Deutsche Regierung: Twitter-Schutzengel für Impfhersteller?
Pharma-Lobbyisten agierten mit großem Druck und erfolgreich gegen Patentfreigabe der Covid-Impfung. Warnungen des BSI waren Teil der Kommunikationsstrategie. Was Twitter-Files dazu enthüllen.
Wie Kommunikationsprofis so arbeiten: In einer Mail vom 12. Dezember 2020 bittet die Kommunikationschefin des Impfstoffherstellers Biontech um Twitter-Hilfe. Ob man denn den Twitter-Account des Unternehmens für zwei Tage "verstecken" könnte, "so dass Kommentare etc. nicht mehr möglich sind".
Die Mail von Jasmina Alatovic (preisgekrönt als Kommunikatorin des Jahres 2021 und Forschungssprecherin des Jahres 2021 ) geht an Nina Morschhäuser.
Morschhäuser ist eine diplomierte Medienberaterin, die für Twitter in Berlin tätig war (Jobtitel: Head of Public Policy, Government und Philanthropy) und dadurch über beste Beziehungen in der Öffentlichkeitsplattform verfügt. In Publikationen wird sie als "Twitter-Lobbyistin" bezeichnet.
Schutz gegen Aktivisten
Alatovic schreibt in ihrer Mail, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) einen "Hinweis über eine Online-Kampagne gegen Impfhersteller" erhalten habe. Demnach habe das BSI Informationen, dass am folgenden Montag, den 14.12. 2020, Aktivisten zu einer "gerechten" (i.O. in Anführungszeichen) Impfstoffverteilung aufrufen würden und zudem dazu, Biontech und "unsere" Geschäftsführer "über soziale Medien zu kontaktieren". Daher die Bitte um ein Versteck.
Nina Morschhäuser reagiert schnell. Sie schreibt an ihre Twitter-Kontakte, dass sie bestimmte Hashtags (z.B. #PeoplesVaccine) und die Accounts von Impfstoffherstellern markieren sollen und "ein Auge darauf werfen".
In ihrer Mail an die Spezialisten bei Twitter kehrt sie die Gefahr heraus, vor der deutsche Behörden warnen, sie schreibt von "ernsthaften Konsequenzen" im Zusammenhang mit einer Flut von Kommentaren. Dass die Accounts von Managern übernommen werden könnten und möglicherweise "fake accounts" geschaffen würden.
Druck und Lobbyismus
Die beiden Mails wurden dem Journalisten Lee Fang des US-Magazins The Intercept zugespielt. Für Fang sind sie bezeichnende Teile eines großen Bildes. In dem geht es darum, mit welchem massiven Einsatz von Druck und Lobbyismus die großen Impfhersteller dafür sorgten, dass der Idee der Freigabe von Impfpatenten jeglicher politischer Wind aus den Segeln genommen wurde.
Dazu gab es auch in Deutschland schon Hintergrundberichte, die im Detail und die Pharmalobby die Bundesregierung auf Linie brachte, nachdem die frühere Kanzlerin Angela Merkel noch im April 2020 einen künftigen Impfstoff als "globales öffentliches Gut" bezeichnete.
Der gestern veröffentlichte Intercept-Bericht basiert auf Info-Freigaben durch die "Twitter-Files" (vgl.: Twitter: Lektionen zur Manipulation.) Autor Lee Fang räumt in seinem Bericht ein, dass er nicht alle Informationen, die er sich gewünscht hätte, erhalten hat. Möglicherweise ist der Mail-Verkehr zwischen den Kommunikationsprofis noch ausführlicher.
Und Lee Fang räumt ein, dass "nicht klar" sei, ob und in welcher Form, in welchem Maße Twitter auf die Anfrage von Biontech reagiert habe.
Als Reaktion auf Morschhäusers Anfrage meldeten sich mehrere Twitter-Beamte zu Wort und diskutierten darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten oder nicht. Su Fern Teo, ein Mitglied des Sicherheitsteams des Unternehmens, stellte fest, dass eine kurze Überprüfung der Aktivistenkampagne nichts ergab, was gegen die Nutzungsbedingungen des Unternehmens verstieß, und bat um weitere Beispiele, um "ein besseres Gefühl für die Inhalte zu bekommen, die gegen unsere Richtlinien verstoßen könnten".
Lee Fang, Covid-19 Drugmakers Pressured Twitter to Censor Activists Pushing for Generic Vaccine
Aus dem größeren Bild, das der Intercept-Beitrag zeichnet, stellt sich allerdings eine Sache ziemlich klar heraus: Dass Lobbyisten der Pharma-Unternehmen in den USA Fake-News instrumentalisierten, um ihre Agenda durchzusetzen. Sprich: Kritiker an der Impfstoff-Politik, die darauf ausgerichtet war, größtmöglichen Profit bei den Unternehmen zu belassen und nicht durch Generika zu gefährden, wurden in suggestive Nähe zu Fake-News gebracht.
Schwere Vorwürfe gegen Regierung in Berlin
Auf diesen Punkt hebt auch die Reaktion vonseiten der Allianz für eine Freigabe der Impfpatente ab. So erklärte Maaza Seyoum, Vertreterin des Globalen Südens in der People’s Vaccine Alliance (PVA), zum Enthüllungsbericht:
Die Flut von Falschinformationen im Internet hat die Bekämpfung von Covid-19 massiv behindert. Social-Media-Unternehmen standen deshalb unter dem Druck, Falschinformationen zu entfernen. Es wäre äußerst repressiv und zynisch, wenn ausgerechnet diese Situation dafür ausgenutzt worden sein sollte, um jene zum Schweigen zu bringen, die sich im Kampf gegen Covid-19 mit dem Globalen Süden solidarisieren wollten.
Maaza Seyoum
Seyoum erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. Es sei alarmierend, dass die deutsche Regierung "anscheinend interveniert" habe, um Biontech von Kritik abzuschirmen. "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, dann hätten sich Bundesregierung und Wirtschaft zusammengetan, um legitime Kritik zu unterbinden", so Seyoum. "Und das mitten in der Krise, als Online-Mobilisierungen eine der letzten Möglichkeiten waren, Protest an die Öffentlichkeit zu bringen."
Das Ende ist bekannt, die Kampagne für Generika hatte keinen Erfolg.
In Deutschland stellt Tim Röhn die unbequemen Fragen zum Thema. Er möchte wissend, "warum und in wessen Auftrag sich das BSI gegen die Kampagne stellte", die am 14. Dezember 2020 unter #PeoplesVaccine von Hilfsorganisationen lanciert wurde.