Deutsch-russische Medienkrise: Wer schadet der Pressefreiheit?
Kritik aus Moskau wegen gekündigter Bankkonten von Auslandssender. Außenminister Maas fordert seinerseits "Freiheit der Medien" in Russland. Ein Kommentar
Nachdem die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Montag mitgeteilt hatte, man werde wegen der Kündigung von Bankkonten des Auslandssenders RT DE durch die Commerzbank Maßnahmen gegen deutsche Korrespondenten in Moskau prüfen, drehte Außenminister Heiko Maas (SPD) den Spieß nun um.
Er forderte "freie Arbeitsmöglichkeiten" für deutsche Journalisten in Russland. Indem er auf die russische Kritik an den Kontokündigungen nicht eingeht, blockiert Maas jedoch die Lösung einer neuen deutsch-russischen Krise, in diesem Fall auf dem Gebiet der Medien.
Lange Leitung in Berlin
Über die Ankündigung aus Moskau, deutschen Korrespondenten die Arbeit zu erschweren, hätte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eigentlich am Montag berichten müssen. Aber die entsprechende Meldung lief erst in der Nacht auf Mittwoch über den Ticker.
Warum man so viel Zeit verstreichen ließ? Vielleicht, weil die Bundesregierung erst einmal beraten musste, wie man auf so eine ernste Drohung aus Moskau reagiert? Schließlich wurde nicht der Fall selbst zum Gegenstand der Berichterstattung. Die Affäre wurde erst zum Thema, als Außenminister Maas mit zwei Tagen Verzögerung reagierte.
Auf Seiten der Bundesregierung war man offensichtlich bemüht, der Nachrichten-Bombe aus Russland die Sprengkraft zu nehmen. Und manche Redaktion wollte wohl verhindern, dass der Kreml deutsche Korrespondenten als Übermittler eines diplomatisch-politischen Gegenschlags einspannt. Denn natürlich birgt es erheblichen Sprengstoff, wenn nach 30 Jahren freier Tätigkeit für westliche Journalisten in Russland nun ausgerechnet den deutschen Korrespondenten in Moskau die Arbeit erschwert werden soll.
Im Verlauf der nun eskalierten Medienkrise hatten deutschen Redaktionen von Beginn an äußerste Zurückhaltung geübt. Nur die Deutsche Welle berichtete, als Ende Februar bekannt wurde, dass die Commerzbank RT DE zum 31. Mai 2021 die Konten gekündigt hat. Das ist keine gute Nachricht für ein Land, das sich seiner freien Presse rühmt. Zu viele Redaktionen gingen diesem Widerspruch aus dem Weg und berichteten einfach gar nicht.
Rechnung des Kremls ging auf
Die dpa-Meldung aus der Nacht auf Mittwoch wurde immerhin von einigen führenden Medien und Nachrichtenportalen wie Welt, Spiegel, Tagessspiegel und t-online aufgegriffen.
Die Rechnung des russischen Außenministeriums war damit aufgegangen. Denn dort ging man vermutlich davon aus, dass deutsche Medien erst über die Kritik an den Kontokündigungen für RT DE berichten, wenn eine Drohkulisse aufgebaut wird. Also drohte man und prompt wurde der Fall zum Medienthema.
Das Schweigen um die Kontenkündigung ist nun zwar gebrochen. Vielsagend aber ist, wie Außenminister Maas auf den Vorwurf Moskaus reagierte, die Bundesregierung habe deutsche Banken zur Kündigung und Verweigerung von Konten für den Auslandssender angewiesen. Maas klagte in einer Stellungnahme gegenüber der dpa und dem Spiegel stattdessen Russland an.
Der SPD-Politiker habe darauf mit deutlichen Worten reagiert, hieß es in einer Meldung der Nachrichtenagentur. "Die Pressefreiheit ist keine Verhandlungsmasse", zitiert sie den Minister. Das habe man "der russischen Seite" unmissverständlich mitgeteilt.
Zuvor soll Staatssekretär Miguel Berger mit dem russischen Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, telefoniert haben, um ihm die Position der Bundesregierung zu erklären. "Unsere Aufgabe – und unsere Pflicht – ist es, den freiheitlichen Rahmen zu schaffen, damit Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit machen können", sagte Maas dazu.
Aber muss der "freiheitliche Rahmen" nur in Russland geschaffen werden? Wie ist es zu bewerten, wenn der Auslandssender RT DE hierzulande ohne Konten bald einpacken kann?
Dämonisierung wie zu Zeiten der Sowjetunion
Ich arbeite seit 1992 ununterbrochen als akkreditierter deutscher Journalist in Moskau und gehöre mit Klaus-Helge Donath von der taz inzwischen zu den dienstältesten Korrespondenten hier. Seit dem Regierungsantritt von Wladimir Putin nehme ich einen zunehmend kühlen Ton war, wenn es um Russland geht. Heute wird Russland mitunter geradezu dämonisiert, so wie zu Zeiten der Sowjetunion.
Dabei herrscht in Russland Marktwirtschaft, es gibt Privateigentum und ein Mehrparteiensystem. Es gab unter Putin eine Fußballweltmeisterschaft und Olympische Winterspiele mit deutscher Beteiligung. Deutsche Unternehmen investierten 2019 rund 2,6 Milliarden Euro in Russland.
Doch das alles scheint nicht mehr zu zählen. Wer dem Diskurskorridor deutscher und US-amerikanischer Politiker verlässt, dem dreht man lautlos den Geldhahn ab. Passt so ein Verhalten zu einem Land, dass auf seine demokratische Kultur stolz ist und damit die ganze Welt beglücken will?
Die Frage muss jetzt diskutiert werden. Auch wenn kaum eine Zeitung über den Eklat hinter dem Eklat berichtet.
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