Deutsch-Französischer Krieg: Die erste militärische Konfrontation der Moderne
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Erster moderner Großkrieg war von beiden Seiten gewollt. Dominanz in Mitteleuropa sollte gewaltsam erreicht werden. Doch Frankreich unterlief eine verheerende Fehleinschätzung. (Teil 1)
Jeder Krieg hat längerfristige strukturelle Ursachen und einen Auslöser […]. Die […] strukturelle Ursache dieses Krieges sind zwei Großmächte – Preußen und Frankreich – die beide Ansprüche auf europäische Führerschaft haben.
Daniel Schönpflug (Pöking und Sackarnd 2020a 09:00 ff.)
Mit den Frieden von Frankfurt am 10. Mai 1871 endete der Deutsch-Französische Krieg. Die Ratifizierung durch die Parlamente beider Seiten erfolgte wenige Tage später. Die Vereinbarung entsprach in den Kernpunkten den bereits in Versailles ausgehandelten Friedenspräliminarien.
Insbesondere verlor Frankreich Elsass-Lothringen und musste fünf Milliarden Goldfranken an Reparationen leisten. Die Vereinbarung kam, ohne dass es offiziell formuliert wurde, einer einseitigen Schuldanerkennung Frankreichs gleich. Das deutsche Diktat sollte die Beziehungen beider Staaten auf Dauer vergiften. Der erhoffte dauerhafte Friedensschluss bereitete ideologisch den Weg für zwei Weltkriege.
Gleichheit der Kriegsparteien
Die wesentliche Ursache des Deutsch-Französischen Krieges lag in der Gleichartigkeit beider Seiten. Ihr Denken, ihre Motive und ihr Handeln glichen sich weitgehend. Daraus erklärt sich sowohl die "Alternativlosigkeit" zum Krieg als auch die völlige Abwesenheit politischer (Friedens-)Initiativen auf den höchsten Ebenen der Staatsführung.
1. Die deutschen Staaten als auch Frankreich hatten überholte, monarchistische Staatsformen. Ihre aristokratischen Eliten orientierten sich an unzeitgemäßen Vorstellungen einer Kabinetts-Außenpolitik. Alleine der Monarch bzw. die ihm unterstellte Regierung und der Hofstaat sollten die Außen- sowie Sicherheitspolitik bestimmen. Andere gesellschaftliche Gruppen und Institutionen – vor allem das Parlament – hatten kein Mitspracherecht.
Ein französischer Diplomat hat vor 1870 gesagt: "Wir werden den Krieg in absehbarer Zeit haben. Wenn Preußen gewinnt, wird es Elsass-Lothringen nehmen, und wenn Napoleon der III. gewinnt, wird er das Rheinland nehmen." Das waren alles Vorstellungen, die in dieser Zeit absolut gängig waren. Die natürlich mit unseren Maßstäben nicht zur Deckung zu bringen sind.
Josef Becker (Komplett-Media 42:20 ff)
2. Beiden Seiten dachten in Machtbalancen. Wobei sie "Macht" einseitig aus der militärischen Stärke eines Staates und seiner Verbündeten abgeleiteten. Das Führen von Kriegen in wechselnden Allianzen, die Ausplünderung der gegnerischen Zivilbevölkerung und die Annexion von Gebieten zur dauerhaften Schwächung des Gegners galten als Normalität. In der Logik dieses Denkens betrachteten sich Deutschland und Frankreich als gegenseitig Rivalen um die europäische Vorherrschaft.
3. Jede Kriegspartei hielt sich für militärisch stärker. Vor allem Frankreich glaubte, "dass es mit Leichtigkeit gewinnen wird. Es nahm an, es sei die größte Militärmacht Europas." (Robert Tombs; Pöking und Sackarnd 2020a 11:20 ff.) Die Militärs beider Seiten kalkulierten mit Siegen eher in Wochen als in Monaten. Gleichwohl war die tatsächliche Kampfkraft unbekannt.
Seit 55 Jahren – seit den Napoleonischen Kriegen (1792-1815) – hatte es keine Konfrontation zwischen deutschen und französischen Truppen gegeben. Dies führt auf französischer Seite zu einer Unterschätzung der Deutschen. Insbesondere die Preußen erweiterten ihre militärische Stärke seit 1850 kontinuierlich. Gleichzeitig zeigten sich auf französischer Seite erhebliche Mangelerscheinungen in der Versorgung der Truppen – vornehmlich bei der Belieferung mit ausreichender Nahrung. (Gunkel, 2020) Friedrich Engels sah, wie auch heutige Historiker die Ursache, vor allem im zurückgebliebenen politische System Frankreichs. (Engels, 10. September 1870)
4. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brodelte es in den Staaten Europas innenpolitisch. Bürgerliche als auch Kräfte der Arbeiterbewegungen forderten mehr politische Mitbestimmung und soziale Reformen. Sie stellten sowohl die Monarchie als auch die unregulierte Marktwirtschaft offen in Frage. Reaktionäre Kreise um die Monarchen setzten auf schnelle militärische Siege für eine politische Entlastung. Zusätzlich hoffte Preußen, die deutsche Einheit durchzusetzen. Durch die "Einheit von oben" wäre eine zentrale Forderung des bürgerlichen Lagers erfüllt, ohne den konservativen Kern des Regimes anzutasten.
Kriegsgrund
Der Krieg 1870/71 fand auch deswegen statt, weil beide Seiten ein Interesse an dem Krieg hatten. [...] – nicht unbedingt die Völker, aber die Regierungen.
Andreas Wirsching (Heinemann 2020)
Auf beiden Seiten dominierten politische Kräfte, die den Krieg aktiv förderten. Treibend waren nicht die Königshäuser, sondern reaktionäre Kreisen der Aristokratie, der Bourgeoisie und der Militärs. Letztere beschäftigten sich jeweils schon Jahre vor Kriegsausbruch mit konkreten Kriegsplänen.
Sowohl der preußische als auch der französische König waren politisch schwach. Ihnen entglitt schon vor dem Krieg die politische Kontrolle. Zumal beide für Einflüsterungen zur militärischen Expansion empfänglich waren. Sowohl Napoleon der III. als auch Wilhelm der I. waren Anhänger der Idee großer Reiche – sei es ein napoleonisches oder ein großdeutsches.
Frankreich hatte die Hoffnung, dass die Süddeutschen Staaten sich mit ihm verbünden würden […]. Innerhalb des Reiches gab es ganz starke Spannungen, und der hegemoniale Anspruch Preußens stieß auch auf starkem Widerspruch. Das könnte natürlich diesen Versuch begründen, dass man sagte, Bayern oder Baden-Württemberg könnte eventuell auch ein Verbündeter Frankreichs sein.
Daniel Schönpflug (Pöking und Sackarnd 2020b 10:30 ff.)
Preußen als auch Frankreich hofften auf die Kriegserklärung des Anderen, um die nationale Begeisterung zu steigern, spätere Gebietsannexionen zu legitimieren und europäische Verbündete zu gewinnen. Vor allem die Süddeutschen Staaten (u.a. Bayern, Hessen, Baden und Württemberg) mussten sich entscheiden. Ihr Beistandsvertrag mit Preußens sah nur eine gemeinsame Verteidigung vor. Es ist historisch offen, ob sie auch einen Angriffskrieg mitgetragen hätten. Zumal sie vier Jahre zuvor im Deutschen Krieg von 1866 auf Seiten Österreichs gekämpft hatten.
Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären 80.000 Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht. Das habe ich indes mit Gott abgemacht.
Otto von Bismarck (Markuske 2022)
Politisch einflussreiche Kreise, vor allem der um Bismarck, konstruierten einen Kriegsgrund. Die berühmte "Emser Depesche" war eine verfälschte und an die Presse durchgestochene interne Information der Kanzlei Wilhelm des I. Die darin dargestellte Zurückweisung einer halboffiziellen Forderung von Seiten des französischen Außenministeriums, für immer auf den spanischen Thron zu verzichten, ist "verglichen mit dem 20. Jahrhundert harmlos." (Robert Tombs; Pöking und Sackarnd 2020b 08:20 ff.) Sie kommt weitgehend der Drohung mit der Ausweisung eines Diplomaten gleich.
Aber auch die Regierung Napoleons des III. trieb den Krieg aktiv voran. Sie rief mit propagandistischen Proklamationen und "überzogenen Forderungen, […] die einer öffentlichen Demütigung Preußens gleichkamen, […] Geister, die sie am Ende nicht wieder loswurde." (Michael Epkenhans; Pöking und Sackarnd 2020a 10:00 ff.)
Am Ende verlor Frankreich das "diplomatische Spiel". Im Rahmen des Denkens des 19. Jahrhunderts musste ein innenpolitisch schwacher Napoleon der III., wollte er nicht seinen Thron verlieren und das Ende seiner Dynastie besiegeln, Preußen den Krieg erklären. (Vgl. Josef Becker; Komplett-Media 8:20) Frankreich gelang es nicht Verbündete zu mobilisieren. Österreich blieb neutral und die Süddeutschen kämpften an der Seite Preußens.