Design Thinking: Die neue Ausbeutung im modernen Gewand?

Design Thinking gilt als innovative Arbeitsmethode der Zukunft. Unternehmen preisen die kreativen Teams und flexiblen Räume. Doch was bedeutet das für die Beschäftigten?
Innovationen sind für Unternehmen eine Herausforderung. "In den zurückliegenden Jahren haben sich die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handels in den Unternehmen massiv gewandelt, und zwar in der Form, dass eine langfristige Planung immer schwieriger wird", erklären Georg Kraus und Andreas Schwarzenhölzer von der Unternehmensberatung Kraus & Partner.
Design Thinking: Systematische Innovation im Team
Verändert sich das Kundenverhalten, sind Neuerungen entscheidend, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine Langzeit-Studie der Unternehmensberatung McKinsey mit über 2.500 Führungskräften aus 300 Unternehmen macht dies deutlich. Amazon beispielsweise integriert Lieferanten als Kunden und bietet eine breite Palette von Dienstleistungen wie Cloud-Computing und Lagerverwaltung an.
Die "permanente Innovation" sei zentrale Aufgabe vieler Beschäftigten, macht der Soziologe Andreas Reckwitz deutlich. Diese Kernaufgaben des Managements werden zunehmend auf Beschäftigte verlagert. "Unternehmen, die weiterhin auf starre Prozesse setzen, riskieren, Marktchancen zu verpassen und ineffizient zu arbeiten", warnt Isabella Beyer, Content-Marketing-Managerin bei Management Circle.
Dabei rücken innovative Methoden "verstärkt in den Fokus". Mit unterschiedlichen Methoden versuchen Unternehmen, diesen Drang zur Innovation an die Belegschaft weiterzugeben. Ein Instrument ist das vom SAP-Gründer Hasso Plattner entwickelte "Design Thinking" – eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen.
Es beruht auf der Annahme, dass Ideen generiert und Probleme gelöst werden können, wenn Beschäftigte unterschiedlicher Teams in einer die Kreativität fördernden Arbeitsumgebung zusammenarbeiten. 30 Prozent der Unternehmen sagten in einer Befragung des Branchenverbandes Bitkom, mit Design Thinking zu arbeiten.
Bedürfnisse der Kunden sollen im Zentrum der Arbeit stehen und multidisziplinäre Teams die Aufgaben übernehmen. Multidisziplinäre Teams sind funktionsübergreifende Gruppen von Beschäftigten mit unterschiedlichem Fachwissen, die eine gemeinsame Aufgabe haben, etwa die Einführung einer neuen Software im Unternehmen. Es können Vertreter unterschiedlicher Bereiche wie Finanzen, Marketing und Personalwesen beteiligt sein.
Der Design-Thinking-Prozess: Iterative Entwicklung in kleinen Schritten
Das zugrundeliegende Vorgehen orientiert sich an der Arbeit von Designern.
Design Thinking ist dabei zugleich eine Methode, ein Set an Prinzipien, eine spezielle Denkhaltung und ein Prozess mit einer Vielzahl von unterstützenden Tools
Sven Poguntke, Mediencampus Hochschule Darmstadt
Design-Thinking-Prozesse führen Teams in iterative Schleifen, also in sich wiederholende Schritte. Bei diesem Vorgehen werden Entwicklungstätigkeiten nach dem Prinzip der kleinen Schritte wiederholt. Ein Projekt setzt sich aus einer Menge solcher Schritte zusammen. So soll es erleichtert werden, von den Anforderungen ausgehend schnell Rückmeldungen aus dem Team zu erhalten und Zwischenergebnisse zu prüfen.
Iterative Prozesse helfen, Fehler frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Isabella Beyer
Bei Mängeln oder sich ändernden Anforderungen kann dann zeitnah reagiert werden, so der Ansatz. Der Druck liegt bei den Beschäftigten. Es herrscht für alle Beteiligten enormer Zeitdruck. Zusagen wurden dem Kunden gegenüber gemacht, das Management setzt Termine.
Selbstbestimmung unter Zeitdruck: Die Realität in Projektteams
Viel ist von "Selbstbestimmung" der Projektbeteiligten die Rede. Aber die Steuerung erfolgt, indem sich Beschäftigte in "eigener Verantwortung" direkt dem Kunden gegenüber am Markt orientieren müssen. Die Teams sollen aus fünf bis sechs Personen entstehen. Unterschiedliche fachliche Hintergründe und Funktionen sollen für eine "offene und kreative" Arbeitskultur sorgen.
Wichtig sind dabei "variable Räume": dazu gehören flexibel bewegbare Möbel, ausreichend Platz für Whiteboards und Präsentationsflächen. In manchen Workshops arbeiten Design-Thinking-Teams nur an Steharbeitsplätzen.
Diese Methode zeigt, wie Unternehmen mit Begriffen wie "Eigenverantwortung" oder "Freiheit" Macht ausüben und Beschäftigte unter Druck setzen. Welche Folgen sie hat, zeigen aktuelle Krankenkassen-Auswertungen. Die Krankheitsausfälle wegen psychischer Belastungen sind letztes Jahr gestiegen. Bei der DAK verlängerten sich die durchschnittlichen Fehlzeiten von 3,2 auf 3,4 Tage.