"Deutsche Atomkraftwerke sind unsicher und müssen vom Netz"

Ein Gespräch mit der Strahlenschutz-Expertin Karin Wurzbacher

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Karin Wurzbacher ist Physikerin und Strahlenschutz-Expertin am Münchener Umweltinstitut. Telepolis sprach mit ihr über das Ausmaß der Katastrophe in Fukushima, den Zustand der deutschen Kernkraftwerke und die Aussichten in Deutschland, künftig genügend Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen.

Umweltminister Norbert Röttgen teilte am Donnerstag mit, dass die Reaktorsicherheitskommission die Sicherheit der Atomreaktoren überprüfen wird. Bevor die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschloss, hat sie das nicht getan ...

Karin Wurzbacher: Wir haben ja sehr alte Atomreaktoren, zum Beispiel die Siedewasserreaktoren der 1960er-Baureihen. Oder auch die Druckwasserreaktoren der zweiten Baureihe, wie Biblis. Und die haben sowieso schon konzeptionelle Sicherheitsschwächen, die gar nicht mehr nachrüstbar sind. Zum Beispiel Isar I: Da befindet sich das Abklingbecken für die Brennelemente unter dem Dach, genau so wie in Fukushima. Deswegen ist dort auch das Dach weggeflogen, weil nämlich (als die Brennelemente sich im Becken überhitzt haben) Wasserstoff austrat, welcher ja leicht entzündlich ist und damit hat er ihnen erstmals die Dächer weggefetzt! Genauso ist Isar I konstruiert, mit diesem Reaktorbecken oben unter dem Dach.

Die deutschen Atomkraftwerke sind nicht gegen Flugzeugabstürze geschützt. Bei den alten AKWs sind die Wände wesentlich dünner, als man sie heute bauen würde, sie entsprechen nicht mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Sie sind auch zum Teil so konstruiert, dass man manche Dinge gar nicht überprüfen kann.

Welche?

Karin Wurzbacher: Zum Beispiel sind die Schweißnähte des Reaktordruckbehälters, die überprüft werden müssten, so eng und so verbaut, dass man mit einer Sonde zum Prüfen gar nicht hinkommt. Es ist ausreichend bekannt, dass das Material ermüdet und bei den alten Reaktoren Risse oder andere Schäden auftreten. Das sieht man auch bei der Störfall-Statistik: Der Anteil der meldepflichtigen Ereignisse ist bei den alten Reaktoren wesentlich höher als bei den neuen. Zudem haben sich die Atomkraftwerksbetreiber nach dem rot-grünen Atomkonsens ausbedungen, dass sie gewisse Nachrüstungen nicht mehr durchführen müssen, weil es für sie nicht mehr zumutbar sei, wenn die AKWs sowieso abgeschaltet werden.

Mit welchen Konsequenzen für die Sicherheit?

Karin Wurzbacher: Konkret heißt das: In der Zeit, bis die Verlängerung der Atomkraftwerke ausgeschlossen wurde, ist im Grunde genommen nicht viel investiert worden. Die deutschen Atomkraftwerke sind dadurch nicht mehr die sichersten der Welt geblieben - wie seitens der Atomlobby immer behauptet wird -, sondern sie gehören zu den unsicheren. Und jetzt, bei der Verlängerung der Laufzeiten, hatte man zwar erst überlegt, ob man strengere Sicherheitsauflagen macht und die Betreiber so zum Investieren zwingt, aber man hat es schließlich nicht getan. Insofern sind unsere deutschen Atomkraftwerke nach wie vor nicht die sichersten der Welt und es gibt welche, die überhaupt nicht sicher sind - vergleichbar mit denen in Fukushima.

Der weitaus größte Teil der Bevölkerung will den schnellstmöglichen Atomausstieg. Wozu braucht die Bundesregierung eine Ethikkommission?

Karin Wurzbacher: Die Bundesregierung hat eine Ethikkommission einberufen. Ihr soll der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer vorstehen, der in der UN sehr viel geleistet hat und zum Gegner der Atomkraft wurde. Es fragt sich aber, wer da noch alles in dieser Ethikkommission sitzt und was diese überhaupt beschließen soll. Zu befürchten steht, dass sie vor allem Beruhigungspille sein soll - dass hier zwar etwas passiert, aber ohne weitreichende Konsequenzen.

Hintergedanken, aber keine Zukunftsgedanken

Obwohl die deutsche Atomindustrie mit rechtlichen Schritten gegen die Stilllegung von acht AKWs droht, stellt die Bundesregierung keine Gesetzesänderung in Aussicht. Weshalb nicht?

Karin Wurzbacher: Die Bundesregierung hat für drei Monate ein Moratorium ausgesprochen. Wahrscheinlich um auf Fukushima zu reagieren und um als verantwortungsvoll dazustehen. Aber mit dem Hintergedanken, dass die Atomkraftwerke nach diesem Moratorium wieder im Betrieb gehen könnten. Aus diesem Grunde ist bisher auch keine gesetzliche Änderung angedacht worden, obgleich die Ereignisse sich jetzt so entwickeln haben, dass es kaum vorstellbar ist, dass diese acht Atomkraftwerke, die vom Moratorium betroffen sind, überhaupt wieder ans Netz gehen werden.

Ihr Institut teilt in einer Presseerklärung mit, dass in Japan ein Multi-Super-GAU stattgefunden hat, aber die internationale Öffentlichkeit "eine gehörige Portion Zweckoptimismus serviert" bekommt. Wie werden die langfristigen Schäden für die Bevölkerung sein?

Karin Wurzbacher: Die Schäden in Japan oder in der Umgebung der havarierten Reaktoren werden gravierend sein. Die Strahlenbelastung auch außerhalb der evakuierten Zone ist sehr hoch, es sollten sich dort keine Menschen mehr aufhalten. Greenpeace und die IAEA (Internationale Atomenergieorganisation) haben selbst Messungen vorgenommen und sind zu den gleichen Ergebnissen gekommen, dass es hier unzulässig hohe Strahlung gibt. Und es wurde der Vorschlag gemacht die Evakuierungszone auszuweiten. Die japanische Regierung wurde sogar darum gebeten.

Leider ist in Japan alles durcheinander. Man ist organisatorisch und in jeder Hinsicht überfordert. Es erreichen uns ja auch sehr wenig Informationen von dort. Die IAEA fühlt sich nicht richtig informiert und wir sind immer auf Spekulationen angewiesen.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat 2010 dem Umweltausschuss des Bundestages eine Studie vorgestellt in der aufgezeigt wird, dass in Deutschland ohne eine Laufzeitverlängerung für AKWs bis 2050 wettbewerbsfähige Stromkosten möglich sind. Weshalb nimmt die schwarz-gelbe Regierung diesen Plan nicht im Angriff?

Karin Wurzbacher: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat eine Studie angefertigt und die auch aktualisiert. Mit dem Ergebnis, dass wir schon ab 2050 vollständig mit erneuerbaren Energien auskommen könnten. Dann bräuchten wir keine Atomkraftwerke. Der Sachverständigenrat geht ebenfalls davon aus, dass keine neuen Kohlekraftwerke mehr nötig sind. Allerdings sollen die alten noch weiter laufen. Das liegt daran, dass der Sachverständigenrat die Photovoltaik nur sehr gering in ihrem Anteil einschätzt.

Aber es gibt auch andere Aussagen wie die des Umweltbundesamtes. Dies hat letzte Woche verkündet, dass neun Atomkraftwerke sofort abgeschaltet werden könnten, ohne dass ein Engpass in der Stromversorgung entstehen müsste. Die restlichen Atomkraftwerke könnten bis 2017 vom Netz gehen und es würde kein Versorgungsengpass entstehen. Natürlich müsste man in der Zeit die erneuerbaren Energien stärker und auch die Struktur der Netze usw. überdenken und anpassen - an die dezentrale Erzeugung und an die dezentrale Abgabe.

Im Augenblick fehlt nur der politische Wille, um alle diese Erkenntnisse in die Tat umzusetzen.

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