szene auf Hatch an, gibt es nur Lobeshymnen zu hören. Denn der Herr Senator ist ein leidenschaftlicher Napster-Fan.

Die subtilen Reize Metallicas

Viel Applaus war Hatch deshalb letzte Woche auf der Future of Music Conference in Washington sicher. Auf dieser Veranstaltung diskutierten zwei Tage lang Filesharing-Entwickler mit Musikern, e-Business-Strategen mit Online-Journalisten und Download-Anbieter mit Streaming Media-Enthusiasten. Ein Publikum nach Hatchs Geschmack, weshalb er in seiner Rede erstmal ein bisschen aus der Westentasche plaudern konnte:

"Ich bin ein großer Musikfan. Das wird ihnen jeder bestätigen, der mich in meinem Büro besucht und die angehäuften CD-Stapel rund um meine Stereoanlage gesehen hat."

Einige ganz Mutige hätten sich zu so einer Gelegenheit sogar ein paar seiner Songs angehört, berichtete er. Hatch ist Songwriter aus Leidenschaft und Überzeugung. Als bekennender Mormone schreibt und vertont er christliche Popmusik, bisweilen mit patriotischem Einschlag. Auf sein Konto gehen ganze acht Alben mit Songs wie (Real Audio File) "My God is Love" und "Heal Our Land". Doch Hatch ist in seiner Musikauswahl flexibel:

"Ich war entzückt, dass unsere Komitee-Anhörung letztes Jahr es mir erlaubte, in die subtilen Reize Metallicas eingeweiht zu werden."

Damals organisierte er auf dem Höhepunkt der Napster-Debatte eine Anhörung mit allen prominenten Kontrahenten. Schnell ließ er durchblicken, dass er für die Klagen gegen Napster nicht besonders viel Verständnis aufbringen konnte. In Anwesenheit Lars Ulrichs witzelte er beispielsweise darüber, vor ein paar Stunden Metallica-Songs aus dem Gnutella-Netzwerk heruntergeladen zu haben. Worauf Ulrich generös erklärte, er habe das Geld des Senators gar nicht nötig. (Siehe auch: US-Senat testet Gnutella).

Hatchs erste 60 Tantiemen-Dollars

Stars wie Lars Ulrich und singende Senatoren spielen eben doch in unterschiedlichen Ligen des Musikbusiness. Auf der Future of Music Conference berichtete Hatch, er habe kürzlich seinen ersten Scheck über 60$ Autoren-Tantiemen bekommen. Glücklicherweise sei er nicht auf dieses Geld angewiesen, da er ja einen ganz erträglichen Job habe. Den will der Senator auch erstmal beibehalten - Zumindest bis er so berühmt ist, dass er seine Musik auch mit Napster findet. Vielen Musikern gehe es jedoch längst nicht so gut wie ihm, bemerkte Hatch:

"Es ist eine traurige Wahrheit, dass auf jede Sheryl Crow und jeden Billy Joel tausende kommen, die niemals sich oder ihre Familie durch ihre Musik ernähren können, auch wenn sie ebenso talentiert sein mögen. Aber neue Vetriebssysteme können dies zu einem bestimmten Grad verändern."

Im Netz seien Musikern nicht mehr auf die Labels angewiesen, sondern könnten ihre Musik direkt vertreiben und damit einen viel besseren Schnitt machen. Zwar werde es möglicherweise schwieriger, online Aufmerksamkeit zu erlangen. Dafür sei man aber nicht mehr auf umfangreiche Promo-Investitionen oder den Zugang zu den großen Radio-Networks angewiesen. Weshalb Hatch dem neuen Medium auch sehr optimistisch gegenübersteht:

"Es gibt viele großartige Musik, die sich niemals auf dem Niveau von Metallica oder N'Sync verkaufen wird. Aber ich glaube, mehr davon kann in dieser neuen Welt überleben."

Freien Zugang zu den Distributionskanälen

Einen Dämpfer verpasst Hatchs Optimismus allerdings das Auftreten der Plattenfirmen im Netz. Als Vorsitzender des Judicary Commitees hat er maßgeblich den Digital Millennium Copyright Act von 1998 mitgestaltet. Den Labels sollte das Gesetz einen ersten rechtlichen Rahmen für Online-Musikdistribution geben, doch sie bewegten sich nicht. Um sie zu wecken, brauchte es erst Napster, brauchte es erst AOLs Time Warner-Übernahme und Middelhoffs Netzverliebtheit.

Doch kaum haben sie das Netz für sich entdeckt, möchten sie es am liebsten exklusiv. Die großen Plattenfirmen haben sich bisher nur zu wenigen Lizenzierungen ihres Contents hinreißen lassen. AOL & Co. scheint die Versuchung zu groß, die eigenen Inhalte ausschließlich über die eigenen Vertriebskanäle zu vermarkten. Sollte sich dieser Trend weiter durchsetzen, würde die Situation für kleine Labels und unabhängige Künstler noch schwerer als in der analogen Welt der klassischen Musikdistribution. Hatch forderte deshalb auf der Future Of Music Conference eindringlich gleiche Chancen für alle:

"Ich heiße die Plattenfirmen in der Online-Welt willkommen, gemeinsam mit anderen großen Entertainment-Konglomeraten, Kabelfirmen und Online-Anbietern. [...] Aber ich glaube nicht, dass es Musikern oder Fans irgend einen Vorteil bringt, wenn all die neuen, weiten Distributionskanäle von denen kontrolliert werden, welche die alten, schmaleren kontrolliert haben."

Diese Gefahr bestehe besonders, wenn sie ihre Vormachtsstellung wettbewerbsbehindernd gegen jene neuen Musikanbieter anwenden würden, die sich an neuen Distributionsmodell versuchen - eine deutliche Anspielung auf die Prozesse des letzten Jahres. Entscheidend sei jetzt, dass der Gesetzgeber freien Zugang zu den Distributionskanälen garantiere.

In Lizenzfragen so kreativ wie beim Songwriting

Immerhin bemerkte Hatch anerkennend, dass es mittlerweile weit mehr Experimente mit Musik-Downloads und Abonnements gebe als noch vor einem Jahr. Er hoffe, dass man bald diese Phase des Beta-Testens verlassen werde. Doch noch sind viele Fragen offen. Noch ist unklar, wie der Fair Use-Begriff im Netz zu handhaben ist. Noch sind viele Lizenzierungsfragen ungeklärt. Und immer noch laufen Prozesse wie der gegen Napster.

Der Weg zu einem fairen Distributionsmodell wird nicht einfach, das weiß auch Hatch. Deshalb rief er die Teilnehmer der Future of Music Conference dazu auf, die Ärmel hochzukrempeln und gemeinsam neue Wege zu beschreiten:

"Wir müssen so kreativ über Lizenzmodelle nachdenken, über technologische, rechtliche und gesetzliche Lösungen, wie Musikschaffende und Techniker über ihre Kreationen nachdenken."

Womit wir wieder bei dem anderen Orrin G. Hatch wären. Dem Kreativen, dem Songwriter mit Gottvertrauen. Auf seiner Musiker-Homepage preist sogar der ehemalige Präsident George Bush senior Hatchs Platten an. Den Verkaufszahlen hat es nicht genützt, und ins Napster-Netz hat er es auch immer noch nicht geschafft. Vielleicht sollte Hatch doch den Rat befolgen, den ihm Bono einmal gegeben hat. Der U2-Sänger riet ihm, sich einen Künstlernamen zuzulegen. Seine Songs seien ja großartig, aber die Musik eines republikanischen Senators wolle nunmal einfach niemand kaufen.